Süddeutsche Zeitung

Skandal um US-Moderator:Bill O'Reillys Sturz ist keine Sternstunde der Moral

Der Rausschmiss des US-Moderators wirkt wie ein Sieg für die Gleichberechtigung. In Wahrheit belegt der Fall, wie schwer es nach wie vor ist, gegen Belästigung vorzugehen.

Analyse von Kathleen Hildebrand

Es sollte ein Osterurlaub wie viele andere werden für Bill O'Reilly. Er fuhr nach Italien, lange geplant, alles ganz normal. Das sagte er zumindest in seiner Show am 11. April. Die Berichte über seine Schweigegeldzahlungen wegen sexueller Belästigung mehrerer Kolleginnen waren da schon seit Tagen überall zu lesen und zu hören gewesen.

Nun ist klar: Der Nachrichtenmoderator, vielleicht der berühmteste in den USA, wird nicht in sein Studio zurückkehren. Am Mittwochmorgen hatte er noch bei einer Generalaudienz Papst Franziskus die Hand geschüttelt. Am Abend war seine Karriere bei Fox vorbei. Das Mutterunternehmen 21st Century Fox gab bekannt, dass O'Reillys Vertrag gekündigt wird. Es ist der zweite große Skandal dieser Art, seit Fox-News-Chef Roger Ailes 2016 gehen musste. Beide, damals Ailes und jetzt O'Reilly, bestreiten, jemals irgendwen sexuell belästigt zu haben.

Die Wut von O'Reillys Fans wird schrecklich sein

Viele Kommentatoren in den liberalen amerikanischen Medien jubeln jetzt. Der Mut der Frauen, die sich beschwert hatten, sei belohnt worden. Ein gutes Zeichen sei das für die Zukunft. Und ja, wahrscheinlich ist O'Reillys Entlassung ein Beleg dafür, dass doch kein Weg zurückführt in die Zeiten, als Männer sich gegenüber Frauen ungestraft sehr viel erlauben konnten, auch und vielleicht gerade am Arbeitsplatz. Denn dort waren Frauen lange in der Minderheit. Sie mussten abfällige Bemerkungen, Anzüglichkeiten und unerwünschte Annäherungen weglächeln, wenn sie an einer von Männern dominierten Arbeitswelt teilnehmen oder gar in ihr vorankommen wollten. Oft ist das heute noch so.

O'Reillys Fans werden das anders sehen. Seine Sendung The O'Reilly Factor lief zur Primetime um acht Uhr abends. Sie wurde durchschnittlich von vier Millionen Zuschauern angesehen, mehr als jede andere Nachrichtensendung im US-Kabelfernsehen. O'Reilly war das Gesicht des Senders. Viele mochten seine Wutausbrüche gegen die "Political Correctness" der Liberalen. Viele werden sich auch bestätigt gefühlt haben, wenn er den christlichen weißen Mann als Opfer darstellte. "Für euch ist die Jagdsaison eröffnet", behauptete er gern. Trotz seines Jahresgehalts von 18 Millionen Dollar mag er dabei auch an sich selbst gedacht haben.

Der Sturz des 67-Jährigen wird vielen ihre Vorurteile gegenüber dem Tatbestand "sexuelle Belästigung" bestätigen. Das Problem am Fall O'Reilly ist ja, dass kein Gericht über die Anschuldigungen gegen ihn entschieden hat. Es steht, wie so oft in diesen Fällen, Aussage gegen Aussage. Seine Schweigegeldzahlungen mögen nicht gut aussehen, ein Schuldeingeständnis sind sie nicht - auch wenn O'Reilly als Geizhals gilt, der keinen Dollar ohne guten Grund ausgibt.

Es heißt oft, eine einzige Anschuldigung wegen sexueller Belästigung, wie unbegründet sie auch sein mag, reiche aus, um die Karriere unschuldiger Männer zu zerstören. Es heißt auch, dass manch einer keinen Aufzug mehr allein mit einer Frau betritt. Aus Angst, sie könnte ihn hinterher des Schlimmsten beschuldigen.

Die Fälle Bill O'Reilly, Roger Ailes und ja, auch Donald Trump, beweisen, dass das Gegenteil wahr ist. Die Karriere eines erfolgreichen, mächtigen Mannes kann sehr wohl sehr lange weitergehen. Egal, was eine Frau über ihn sagt, egal sogar, was viele Frauen über ihn sagen. Der schlagkräftigste Beleg für diesen Umstand sitzt seit Januar dieses Jahres als US-Präsident im Weißen Haus. Mehrere Frauen hatten vor der Wahl von sexuellen Übergriffen durch Donald Trump berichtet. Auf einer Tonbandaufzeichnung brüstete Trump sich sogar damit, "alles" machen zu dürfen, weil er berühmt sei. Trotzdem wurde er ins höchste politische Amt seines Landes gewählt.

O'Reilly erzielte seine erste außergerichtliche Einigung in einem Verfahren wegen sexueller Belästigung bereits im Jahr 2004. Sein Sender Fox wusste auch von weiteren Schweigegeldzahlungen (insgesamt belaufen sie sich auf 13 Millionen Dollar), die er im Lauf der Jahre danach getätigt hat. An zweien beteiligte sich Fox sogar. O'Reilly stand weiter vor der Kamera. Der Sender zog auch dann noch keine Konsequenzen, als Fox-Chef Roger Ailes bereits wegen ähnlicher Anschuldigungen entlassen worden war, der Sender Besserung bezüglich des Arbeitsklimas gelobt hatte - und kurz danach trotzdem wieder zwei O'Reilly-Fälle außergerichtlich bereinigt werden mussten. Alles, um den Star und Mitgründer zu halten.

Eine Anschuldigung allein reichte also bei Weitem nicht aus. Nachdem die New York Times über die Schweigegeldzahlungen berichtet hatte, ging auch die Radiomoderatorin und vormalige Fox-Expertin Wendy Walsh mit einer weiteren O'Reilly-Geschichte an die Öffentlichkeit. Ihr folgten bis Mittwoch noch zwei weitere Frauen, die Hässliches über O'Reilly berichteten.

Das stärkste Argument gegen ihn waren dann wohl doch die Zahlen

Und trotzdem: Im Fox-Statement zu O'Reillys Entlassung wird er als einer der erfolgreichsten Nachrichtenmoderatoren des Landes bezeichnet. Auch O'Reilly selbst äußert sich nur wohlwollend gegenüber seinem Sender. Es sei "extrem traurig, dass wir uns wegen völlig unbegründeter Anschuldigungen trennen". Das aber sei, schreibt er, die Realität derjenigen, die wie er im Zentrum der Öffentlichkeit stehen.

Ein Schuldeingeständnis klingt anders. Die zu erwartende Wut von O'Reillys Fans wird diese Erklärung sicher nicht besänftigen. Die Frauen, die ihre Geschichten öffentlich gemacht haben, werden lange unter ihr zu leiden haben. In ihre Email-Postfächer wird in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten niemand freiwillig hineinsehen wollen.

Das stärkste Argument gegen den Moderator waren dann aber wohl doch nicht die Stimmen der Frauen. Sondern die mehr als 50 Unternehmen, die ihre Werbung aus O'Reillys Sendung abzogen, darunter Mercedes Benz, BMW, Hyundai und Bayer. Der Aktienkurs von 21st Century Fox ist seit Veröffentlichung des New-York-Times-Artikels um sechs Prozent gefallen. Die Entlassung von Bill O'Reilly war letztlich keine moralische Handlung, sondern eine Kosten-Nutzen-Rechnung von Fox. Bis die zu O'Reillys Ungunsten ausfiel, musste sehr viel zusammenkommen.

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