Social-Media-Sendung "Rundshow":Experiment auf Knopfdruck

Die erste "wirklich crossmediale" Fernsehsendung will das Bayerische Fernsehen mit seiner "Rundshow" starten: Über eine App, über Twitter, Facebook und Google+ können Zuschauer mitgestalten und per Chat direkt ins Studio gelangen. Klingt revolutionär, doch die Zukunft liegt schon vor der ersten Ausstrahlung im Dunkeln.

Matthias Huber

Man kann sich direkt vorstellen, wie die fertige Sendung aussehen wird: Zwei Moderatoren sitzen in einem retro-chic-spartanischen Studio, neben sich eine Schaufensterpuppe, die anstelle des Kopfes einen Bildschirm hat. Richard Gutjahr, einer der beiden Moderatoren, hat einen Tablet-PC in der Hand, drückt auf dem Bildschirm herum, fragt seinen Kollegen lachend um Rat, wie jetzt dies oder das funktioniere. Daniel Fiene greift herüber, versucht selbst sein Glück, ohne Erfolg. Eine Stimme aus der Regie verkündet, dass es Zeit für die Mittagspause sei: genug geprobt.

Rundshow im BR

Zwei Moderatoren und ein virtuelles Feedback: Richard Gutjahr (links) und Daniel Fiene empfangen ihre Gesprächspartner per Videochat im Kopf der Studiopuppe Chuck.

(Foto: BR/Natasha-I. Heuse)

So - inklusive diverser technischen Pannen bei der Probe - stellen sich die BR-Verantwortlichen auch das Konzept der fertigen Rundshow, des neuesten Projekts des Bayerischen Fernsehens, vor. Moderator Gutjahr führt normalerweise im Anzug durch die klassische Rundschau im Bayerischen Fernsehen. Fiene ist Blogger, Buchautor und als Radiosprecher für seine Stimme bekannt. Jetzt sehen beide in lässiger Freizeitkleidung eher so aus, als würden sie für einen Musiksender arbeiten.

Die Rundshow-Macher treten mit dem ehrgeizigen Ziel an, die erste Fernsehsendung zu sein, die "wirklich crossmedial" (Fiene) ist - die also in Echtzeit mit ihrem Publikum über die verschiedensten Kanäle kommuniziert, auf dieses Zuschauerfeedback zuverlässig reagiert und es sogar direkt in die Sendung einbindet. "Es ist eine Livesendung mit Vorteilen und Risiken", sagt Gutjahr, der Erfinder der Sendung. "Wenn etwas nicht funktioniert, dann ist das eben so. Es ist nur Fernsehen." Dabei ist die Rundshow genau das nicht, "nur Fernsehen".

Kernstück dieser Interaktivität ist eine eigens dafür entwickelte App. "Die Macht" heißt sie, in Anlehnung daran, dass sie eine "Fernbedienung zur Sendung" (Gutjahr) ist. "Wer im Wohnzimmer die Fernbedienung hat, hat die Macht", erklärt Redaktionsleiter Christian Daubner den etwas gewöhnungsbedürftigen Namen.

Buh-Rufe per Smartphone-App

Über diese "Macht" sollen nun die jüngeren, internetaffineren Zuschauer an Umfragen teilnehmen, Kommentare abgeben - und Beifall spenden! Mit einem Klick auf entsprechende Symbole mit Daumen hoch oder Daumen runter sendet er ein Signal an die Rundshow, "das haben wir in eineinhalb Sekunden auf dem Server, und ab einem gewissen Schwellenwert spielen wir dann eben Applaus oder Buh-Rufe ein", so Daubner. Wie hoch dieser Schwellenwert für eine relevante Publikumsbeteiligung aber ist, da will sich noch keiner der Beteiligten festlegen.

Auch über Twitter und Facebook kann sich der Zuschauer einbringen, "wenn er will, kann er auch ein Fax schicken", fügt Gutjahr hinzu. Das sei alles Teil des Experiments, da müsse man Erfahrungswerte sammeln, wie das funktioniert. Daubner: "Der Fernsehzuschauer ist in der Regel träge, erst recht um diese Uhrzeit, und wir wollen ihn zur Aktivität animieren."

Diese Aktivität wird auch nötig sein, wenn das Konzept Erfolg haben soll. So hat der BR der Rundshow zwar viel kreativen Freiraum, aber keine feste Sendezeit spendiert. Mal geht die Sendung bereits um 23 Uhr los, ein anderes Mal erst um 23:40 Uhr, auch dazwischen ist so ziemlich jede Uhrzeit vertreten. Drei bis vier Mal die Woche, zwischen Montag und Donnerstag, sind Gutjahr und seine wechselnden Co-Moderatoren, neben Daniel Fiene sind auch Blogger-Urvater Sascha Lobo und Sandra Rieß ("Unser Star für Baku") angekündigt, zu sehen, vorerst mal für die nächsten vier Wochen.

Auch das Studio, aus dem die Rundshow übertragen wird, ist nicht optimal: In einer Ecke des Studios der Rundschau sind ein paar Quadratmeter für das Web-Experiment reserviert. Die Drahtgitter-Beton-Rückwand, die sonst für die Kameras unsichtbar ist, bildet jetzt die Showkulisse, lediglich ein paar gerahmte Porträtfotos von Günther Jauch oder Thomas Gottschalk zieren die karge Mauer. Gutjahr verteidigt die Hemdsärmeligkeit der Ausstattung, sieht darin Teil des Showkonzepts: "Jetzt drehen wir die Kameras einfach mal um für eine halbe Stunde und zeigen, was eigentlich niemand sehen sollte."

Die Macher wissen um die Schwierigkeiten, ein Stammpublikum aufzubauen. "Wir wollen es deshalb genau andersrum versuchen", kündigt der Moderator an. "Die Anschalt-Leute, die haben wir oder haben wir nicht, da werden wir in vier Wochen nichts reißen können." Stattdessen hofft Gutjahr, dass sich die User, die Zuschauer, gegenseitig online auf den Sendungsbeginn hinweisen, einen Link schicken, in Facebook darauf aufmerksam werden. Dann können sie unterbrechen, was auch immer sie gerade machen, "so eine Art Social Viewing, wofür man sich einfach um 23 Uhr nochmal zusammenschaltet und die Webcam anmacht."

Der Zuschauer muss aber nicht bis Sendungsbeginn warten, um sich an der Rundshow zu beteiligen. Bereits die Redaktionskonferenz am frühen Nachmittag wird als Livestream ins Web übertragen und lädt das Publikum zur Teilnahme im Google-Hangout - einem Video-Konferenzchat - ein. Auch im sendungseigenen Blog und auf Facebook, wo die Rundshow abends ebenfalls als Stream zu sehen ist, stehen Redakteure beinahe rund um die Uhr für Zuschauerfeedback bereit. "Das Netz hat keine Sendezeit", stellt Daubner fest, "deshalb fangen wir früh um 6 Uhr an und enden erst weit nach der Sendung."

Wie man mit dem erwarteten Feedback umgehen will und wird, weiß am Set der Rundshow aber noch keiner so richtig. Das Potential ist für Gutjahr aber offensichtlich: So könne man darüber in Echtzeit sehen, "wie die Stimmungskurve unserer Zuschauer ist", und dann auch entsprechend spontan reagieren. Anders als die oft wenig aussagekräftigen GfK-Quoten lasse sich so herausfinden, welche Teile einer Sendung beim Publikum besonders gut oder besonders schlecht ankommen, und sogar noch in der jeweiligen Sendung darauf reagieren. "Wir lernen in diesen vier Wochen wahrscheinlich mehr vom Zuschauer als die Zuschauer von uns."

Überhaupt geht Gutjahr nicht davon aus, mit der Rundshow eine neue Regelsendung zu etablieren. Er möchte vor allem eins: Mechanismen entwickeln, um auch in anderen, etablierten Formaten Crossmedia-Konzepte anzuwenden und umzusetzen, den BR fit für eine crossmediale Zukunft machen. "Wir sind gerade an so einer Schwelle, wo das Alte nicht mehr funktioniert, und das Neue noch nicht."

Auch, wie man mit einer Fülle an Zuschauerfeedback in einer Live-Situation umgehen soll, ist noch offen. Einerseits will die Redaktion natürlich keine aktiven Zuschauer ausgrenzen, andererseits aber auch nicht jedem "Troll" (Daubner) eine Bühne geben. Gepaart mit den technischen Hürden, die ein interaktives Live-Konzept zwangsläufig aufstellt, hat sich die Rundshow einiges vorgenommen. Ob das alles klappt, wird sich am Montagabend in der ersten Ausgabe im Bayerischen Fernsehen zeigen.

Rundshow, Bayerisches Fernsehen, 23 Uhr

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