Süddeutsche Zeitung

Snapchat:Senkrechtstarter

Die Brüder Jay und Mark Duplass gehören zu Hollywoods kreativsten Köpfen. Jetzt machen sie Serien fürs Handy - im Hochformat.

Von Jürgen Schmieder

Es ist keine Schande, Mark und Jay Duplass nicht zu kennen. Aber es ist nahezu unmöglich, noch nie etwas gesehen zu haben, an dem einer der beiden Brüder als Schauspieler, Autor, Produzent, Komponist oder Regisseur beteiligt gewesen ist. "Die beiden sind die am besten informierten und umtriebigsten Geschäftsleute der Unterhaltungsbranche", sagte Netflix-Programmchef Ted Sarandos bereits vor zwei Jahren, als er mit den beiden einen Vierfilmevertrag verhandelt hatte: "Sie wissen, wie man heutzutage Filme und Serien dreht - und sie wissen, wie sie Zuschauer bekommen."

Als Produzenten und Autoren stemmen die Duplass-Brüder keine Blockbuster- Filme mit Budgets von mehreren Hundert Millionen Dollar, auch wenn Mark, 40, im Kriegsdrama Zero Dark Thirty mitgespielt hat und Jay, 44, derzeit im Transgender-Drama Transparent zu sehen ist. Die beiden kreieren lieber kleinere Projekte wie etwa die Komödie Togetherness oder die lustige Animationsserie Animals für den Bezahlsender HBO oder den Horrorfilm Creep für Netflix. Mark nennt das die "Filmschule der vorhandenen Möglichkeiten": "Es ist okay, nur ein Zehntel der Zuschauer eines Mega-Projektes zu erreichen - wenn das Ding dafür auch nur ein Zehntel kostet." Bezahlsender und Streamingportale kümmern sich ohnehin nicht um Einschaltquoten einzelner Projekte, sondern um deren kulturelle Relevanz und damit die Zahl der Gesamt-Abonnenten.

Nun sollen die Duplass-Brüder die kulturelle Revolution weiter vorantreiben, sie sind die ersten kreativen Köpfe des Studios, das die Medienkonzerne NBC Universal und Snap gerade gemeinsam gegründet haben. Beim Börsengang von Snap vor sechs Monaten hatte NBC Universal bereits 500 Millionen Dollar in das Unternehmen investiert. Die Duplass-Brüder sollen mit ihrer Produktionsfirma Donut fiktive Formate entwickeln, die dann über das soziale Netzwerk Snapchat auf Mobiltelefonen zu sehen sein werden. Das Pilotprojekt des Studios, die zweimal täglich ausgestrahlte Nachrichtensendung Stay Tuned, erreichte bei Snapchat im ersten Monat mehr als 29 Millionen Nutzer.

"Die Zuschauerzahlen im mobilen Bereich steigen gewaltig, dort konsumieren junge Leute heutzutage Inhalte", sagt Lauren Anderson, die das neue Studio mit Firmensitz im kalifornischen Santa Monica leiten wird: "Mit der kreativen Kompetenz von NBC Universal und der enormen Reichweite von Snapchat können wir Shows für Smartphones entwickeln, die sowohl für Zuschauer als auch für Werbetreibende interessant sind." Die ersten Serien sollen im kommenden Jahr bereitgestellt werden, eine Folge soll zwischen acht und zehn Minuten lang dauern.

Die Idee von TV-Serien im Bonsai-Format ist nicht neu. Bereits vor zwölf Jahren entwickelte der Erfinder der Echtzeit-Serie 24, gemeinsam mit dem Mobilfunkanbieter Verizon 24 Conspiracy mit jeweils 60 Sekunden dauernden Episoden exklusiv fürs Handy. Zwei Jahre später beantworteten die so genannten "Mobisodes" der Mystery-Serie Lost innerhalb von 90 Sekunden offene Fragen. Beide Projekte waren jedoch eher mäßig erfolgreich - vielleicht, weil sie ihrer Zeit voraus waren.

"Es gibt viel zu viel Mist auf mobilen Plattformen", sagt Mark Duplass: "Ich hoffe, dass wir eine Idee entwickeln können, die anders ist und die von den Leuten gerne gesehen wird." Wer Inhalte für eine Nische erstelle, der müsse genau wissen, wer sich in dieser Nische aufhalte. Eine Herausforderung liege darin, dass der Handy-Bildschirm bei Snapchat im Hochformat gehalten werde: "Es ist eine neue und höchst interessante Erfahrung: Wie kann ich dieses Bildschirmformat nutzen, um eine völlig neue Geschichte zu erzählen?"

Snapchat hat seine Plattform bislang nicht, wie es Youtube oder Facebook etwa tun, für alle Produzenten geöffnet, sondern nur für einige wenige wie etwa den Sportsender ESPN oder das Popkultur-Portal Vice. Sie wollen Reichweite nicht über Masse, sondern über Exklusivität generieren; der immense Erfolg des sozialen Netzwerks bei den Millennials liegt auch darin begründet, dass viele Leute - vor allem Erwachsene - die Funktionsweise nicht kapieren.

Zu diesem skurrilen Netzwerk passen die Brüder mit ihren ebenso skurrilen Projekten ganz hervorragend. "Wir sind nicht ein Team von vielen - und wir sollen wir selbst sein", sagt Mark. Den Nachname Duplass jedenfalls sollte man sich unbedingt merken.

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SZ vom 02.11.2017
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