Simenon-Hörspiele:Albtraum mit Leichen

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"Die Phantome des Hutmachers" hat Claude Chabrol 1982 verfilmt, mit Michel Serrault (rechts) in der Hauptrolle. (Foto: imago/United Archives model release)

Der NDR inszeniert sechs Krimis von Georges Simenon als Hörspiele - ganz ohne den Kommissar Maigret. Stattdessen geht es weitaus weniger züchtig zu.

Von Stefan Fischer

Zwei Nackte in einem Zimmer, erschöpft von ihrer Begierde. Sperma auf den Körpern. Und ein bisschen Blut - sie hat ihn gebissen beim Sex. Auch solche Szenen gibt es bei Georges Simenon. Man kennt den belgischen Schriftsteller vor allem als Autor der züchtigeren Maigret-Krimis, doch die machen nicht einmal die Hälfte seines Werkes aus.

Den Kommissar Maigret lässt der NDR denn auch links liegen in seiner Simenon-Hörspielreihe. Stattdessen hat die Abteilung Radiokunst des Senders sechs Texte ausgewählt, die in Summe die Vielseitigkeit dieses Vielschreibers erkennen lassen. Was die Geschichten eint, sind starke Frauenfiguren. Und zweifelnde, auch verzweifelnde Männer. Mit der Regie dieser sechs Hörspiele wurden ausschließlich Frauen beauftragt.

Simenon ergründet, was Menschen antreibt

Vier der Hörspiele sind Krimis, in denen jedoch nie die Ermittlungsarbeit im Fokus steht. Georges Simenon ergründet vielmehr, was Menschen antreibt. Was ihre Leidenschaften sind und ihre Ängste. An welchem Punkt sie gewalttätig werden. Aus Gier. Aus Hilflosigkeit. Wegen ihrer Triebhaftigkeit. Wegen einer tiefen Kränkung.

Oder weil sie schlicht die Macht dazu haben. Wie Andrée in Das Blaue Zimmer (Regie: Irene Schuck). Die Frau, die Tony mit ihrer sexuellen Leidenschaft überrollt. Die beiden sind verheiratet, jedoch nicht miteinander. Andrée kennt keine Grenzen - und reißt die von Tony ein. Aus der Affäre wird ein Albtraum mit Leichen. Eine sexuelle Machtfantasie hat auch die Hauptfigur in Schlusslicht (Regie: Eva Solloch). Gelebt wird sie jedoch von einem anderen Mann, und zwar weitaus brutaler, als dieser Steve sie sich ausmalt. Am Ende bleiben zwei seelisch zerstörte Menschen zurück. Dieser Krimi ist auch insofern interessant, da er in New York beginnt und in den Neuenglandstaaten endet, Simenon hat sich also auf amerikanisches Territorium begeben mit dieser Geschichte und spielt dabei mit Elementen des Hardboiled-Krimis.

Der belgische Autor Georges Simenon, zu Hause in Zürich im Jahr 1972. (Foto: Keystone Features/Getty Images)

Um eine Mordserie in La Rochelle dreht sich Die Phantome des Hutmachers - Claude Chabrol hat den Krimi 1982 verfilmt, mit Michel Serrault, Charles Aznavour und Monique Chaumette in den Hauptrollen. Janine Lüttmann hat nun die Hörspieladaption inszeniert, sie ist der Auftakt der Reihe. Wieder geht es um gelebte und unterdrückte Begierden, entwirft Simenon im Gewand eines Krimis eine Milieuskizze.

Auf den Katalysator einer kriminellen Handlung verzichtet indessen Die Glocken von Bicetre (Regie: Christine Nagel). Es ist die versöhnlichste Geschichte, aber auch sie kommt nicht aus ohne Bitterkeit: Ein Mann erleidet eine Hirnembolie und kämpft darum, sein Sprachvermögen wiederzuerlangen. Denn er hat etwas Wichtiges mitzuteilen.

Ein Schlüsseltext im Werk Georges Simenons ist der Brief an meine Mutter (Regie: Elisabeth Weilenmann). Geschrieben drei Jahre nach dem Tod seiner Mutter, ist dies der Versuch Simenons gewesen, zu verstehen, wer diese Frau war, die ihm seltsam fremd geblieben ist. Vor allem erfährt der Hörer hier, wie der Autor zu dem Menschen geworden ist, der er war. Auch er ein Getriebener.

Die Phantome des Hutmachers als Download in der NDR Hörspielbox. Brief an meine Mutter (6.12.), Das blaue Zimmer (13.12.), Schlusslichter (20.12.), Der Buchhändler von Archangelsk (25.12.), Die Glocken von Bicêtr e (27.12.), jeweils NDR Info, 21.05 Uhr, nach Ausstrahlung ebenfalls in der Hörspielbox.

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