Social Media:Lagerfeuermomente

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Talk mit der Mama für Facebook Watch: Jade Pinkett Smith (r.) und Adrienne Banfield-Jones.

(Foto: imago/MediaPunch)

Auf der Plattform Watch zeigt Facebook Eigenprod­uk­tionen wie "Red Table Talk". Sie sollen zum Austausch anregen.

Von Carolin Werthmann

Sie hat wundervolle Zähne, bewundernswert schöne Haut, tolles Make-up. Sie ist 47, zweifache Mutter, Geschäftsfrau und Fernsehstar - Jada Pinkett Smith ist personifizierte Perfektion. Wenn da nicht die Haare wären, sagt sie, die Stimme brüchig. Die Frau des Hollywood-Schauspielers Will Smith sitzt an einem roten Tisch, neben ihr Mutter Adrienne, 64, und Tochter Willow, 18. Mehrere Kameras sind auf sie gerichtet. "Die Leute fragen mich, warum ich immer Turban trage. Ich habe Haarausfall, müsst ihr wissen." Schnitt auf Oma und Tochter. Sie nicken verständnisvoll. Und dann kommt Willow dran: "Ich leide darunter, dass kurvigere Mädels mehr Aufmerksamkeit von Jungs bekommen, die ich gut leiden kann. Ich bin mir nicht sicher, ob mein Körper das ist, was die Gesellschaft mag." Die Oma weiß da Rat: "Es gibt Leute, die finden das gut oder eben nicht. Am Ende des Tages", gezielter Blick in die Kamera, "seid ihr es, die sich in ihrer Haut wohlfühlen sollen."

Die Körpergeständnisse sind Teil der dritten Folge von Red Table Talk, eine Talkshow mit Jada Pinkett Smith, die Einblick in ihr Leben und das ihrer prominenten Familie gewährt, exklusiv für Facebook produziert und nur dort zu sehen. Denn auch Facebook macht jetzt Videos. In den USA schon seit 2017 unter dem Label Facebook Watch, Ende August folgte die weltweite Expansion. Watch ist seitdem als kleines Symbol in der mobilen Facebook-App zu finden; auf der Plattform werden Videos ausschließlich nach personalisiertem Interesse eingespeist, und es gibt dort Dutzende professionelle Eigenproduktionen aus den Genres Talkshow, Drama-Serie, Komödie und Sport - kostenfrei für alle Nutzer und abrufbar auch für alle, die unangemeldet auf die Facebook-Seiten der Produktionen stoßen. Hinter der Strategie steckt mehr als der Anspruch, eigene Serien zu produzieren. Mit Facebook Watch will das soziale Netzwerk "Lagerfeuermomente" und "gezielte Monetarisierung" ermöglichen, so die Worte von Fidji Simo, Facebooks Videochefin.

Potenzielle Lieferanten umwirbt Facebook auch damit, dass sie Werbepausen beantragen können

Lagerfeuermomente? War das nicht das Wort, das Fernsehmanager in den Zeiten vor dem Internet benutzten, wenn sie die soziale Funktion von gemeinsam erlebten Programmen herausheben wollten?

Lagerfeuermomente also. Beim sogenannten sozialen Medium Facebook sind das heute solche, die Jada Pinkett Smith beschwört, wenn sie drei Generationen um den roten Tisch versammelt und über Liebe, Sucht, Körperbilder, über Selbstwertprobleme, Unsicherheiten, Familienstreitigkeiten spricht. "Themen mit internationaler Relevanz, die alle betreffen", sagt Facebook-Unternehmenssprecher Stefan Meister. Die Videos verzeichnen zwischen zwölf und 30 Millionen Aufrufe. Wenn Smith selbst die vermeintliche Perfektion einer Celebrity brüchig erscheinen lässt, ist das der Moment, in dem Zuschauer beginnen, sich in der Kommentarspalte über ähnliche Wahrnehmungen und Gedanken auszutauschen und sich für Jadas Ehrlichkeit zu bedanken. Das sind die Interaktionen zwischen den Nutzern, die für Facebook so wertvoll sind.

Ähnlich ist es bei Sorry for your loss, die neueste Eigenproduktion Facebooks über Trauerbewältigung. Die Hauptrolle übernimmt Elizabeth Olsen, die lange im Schatten ihrer berühmten Schwestern Mary-Kate und Ashley Olsen stand, bis sie Kinorollen neben Robert De Niro oder Jeremy Renner ergatterte. In Sorry for your loss spielt Olsen eine Witwe namens Leigh. Die Zuschauer begleiten sie zehn Folgen lang in ihrem Schmerz um den verstorbenen Ehemann, sehen ihr dabei zu, wie sie sich von Freunden und Familie isoliert, wie sie sich Mitgefühl erhofft und Empathie sie zugleich um den Verstand bringt. "Diese Nicholas-Sparks-Witwen-Gruppe schickt mir ständig inspirierende Zitate. Die inspirieren mich eher dazu, die Welt in Brand zu setzen", sagt sie, als sie auf dem Sofa lümmelnd eine Trauerkarte aus dem Umschlag zieht und ihrer Schwester vorliest.

Und die Zuschauer fühlen mit ihr. "Ich empfinde denselben Schmerz", so ein Kommentar. Ein anderer: "Ich habe auch meinen Mann verloren. Man hofft, es ist nur ein schlimmer Traum, aber das ist es nicht." Ein weiterer: "Es ist hart, das anzusehen. Es vergegenwärtigt meinen eigenen Verlust."

Internationale Eigenproduktionen soll es Facebook-Sprecher Meister zufolge zwar weiter geben, doch davon abgesehen soll Watch vor allem ein Angebot an Nutzer für deren Videoinhalte sein. Konkret gemeint sind Nutzer, hinter denen verifizierte Seiten stecken oder die mehr als 5000 Fans vorweisen. Dazu zählen Unternehmen oder Sender mit einer Facebook-Präsenz, über die bislang ohnehin viel Videoinhalt auf dem Netzwerk verbreitet wurde. MTV zum Beispiel. Der Sender verkündete jüngst, eine Fortsetzung seines Erfolgsformats The Real World exklusiv für Facebook Watch zu produzieren. Um auch hier Gemeinschaft und Austausch zu fördern, soll die Serie interaktiv konzipiert sein, man will die Zuschauer in das Seriengeschehen über Votings und Umfragen einbinden. Schließlich, so Meister, berge Facebook Watch noch das Potenzial, Videos über Werbung zu monetisieren.

Ein solches Monetarisierungspotenzial führte Janina Uhses Kochkanal "Janina and Food" vor, lange bevor Watch offiziell startete. Die ehemals langjährige GZSZ-Schauspielerin schnürte sich für Facebook die Kochschürze um und kredenzte Bananenbrot mit Butter von Rama, Racletteauflauf mit Thomy-Mango-Senf-Dip oder Panini mit Käse von Leerdammer. Rezepte wie gemacht für Markenkooperation. Seit den Zottarella-Röschen, "die nur auf unseren Salattellern wachsen" Ende Juni fehlt jedoch das Futter auf dem Kanal. Man habe, so das Statement der Produktionsfirma Ufa X auf Nachfrage, "diese Kooperation zum Aufbau der Medienmarke vor einigen Wochen einvernehmlich aufgelöst, und das Projekt ist in die Obhut von Janina Uhse und ihrem Management gegangen."

Facebook listet Janina Uhses deutsches "Facebook First"-Projekt dennoch als Beispiel dafür auf, was für Programm-Macher künftig mit Watch möglich sein könnte. Und der Konzern verweist darauf, dass Publisher in ihre Programme auch Werbepausen einbauen lassen können. Vorausgesetzt, diese Publisher haben mehr als 10 000 Seitenabonnenten und dreiminütige Videos, die in den vergangenen zwei Monaten insgesamt mehr als 30 000 einminütige Views vorweisen.

Die Videos solcher Anbieter sollen Nutzer an das Netzwerk binden, sie untereinander verbinden und Werbetreibende einbinden. In Zeiten, in denen auch Instagram seine Videofunktionen erweitert und selbst die Jugend-App Snapchat ankündigt, in Serien zu investieren, drängt sich ein Trend auf, bei dem es nicht mehr nur darum geht, was Nutzer und Produzenten in Videos zeigen. Sondern vor allem darum, dass sie sich zeigen, am digitalen Lagerfeuer.

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