Süddeutsche Zeitung

"Sesamstraße":Voll korrekt

Die internationalen Ausgaben der "Sesamstraße" zeigen sich gesellschaftskritisch und politisch. Ist das überhaupt sinnvoll?

Von Clara Meyer

An Thanksgiving hatte in der US-amerikanischen "Sesamstraße" erstmals eine asiatische Puppe einen Auftritt: Ihr Name ist Ji-Young, ein sieben Jahre altes Mädchen aus Korea. Sie soll dem Rassismus gegenüber Asiaten, der in den USA seit Beginn der Corona-Pandemie zugenommen hat, entgegenwirken. Es ist nicht das erste Mal, dass die Kindersendung gesellschaftskritische Themen verarbeitet - zumindest im amerikanischen Original, der "Sesame Street". Seit der Erstausstrahlung 1969 setzt sich das Format spielerisch für die Minderung von Vorurteilen ein.

"Gerade in den USA, aber auch in anderen Ländern wird immer sehr darauf geachtet, bestimmte Themen aufzugreifen und diese explizit zu spielen", sagt Maya Götz, Medienpädagogin und Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen in München. In der amerikanischen Version gibt es zum Beispiel Julia. Das Mädchen hat Autismus und verunsichert Big Bird, den großen gelben Vogel, der in der deutschen "Sesamstraße" Bibo heißt. Der Riesenvogel denkt fälschlicherweise, Julia würde ihn nicht mögen. Gemeinsam mit ihm lernen die kleinen Zuschauer, wie sie mit einem autistischen Kind umgehen. Mit den Flüchtlingskindern Noor und Aziz oder den schwarzen Puppen Elijah und Wez möchte die Vorschulsendung in den USA Kinder unterschiedlichster Herkunft und Ethnizität abholen. In Deutschland, wo die "Sesamstraße" seit 1976 mit einer eigenen Rahmenhandlung gezeigt wird, werden mit Figuren wie Elmo, Bibo und Kermit gerade mal die Farben der Ampelkoalition abgedeckt.

In Südafrika gibt seit 2002 die Figur Kami, sie ist HIV-positiv. Klar, in Deutschland spielt HIV (zum Glück) längst nicht so eine große Rolle wie in Afrika. Aber gibt es nicht auch hierzulande Themen, die man ansprechen könnte? Als in Amerika die Corona-Impfung auch für Kinder empfohlen wurde, hat Big Bird sich impfen lassen, das verkündete er auf Twitter. Sein gelber Flügel hätte zwar wehgetan, aber das wäre es wert gewesen, um sich und sein Umfeld zu schützen. Nun ist auch in Deutschland ein Impfstoff für Kinder ab fünf Jahren zugelassen. Könnte da eine Spritze in Bibos Flügel sinnvoll sein?

Maya Götz ist da sehr skeptisch. Und das nicht nur, weil sich die Corona-Impfkampagne ausdrücklich nicht an Vorschulkinder richtet. "Was bringt das, einem zwei- bis fünfjährigen Kind zu zeigen, dass Impfen nicht schlimm ist?", fragt sie. Ob Puppen konkrete Auswirkungen auf Vorschulkinder haben, sei außerdem schwer zu festzustellen. Es sei nämlich nicht einfach, mit so jungen Kindern zu forschen. Natürlich ist es gut, Rassismus entgegenzuwirken, sagt Götz. Aber: "Das ist auch immer ein bisschen Bemühen um politische Correctness."

In der deutschen "Sesamstraße" setzte man einen anderen Fokus: "Wie gehen die Tiere miteinander um? Was macht eigentlich das Leben aus? Wie gehe ich mit Problemen um?" Es gehe eher um Emotionen als darum, gesellschaftliche Gruppen als Puppen darzustellen. Auch das habe seine Berechtigung, findet die Medienforscherin: Ein blaues kleines Wesen würde viel mehr Möglichkeiten zur Identifikation bieten als eine Figur, die auf eine explizite Herkunft festgelegt ist.

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