Set-Besuch: "Winnetou" wird neu verfilmt:Ein neuer "Winnetou" reitet durch die TV-Landschaft

Set-Besuch: "Winnetou" wird neu verfilmt: Eine Eiweiß-Diät formte diesen Körper: Nik Xhelilaj ist der neue Winnetou.

Eine Eiweiß-Diät formte diesen Körper: Nik Xhelilaj ist der neue Winnetou.

(Foto: RTL/Rat Pack)

"Winnetou" in einer Neuverfilmung? Ein gewagtes Unterfangen. Aber ein Set-Besuch zeigt, dass hier kein langweiliges Remake entsteht.

Von Max Hägler

Es ist ein sehr beschaulicher Ort, den sich Old Shatterhand ausgesucht hat, um alt zu werden. Die eigene Farm liegt da inmitten einer grünen Hochebene, an den Felsen zwischen dem Gipfelgrat und in den Bäumen hängt der Nebel. Der Ofen heizt sein Holzhaus, es riecht nach verbranntem Nadelholz. Draußen ist es kühl, die Sonnenstrahlen haben sich noch nicht durch den Dunst gekämpft, wärmen das Apachenland noch nicht an diesem Morgen.

Ein wenig fröstelt es den Wildwest-Mann, er zieht seine Lederjoppe fester um die Schultern und stapft los, mit entschlossenem Blick, die langen Haare nach hinten gelegt. Einen halben Kilometer geht es über die Steppe, hin zu den Pferden.

Man kennt diese Landschaft aus den alten Filmen. "Das ist schon großartig hier, ein Traum", sagt Old Shatterhand in die Stille hinein. Große Worte. "Ja, aber es stimmt doch, schauen Sie sich um, diese Natur, dieses Team. Und: Es ist ein Western. Das ist wunderbar."

Tatort-Kommissar Wotan Wilke Möhring spielt Old Shatterhand

Die Sonne bricht durch den Morgennebel. Wotan Wilke Möhring setzt seine schwarze Sonnenbrille auf. Man kennt ihn aus dem Hamburger Tatort. Aber er als Old Shatterhand, das passt schon auch. Vorne schnauben die Gäule, auf denen zwei Dutzend Indianer sitzen, die er gleich in einen Angriff führen muss. Obwohl Shatterhands Sattel auf einem Jeep installiert ist. Das sieht merkwürdig aus. Aber so ist es eben beim großen Kino.

Wobei es kein Kino ist, was hier in den kroatischen Bergen hinter Rijeka entsteht: Die Münchner Filmproduktion Rat Pack dreht Winnetou 1 bis 3 noch einmal, 50 Jahre nachdem die alten Filme in dieser Gegend entstanden sind. Aber im Auftrag von RTL, fürs Fernsehen also.

Weil vielleicht das Wohnzimmer der bessere Ort sein wird, gerade an Weihnachten, wenn dann im kommenden Jahr die drei 90-minütigen Filme laufen sollen. "Wir wollen etwas bieten, das die ganze Familie vom Enkel bis zum Opa interessiert", sagt Rat- Pack-Chef und Produzent Christian Becker. Einen "Talk-About", wie er es nennt - Filme, über die alle Leute reden.

Das könnte gelingen, des Stoffes wegen und wegen der Herangehensweise. Mit Old Shatterhand und seinem Blutsbruder Winnetou kann in Deutschland wohl so ziemlich jeder etwas anfangen. "Winnetou anschauen, das war wie ein Feiertag", sagt Möhring, Jahrgang 1967, der Lex Barker als Shatterhand-Darsteller abgelöst hat.

Winnetou ist immer noch Teil des deutschen Kulturkanons

Die jüngeren haben mindestens den Schuh des Manitu gesehen, die Persiflage von Michael "Bully" Herbig, die auch eine Hommage war an das Genre. Andererseits: Eine ganze Zuschauergeneration kennt Winnetou deshalb nur als den lustigen Indianer mit dem schwulen Bruder auf dem kotzenden Pferd. Der neue Film muss dieses Publikum vom Ernst des Stoffes erst wieder überzeugen.

Trotzdem ist Winnetou natürlich Teil des deutschen Kulturkanons; noch immer dürften in jedem zweiten deutschen Haushalt die grünen Bücher von Karl May stehen, im Handbibelformat. 200 Millionen Mal wurden die Werke dieses Märchenerzählers aus Sachsen mittlerweile verkauft.

Gedreht wird mit enormem Aufwand und einer Liebe zum Detail

Wer gut im Stoff ist, hat längst gemerkt, dass an den kanonischen Geschichten etwas gebastelt wurde: In den Büchern hat Old Shatterhand keinen Alterssitz. Jetzt schon. Dem Karl-May-Verlag gefällt das übrigens gar nicht, er klagte auch vor Gericht: Was da produziert werde, das sei "nicht frei nach, sondern frei von" Karl May. Was ein wenig absurd ist, weil Karl May höchstselbst der Meister der Kolportage war, der seine Wildwest-Geschichten vom heimischen Schreibtisch aus schrieb.

Das Filmteam ficht diese Kritik nicht an, denn um Werktreue geht es nicht bei RTL. Gedreht wird mit einem enormen Aufwand, die Rede ist von 15 Millionen Euro Budget. Zum Vergleich: Ein Tatort kostet selten mehr als 1,5 Millionen Euro. "Wir wollen zeigen, dass Western in Europa immer noch möglich sind", sagt Produzent Becker.

Und es schaut schon sehr nach Wildem Westen aus. Nicht nur Shatterhands Farm. Die Stadt St. Louis haben sie aus massivem Holz gebaut, dazu eine Eisenbahnbrücke; englischsprachige Aushänge kleben detailverliebt in den Scheiben, lange Unterhosen flattern im Wind. Und damit alle stets daran denken, worum es geht, läuft im schnieken Klolastwagen der Winnetou-Soundtrack in Dauerschleife.

Am Set fließt auch echtes Blut

81 Drehtage waren es insgesamt bis diese Woche, die meist um Viertel nach vier in der Früh starteten, mit teilweise 200 Leuten am Set, Schauspieler, Cascadeure und auch ein Notarzt samt Krankenwagen.

Den braucht es auch an diesem Drehtag: Während Möhring als Shatterhand mit den Pferden beschäftigt war, ist bei einer der Schießerei-Szenen auf seiner Farm einem Komparsen ein Splitter ins Gesicht geflogen. Vielleicht von dessen Weste, die aufwendig präpariert war, mit Farbbeuteln, kleinen Sprengladungen und dahinter einer Bleiplatte: damit die Treffer ganz echt aussehen. Oder er wurde von einer der Gotcha-Kugeln getroffen, die zusätzlich noch Kunstblut vergießen sollen. Jedenfalls blutet der Mann jetzt ganz echt.

Zugespitzt gesagt: Wer solche Risiken eingeht, so einen Aufwand treibt, der lässt sich von Erbwaltern Karl Mays nicht aus der Ruhe bringen. Zumal hier kein Remake entstehen soll, sondern eine Neuinterpretation. Das sagen alle. Möhring, Becker und Regisseur Philipp Stölzl. Der hat nicht nur den Medicus gedreht, sondern auch Rammstein-Videos. Schnulz ist von so einem nicht zu erwarten.

Die Produktion soll sich mit anderen großen Western messen lassen

Der Regisseur hat gerade Pause, isst auf einem Holzfass seine Ration aus der Gulaschkanone. Winnetou, das sei Bestandteil des "Bubseins" gewesen, sagt Stölzl. "Aber es war auch überpathetisch, unfreiwillig komisch, etwa wenn die schöne Münchnerin mit der Feder im Haar auftauchte." Uschi Glas meint er. Die spielt nicht mehr mit, genauso wenig wie Pierre Brice, der ewige Winnetou, der im Sommer verstorben ist.

Wenn man Stölzl fragt, ob Western überhaupt noch funktionieren, antwortet er: The Hateful Eight von Quentin Tarantino. Erbarmungslos mit Clint Eastwood. Jesse James mit Brad Pitt. Großes Kino also. Daran soll sich auch diese Produktion messen lassen.

Der simple Plot reicht da nicht mehr. Winnetou-und-Shatterhand-tauchen-auf-und-retten-sich, das sei zu wenig heutzutage, sagt Stölzl. Auch Winnetou müsse etwas "verhandeln". Oder die Rolle von Nscho-tschi: "Im Buch sagt Winnetou: Du kannst sie zur Frau haben, mein Bruder. Aber erst muss sie zur Haushaltsschule." Stölzl knetet seine Regisseurskopfbedeckung. "Das geht gar nicht!" Mehr Frauen also, mehr, ja: Emanzipation.

Und den Kern von Winnetou will Stölzl herausarbeiten, dieses Freundschaftschließen von zwei Leuten aus unterschiedlichen Kulturen. Das ist ja bei allem Klamauk und aller Ballerei, die dem Stoff innewohnt, schon auch das Thema: hier Winnetou, der edle Wilde. Dort Old Shatterhand, der deutsche Landvermesser, der Kapitalist, der geläutert wird und bald die Eindringlinge abwehren hilft, die ins Apachenland kommen und es ausbeuten wollen.

Das mit der Verständigung der Kulturen leben die Darsteller der beiden Hauptfiguren in der Realität. Der neue Winnetou ist Nik Xhelilaj, ein Albaner, der in Istanbul wohnt und nur rudimentär Deutsch versteht, aber nach einer Eiweißdiät formidabel nach Traum-Indianer aussieht. Möhring alias Shatterhand hat ihm beim Auswendiglernen des Textes geholfen und vor allem bei der Aussprache.

Mario Adorf in einer neuen Rolle

Und dann gibt es noch einen, der irgendwie allen hilft, als Vorbild zumindest, der erste Kritiker gewissermaßen und der lebende Beweis, dass Winnetou nicht nur Klamauk ist: Mario Adorf. Das ist der einzige von den Alten, den sie dazugenommen haben. Er war es, der vor fünf Jahrzehnten Nscho-tschi erschossen hat. Er war der böse Santer. Jetzt gibt er Santers Vater.

Die Figur gibt es bei Karl May nicht, als "Zitat" sieht Adorf seine neue Rolle. Melancholisch sitzt er abends nach Drehschluss in einem kleinen Restaurant, zur linken den jungen Winnetou, der versucht, irgendwas Fett- und Kohlenhydratfreies zu bestellen. "Seafood or Chicken, please!" Das bekommt er. Allerdings schön angebraten in Butter. Als Winnetou in Kroatien, das ist nicht ganz einfach.

Zur Rechten von Adorf: Shatterhand; dazu Produzenten und Assistenten. Fast alle am Tisch knipsen Fotos. Vor allem von dem berühmten Schauspieler, der mit 85 Jahren zurückgekommen ist an den Drehort: in ein Jugoslawien, das es nicht mehr gibt. Traurig sei er über diese kriegerische Entwicklung.

Und der Film? Wie findet er den? Produzent Becker zeigt Adorf ein paar Minuten des gedrehten Materials, die gut aussehen, nach Kino. Gespannt warten die Leute. Lachen unsicher. Erklären, wo sich die Szene eigentlich selbst erklärt. Adorf schweigt. Die Bilder und das alles findet er schon sehr schön, sagt er dann. Aber?

Eine bestimmte Einstellung von früher, von vor 50 Jahren, die fehlt ihm. Ein paar Sekunden nur. Aber eine Schlüsselszene, für Adorf. Ein Moment, in dem sich die ganze Bosheit Santers deutlich zeigte. Das tue ihm weh, sagt Adorf. Von Karl May hat eben jeder seinen ganz eigenen Traum.

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