Sinn und Unsinn von Online-Petitionen:Ich will die Ruhe stören

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Petitionen im Internet

Das Karussell von Petition und Gegenpetition im Internet dreht sich munter.

(Foto: SZ-Grafik, Foto: Apple)

Jeden Tag möchten Menschen die Welt verändern - und immer mehr glauben, eine Petition im Netz sei der richtige Weg dafür. Oft kommt dabei nur Unsinn heraus. Wie sinnvoll ist das Verfahren?

Von Laura Hertreiter

Justin Bieber nervt, er soll nach Kanada ausgewiesen werden. Markus Lanz ist doof, er soll seine ZDF-Show verlieren. Alice Schwarzer hat Steuern hinterzogen. Sie kann, wenn's denn sein muss, bei ihrem Heftchen Emma bleiben, aber bitte: Weg mit ihrem Bundesverdienstkreuz.

Viele Menschen haben ihre eigenen Vorstellungen von Gerechtigkeit, und um ihr zum Erfolg zu verhelfen, richten sie mal eben eine kleine Petition ein, online, ein paar Mausklicks reichen, auf OpenPetition, change.org oder gleich auf der Webseite des Deutschen Bundestages oder des amerikanischen Präsidenten.

Dort steht zum Beispiel, das Popkind Bieber gefährde die Sicherheit der Amerikaner und sei "ein schrecklicher Einfluss auf die Jugend", also: weg mit der Greencard. Mehr als 240 000 Menschen haben unterzeichnet. Dass Lanz aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen verschwinden soll, begründet die Autorin, die sie nach dem entgleisten Fernsehtalk des Moderators mit Sahra Wagenknecht auf OpenPetition veröffentlicht hat, mit dem "notorisch peinlichen" Verhalten des Talkmoderators. Medien berichteten, das ZDF gab eine Stellungnahme ab, das volle Programm.

Petition und Gegenpetition

Dann entdeckten besonders Witzige die Meta-Ebene. Der Piraten-Politiker Christopher Lauer eröffnete die Petition "Markus Lanz soll mal bitte seine Show so machen wie er will, immerhin ist er ja erwachsen". Fernsehkabarettist Dieter Nuhr scheiterte beim Versuch, eine "Petition gegen Onlinepetitionswahn" einzureichen an den Nutzungsbedingungen zur Veröffentlichung. Klar, irgendjemand anderes sammelt jetzt Unterschriften für den Erhalt von Nuhrs Petition. Auf mehr Krawall war nur noch Zeit-Herausgeber Josef Joffe aus, der sich dazu verstieg, die "digitale Verwünschungskultur" mit der Hetze gegen Juden im Dritten Reich gleichzusetzen.

Das Karussell von Petition und Gegenpetition und Berichterstattung dreht sich seit dem munter. Aber warum? Tatsächlich haben die meisten Fälle, schon gar nicht der Fall Lanz, wenig mit der klassischen Petition zu tun. Der war Jörg Mitzlaff, dem Gründer der Plattform OpenPetition, auf der Stimmen gegen Lanz gesammelt wurden, Grund genug, künftig keinen Protest mehr gegen Menschen zuzulassen: Die Seite sei kein "Meinungsportal", sondern ein "politisches Werkzeug".

Eine Petition war ursprünglich ein politisches Instrument, das Einzelnen und Minderheiten die Chance gibt, auf Missstände hinzuweisen. Seit dem 18. Jahrhundert sind Petitionen juristisch geregelt, die Möglichkeit zur Eingabe ist im Grundgesetz gesichert. Jeder, der mit einem an die Regierung gerichteten Gesuch innerhalb von sechs Wochen mehr als 50 000 Unterstützer auftreibt, muss von der Regierung gehört werden.

Etwa 60 solcher Anfragen landen jeden Tag im Petitionsausschuss des Bundestages, der seit 2005 online zu erreichen ist: Für niedrigere Versicherungsbeiträge, für bessere Lebensmittelkennzeichnung, gegen Windparks.

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