Süddeutsche Zeitung

Sibel Kekilli im Interview:Üben, durchzuatmen

Sibel Kekilli nimmt die Dinge gern selbst in die Hand - und hat zu vielem eine klare Meinung. Das hat ihr Anerkennung, aber auch Ärger eingebracht.

Von Christian Mayer

Beim Interview in einem Hamburger Lokal übernimmt Sibel Kekilli gleich mal die Regie, als sie die Bestellungen lieber selbst am Tresen aufgibt, als auf die Kellnerin zu warten. Sie behält gerne die Kontrolle, das sagt sie selbst. Und sie habe gelernt, ihre Emotionalität zu zügeln, auch die Wut und den Ärger, der sie früher oft überkommen habe: "In Situationen, wo man kühlen Kopf hätte bewahren sollen, bin ich explodiert. Ich muss jetzt nur noch üben, durchzuatmen und nicht sofort etwas zu sagen, wenn mich die Dinge stören."

Sibel Kekilli kam 1980 in Heilbronn zur Welt, ihre Eltern stammen aus der Türkei. Inzwischen hat sie zwei deutsche Filmpreise als beste Hauptdarstellerin gewonnen, spielte im Kieler Tatort und in der Erfolgsserie Game of Thrones mit. Angefangen hat aber alles mit dem Film "Gegen die Wand", für den sie Regisseur Fatih Akin 2004 entdeckt hat. Darin spielte sie eine junge Türkin, die nach dem Willen ihrer Eltern einen Mann heiraten soll, den sie nicht liebt, und die deshalb ein neues, wildes, freies Leben beginnt.

"Alles muss Ehre und Tradition untergeordnet werden"

Ein wenig ist das auch ihre eigene Geschichte: Kekilli hat immer das gemacht, was sie wollte, auch gegen den Willen ihrer Eltern. Momentan spielt die 37-Jährige in der ZDF Neo-Miniserie Bruder - Schwarze Macht eine selbstbewusste und disziplinierte Hamburger Polizistin, ebenfalls eine Deutsch-Türkin mit dem Namen Sibel. Die Film-Sibel versucht ihren kleinen Bruder, der auf die schiefe Bahn gerät und bei militanten Islamisten landet, mit aller Macht zu retten - und stößt dabei an ihre eigenen Grenzen.

Es ist eine sehr aktuelle Geschichte - eine, die zwischen den Kulturen in Deutschland spielt, in einer sehr großen gesellschaftlichen Nische, in der sich Millionen Migranten der zweiten und dritten Generation befinden. Vor allem viele Männer tun sich schwer, aus dieser Nische herauszukommen, sagt Kekilli: "Alles muss der vermeintlichen Ehre und Tradition untergeordnet werden."

Die Schauspielerin engagiert sich schon seit langem für die Rechte der Frauen, dafür ist sie sogar mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. "Ich glaube, viele türkische Männer, die mit freien Frauen nicht umgehen können, haben zu wenig Selbstbewusstsein. Und deshalb machen ihnen solche Frauen Angst." Ihre Meinung sagt sie offen, ohne die anderen zu schonen, das hat ihr Anerkennung, aber auch viel Ärger eingebracht. Aber Kekilli will gar nicht anders leben, sie hat sich für die Freiheit entschieden: "Man muss vieles hinter sich lassen, vielleicht die Familie, die Kultur, das alte Leben sogar. Dazu kommt, wenn man sich auch noch traut, über solche Missstände in dieser Kultur zu sprechen, dann muss man vieles aushalten können: etwa Beschimpfungen, Drohungen bis hin zu sexuellen Belästigungen. Das Internet holt leider das Schlechteste aus den Leuten heraus."

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