Jeder sollte seine fünfzehn Minuten stiller Traurigkeit haben, so lautet ein Leitsatz von Dr. Paul Rhodes, selbst erprobt, gegen Depression und den Schmerz der Erinnerungen. "Ich lege einen meiner traurigen Lieblingssongs auf und lasse mich in Trauer verfallen für fünfzehn Minuten gradaus - und wenn der Wecker klingelt, schüttele ich alles ab und mache verflucht noch mal weiter mit meinem Leben."
Dr. Rhodes wird gespielt von Harrison Ford, mit achtzig steigt der nun groß beim Fernsehen ein, in der Serie "Shrinking", kreiert von Bill Lawrence und Brett Goldstein, die auch die erfolgreichen Serien "Scrubs" und "Ted Lasso" betreuten. Man verehrt Harrison Ford eigentlich wegen seiner spontanen aktivistischen Problemlösungen, von denen es Ende Juni wieder einige geben wird, wenn der nächste "Indiana Jones"-Film in den Kinos startet: "Indiana Jones und der Ruf des Schicksals". Paul dagegen ist Psychiater im schicken Pasadena in Kalifornien - shrink heißt schrumpfen, ist in Amerika aber auch eine saloppe Bezeichnung für diesen komplexen Beruf. Er hat eine gemeinsame Praxis mit Jimmy Laird, gespielt von Jason Segel, und der jungen Afroamerikanerin Gabby, gespielt von Jessica Williams. Paul achtet sehr darauf, die ethischen Maßstäbe seiner Profession einzuhalten, und kann nicht akzeptieren, dass Jimmy immer wieder dagegen verstößt - zum Beispiel, wenn er einen jungen Patienten bei sich einquartiert. Das ist keine Therapie, das sind nur chats, erklärt Paul kategorisch, wenn er Jimmys Tochter Alice auf Parkbänken trifft und mit ihr über ihre Probleme spricht. Ihre Mutter, Jimmys Frau, ist vor einem Jahr gestorben. Paul macht inzwischen das Alter zu schaffen, also lässt er sich von Gabby morgens ins Büro mitnehmen, aufgekratzt durch wildes Singen: "Every morning there's a halo hangin' from the corner of my girlfriend's four-post bed..."
Zwischen gewöhnlichem und auffallendem Verhalten ist hier nicht zu unterscheiden
"Shrinks" ist unerhört witzig und sophisticated, in der klassischen Tradition der amerikanischen Komödie, die mit der Psychoanalyse die Kunst der schnellen Assoziationen und eine vorlaute, durch und durch gebildete Bosheit teilt. Gabby läuft gern mit einer Wasserflasche rum, weil der Mensch eben viel Flüssigkeit brauche, das findet Paul irgendwie übertrieben: "Du weißt schon, Virginia Woolf hat auch versucht, sich zu ertränken..."
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Im lebensfrohen Biotop von Pasadena ist nicht ganz leicht zu unterscheiden zwischen gewöhnlichem und auffallendem Verhalten. Eine Nachbarin nervt hin und wieder, weil sie sich als Mutterersatz für Alice gebärdet, ihr Mann wiederum hat manchmal das Bedürfnis, auf dem Balkon sein Wasser zu lassen. Jimmy leistet Trauerarbeit nachts in seinem Garten, mit lauter Musik und zwei Frauen im Pool. Er will, teilweise mit drastischen Methoden, dass seine Patienten selbst an ihrer Gesundung arbeiten: "Wir rauben ihnen jede Chance, sich selber zu heilen... und werden psychologische Vigilanten." Und er ist bereit, seine Hände ein wenig schmutziger zu machen, als es die Profession gestattet. Bei Grace, gespielt von der aufgedrehten Heidi Gardner, platzt ihm der Kragen: "Dein Ehemann treibt emotionalen Missbrauch. You must f...ing leave him, verlass ihn, verflucht noch mal, oder ich bin die längste Zeit dein Psychiater gewesen."
Die Serie ist ein kleines Meisterstück an Erfindungskraft und Elan. Bill Lawrence, der behauptet, er könne Absagen eigentlich ganz gut wegstecken, war fast schockiert, als er Harrison Ford das Skript der ersten Folge vorlegte - und der ihn anrief: "Hey, das Skript ist wirklich gut, aber in der ersten Folge bin ich nicht sehr oft vertreten. Bin ich in der nächsten öfter drin?"
Shrinking, auf Apple+.
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