Süddeutsche Zeitung

Israel:"Mit hoher Wahrscheinlichkeit" durch israelische Kugel getötet

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Fast vier Monate ist der Tod der palästinensischen Reporterin Shireen Abu Akleh her. Nun räumt Israels Armee erstmals eine mögliche eigene Schuld ein.

Von Peter Münch

Am 11. Mai wurde die palästinensische Al-Jazeera-Reporterin Shireen Abu Akleh bei einem Recherche-Einsatz im Westjordanland erschossen - und fast vier Monate später hat die israelische Armee nun erstmals eingeräumt, dass die tödliche Kugel "mit hoher Wahrscheinlichkeit" von einem ihrer Soldaten abgefeuert worden ist. Als abschließendes Ergebnis interner Untersuchungen wurde zugleich festgehalten, dass der Beschuss "unabsichtlich" und inmitten einer Gefechtslage erfolgt sei. Armeechef Aviv Kochavi sprach von einem "niederschmetternden Vorfall". Offengehalten wurde jedoch weiterhin ein Restzweifel, dass die prominente Journalistin auch von militanten Palästinensern erschossen worden sein könnte.

"Hohe Wahrscheinlichkeit" klingt jedoch in jedem Fall anders als alles, was dazu bislang von israelischer Seite geäußert wurde. Sehr schnell nach dem Vorfall hatte Israels Armee auf eine palästinensische Täterschaft verwiesen. Der damalige Premier Naftali Bennett verwahrte sich gegen "haltlose Anschuldigungen". Abu Aklehs Arbeitgeber Al Jazeera hatte dagegen sogleich von einem "kaltblütigen Mord", Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas von einer "Hinrichtung" gesprochen. Der Fall befeuerte den israelisch-palästinensischen Konflikt, und in der arabischen Welt erlangte die getötete Reporterin schnell einen Märtyrerstatus.

Um Aufklärung bemühten sich in der Folgezeit zunächst zahlreiche internationale Medien. Neben Al Jazeera starteten CNN, die Nachrichtenagentur AP, die Washington Post und die New York Times aufwendige Untersuchungen. Auch die UN widmeten sich dem Fall. Stets deuteten die Ergebnisse darauf hin, dass Abu Akleh durch eine israelische Kugel getötet wurde.

Tödliches Geschoss wurde zur forensischen Untersuchung freigegeben

Schließlich schalteten sich auch die USA ein, denn Abu Akleh besaß neben der palästinensischen auch die amerikanische Staatsbürgerschaft. Auf Washingtoner Vermittlung erklärten sich die Palästinenser im Juli bereit, das tödliche Geschoss zu einer forensischen Untersuchung freizugeben, die in Israel im Beisein von amerikanischen Experten durchgeführt wurde. Zur großen Empörung der Palästinenser hieß es jedoch hinterher, es sei "kein klares Ergebnis" möglich, weil die Kugel zu beschädigt sei. Dennoch ließ die Regierung in Washington damals schon verlauten, dass Abu Akleh "wahrscheinlich" durch Schüsse des israelischen Militärs ums Leben kam.

Zunächst war das in Israel ignoriert worden. Mit zweimonatiger Verzögerung aber ähnelt die Formulierung der Armee nun der Einschätzung aus Washington. Ein hoher israelischer Offizier, der nicht mit Namen genannt werden will, verwies jedoch darauf, dass die Soldaten sich "an alle Einsatzregeln gehalten" hätten. Strafrechtliche Ermittlungen soll es deshalb nicht geben. "Ich bin stolz auf meine Kämpfer", sagte er und erklärte, dass es bei den zahlreichen Gefechten im Westjordanland "ein Minimum an Kollateralschäden" gebe.

Abu Aklehs Familie zeigt sich "frustriert und enttäuscht" vom israelischen Untersuchungsergebnis. "Israel lehnt es ab, die Verantwortung für den Mord an Shireen zu übernehmen", heißt es in einer Erklärung.

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