Süddeutsche Zeitung

Serien-Tipps:Eskapismus, Baby!

Ob Nostalgie, Zukunft, Humor, Fantasy, Extra-Grusel oder Fatalismus: Wer in Corona-Zeiten - wenigstens gedanklich - mal raus will von zu Hause, kann das mit diesen Serien sehr gut.

Nostalgie

Neuheit: Babylon Berlin, Staffel drei

Die Zwanzigerjahre neigen sich dem Ende zu und das Ermittlerduo aus Tom Tykwers Berlin-Epos hat einen neuen Fall: Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) und Gereon Rath (Volker Bruch) versuchen in der dritten Staffel der Serie einen Mord in den Filmstudios Babelsberg aufzuklären. Währenddessen werden die Nazis mächtiger und die Wirtschaftskrise bricht über die Welt hinein. Tom Tykwer ist mit seiner Fortsetzung eine düstere, aber hinreißende Liebeserklärung an die Weimarer Republik gelungen.

Zu sehen bei Sky

Evergreen: The Marvelous Mrs. Maisel

Eigentlich ist Midge Maisel (Rachel Brosnahan) die Inkarnation der perfekten Fünfzigerjahre-Hausfrau: Mit Mitte zwanzig hat sie zwei Kinder, einen charmanten Ehemann und ein piekfeines Apartment an der Upper West Side. Dann verlässt ihr Mann sie für seine dumpfbackige Sekretärin und Midge befreit sich nicht nur von ihren Zukunftsplänen, sondern auch von den Rollenklischees ihrer Zeit: Sie entdeckt ihr Talent für Stand-Up-Comedy und erkämpft sich zusammen mit ihrer wunderbar missmutigen Managerin Susie (Alex Borstein) einen Platz in der sexistischen Comedy-Szene der Zeit. Amy Sherman-Palladino, die Erfinderin der Gilmore Girls, hat mit The Marvelous Mrs. Maisel ein weiteres Mal gezeigt, dass es tatsächlich Serien gibt, die mit jeder Staffel besser werden.

Zu sehen bei Amazon

Entdeckung: Gentleman Jack

Die supersouveräne lesbische Gutsbesitzerin Anne Lister (gab es wirklich) ist zwar von Adel, aber nicht sonderlich reich. Deshalb sucht sie nach einer passenden Ehefrau - am besten ihre junge Nachbarin, Erbin eines Fabrikbesitzervermögens. Auf dem Weg zu Liebesglück und finanzieller Absicherung muss Anne Vorurteile, Nebenbuhler, Ängste und zwei fiese Kohlemagnaten aus dem Weg räumen. Natürlich ist das vor allem etwas für Häubchen-Nostalgiker. Aber wer grundsätzlich Freude an aufwendigen Frisuren, Rüschenkleidern und prächtigen Landsitz-Interieurs hat, wird erkennen, wie originell die Serie die (Geschlechter)Stereotype variiert und bricht.

Zu sehen bei Sky

Neuheit: Picard

Wein machen ist in der Zukunft auch nicht mehr, was es mal war. Drohnen bewässern die Reben, der Winzer ist weitestgehend zum Zuschauen abgestellt. Das ist wenig, wenn man, wie der einstige Captain des Raumschiffs Enterprise, Jean-Luc Picard, mal die Galaxis erforscht und gegen das Böse gekämpft hat. Seit er weg ist, ist einiges vor die Hunde gegangen: Die einst utopisch-ehrbare Sternenflotte überlässt Flüchtlinge ihrem Schicksal. Aus Angst vor den möglichen Folgen wird die Forschung an künstlicher Intelligenz verboten. Als dann noch eine mysteriöse, verfolgte Frau auf seinem Gut auftaucht und um Hilfe bittet, kehrt Picard aus dem Rentnerdasein zurück ins kalte All.

Zu sehen bei Amazon

Evergreen: Black Mirror

Das Besondere an den Dystopien, die in den jeweils in sich abgeschlossenen Episoden von Black Mirror verhandelt werden: Die meisten sind sehr, sehr nah. Die Grundlagen sind in der Gegenwart fast alle schon da, und es fehlt nicht mehr viel, damit das Praktische, Unterhaltsame oder Bequeme unseres Alltags ins Fratzenhafte kippt: Social Media wird zum allumfassenden, hysterischen Bewertungsportal mit sehr realen, sozialen Folgen, automatische Kampfsysteme laufen Amok, Menschen werden zu künstlichen Wesen aus der Cloud. Mit "Bandersnatch" gibt es außerdem eine interaktive Folge, bei der der Zuschauer über die Handlung bestimmt. Ist in diesen passiven Zeiten ja vielleicht eine gern gesehene Abwechslung.

Zu sehen bei Netflix

Entdeckung: Avenue 5

Wenn man wollte, könnte man Avenue 5 als eine filmische Lehrstunde darüber sehen, wie man sich in der Corona-Krise nicht verhalten sollte: Die Serie spielt in einer mittelnahen Zukunft, in der der Weltraumtourismus floriert. Kapitän Ryan Clark (gespielt von Hugh Laurie) soll die Avenue 5 auf einer Reise um den Saturn begleiten. Allerdings ist Clark eigentlich Schauspieler und hat keine Ahnung von Raumfahrt. Der richtige Kapitän hatte ihn nur zu Repräsentationswecken angestellt. Dummerweise stirbt dieser Kapitän in den ersten Minuten bei einem Unfall, dessentwegen die Avenue 5 auch noch von ihrer Bahn abkommt und für den Nachhauseweg zur Erde nicht acht Wochen, sondern drei Jahre braucht. Und so bildet Clark nun eine Schicksalsgemeinschaft mit Hunderten unzufriedenen Gästen und einer völlig inkompetenten Besatzung, die mit ihrem katastrophalen Katastrophenmanagement alles immer schlimmer macht.

Zu sehen bei Sky

Neuheit: Ramy

Manchmal läuft es im Leben einfach nicht so, wie man sich das vorgestellt hat, und manchmal weiß man noch nicht einmal, wie man sich das Leben eigentlich vorstellen soll: Ramy ist Ende zwanzig, lebt noch zu Hause bei seinen Eltern in New Jersey und weil das Start-up, in dem er gearbeitet hat, pleite ist, bleibt ihm viel Zeit zum Grübeln: Über die Liebe, das Leben und seine Religion. Denn Ramy ist zwar ein typischer amerikanischer Millennial, aber er ist eben auch ein Kind ägyptisch-palästinensischer Einwanderer und gläubiger Muslim. Der Schauspieler Ramy Youssef hat aus diesem Stoff, der grob an seine eigene Lebensgeschichte angelehnt ist, kluge Comedy gemacht.

Zu sehen bei Starzplay

Evergreen: Curb Your Enthusiasm

Larry Davids Serie Curb Your Enthusiasm liefert allen Uneinsichtigen sehr gute Argumente, warum zu Hause bleiben sinnvoll ist. Draußen, da lauert schließlich der Kontakt mit anderen Menschen. Und auf wie vielen Ebenen der scheitern kann, zeigt der Co-Creator von Seinfeld, der zwar wohl nicht exakt sich selbst spielt, aber eine Figur, die angeblich ein paar Parallelen zu seinem eigenen Leben aufweist, extrem umfassend. Und mit vielen Prominenten, die auch ungefähr sich selbst spielen. Darunter: David Schwimmer, Mel Brooks, Martin Scorsese, Ben Stiller, Christian Slater, Jimmy Kimmel, Shaquille O'Neal, Rosie O'Donnell, Ricky Gervais, Michael J. Fox, Salman Rushdie, Elizabeth Banks, Hugh Hefner, Alanis Morissette, Jerry Seinfeld, Julia Louis-Dreyfus oder Jason Alexander. Um nur ein paar zu nennen.

Zu sehen bei Sky

Entdeckung: Fleabag

Fleabag ist Anfang dreißig, betreibt erfolglos ein Café in London und hat keine Ahnung, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Als wäre das nicht schlimm genug, leidet sie unter ihrer wirklich außergewöhnlich dysfunktionalen Familie und dem Tod ihrer besten Freundin. Um die Leere in ihrem Innern zu füllen, hat Fleabag Sex. Sehr viel Sex, aber das hilft auch nur bedingt. Phoebe Waller-Bridge, die Autorin, Produzentin und Hauptdarstellerin der Serie ist, hat mit Fleabag ihren Durchbruch geschafft (kürzlich wurde sie etwa gebeten, das Drehbuch des neuen James-Bond-Films zu entstauben). Völlig zu Recht: Fleabag ist dramaturgisch wahnsinnig klug inszeniert, fabelhaft besetzt und wunderbar bösartig, kurz: Eine der besten Serien, die es derzeit zu sehen gibt.

Zu sehen bei Amazon

Neuheit: I am not okay with this

Die 17-jährige Syd (Sophia Lillis) hat, seit sich ihr Vater umgebracht hat, ein ziemlich großes Wutproblem. Sie zerbricht Stifte, kickt Mülltonnen um und verwüstet ganze Bibliotheken. Dann realisiert sie, dass ihre Anfälle mehr sind als psychische Probleme. Sie hat telekinetische Kräfte, kann also mit ihrem Geist Dinge in ihrer Umwelt verändern, bewegen und zerstören. Das Problem dabei: Kontrollieren kann sie ihre übernatürlichen Fähigkeiten nicht. Und so ist I Am Not Okay With This ein liebevolles Porträt über Heranwachsende und ihr ständiges Unwohlsein. Über die, die unbedingt cooler sein wollen, und am Ende doch auf dem Schulball tanzen. Und über die, die sich einfach nur wünschen, normal zu sein. Für Syd gilt: Der Versuch ist zwecklos.

Zu sehen bei Netflix

Evergreen: Game of Thrones

Es gibt wohl keine Serie, in der die Sympathieträger und Schurken, die Helden und Bösewichte umstandsloser gemeuchelt werden. Wobei: Was heißt schon gemeuchelt, angesichts der mannigfachen Hyper-Grausamkeiten, mit denen George R. R. Martin in seinen Romanvorlagen und später David Benioff und D. B. Weiss in ihren Drehbuchadaptionen die zentralen Charaktere dezimieren. Game of Thrones ist sicher eine der gnadenlosesten Shows. Und eine der komplexesten. Im Kampf um den Eisernen Thron hängt, wie in der echten Welt, alles mit allem zusammen. Handlungen aus den ersten Staffeln werden zum Finale hin plötzlich wieder relevant bis kriegsentscheidend. Allianzen zerbrechen wegen lang zurückliegender Kleinigkeiten. Ränke werden über Staffeln hinweg geschmiedet. Und auch das ist natürlich lehrreich fürs Jetzt: Was man heute tut, wirkt garantiert in die Zukunft. Darüber hinaus gibt es keine Gewissheiten.

Zu sehen bei Sky

Entdeckung: His Dark Materials

Merkwürdige Dinge geschehen in der Welt des 12-jährigen Waisenmädchens Lyra, die bisher im altehrwürdigen Jordan College ein behütetes Leben führte. Eine mysteriöse Nordpolforscherin heuert Lyra als ihre Assistentin an und Dutzende Kinder, darunter Lyras bester Freund, werden entführt. His Dark Materials ist die Serienadaption von Philip Pullmans Fantasy-Trilogie Der Goldene Kompass. Die Welt, in der sich Lyras Abenteuer entspinnen - eine Mischung aus Harry-Potter-Internatszauber und Herr-der-Ringe-Abenteuerreise - wird so feinsinnig heraufbeschworen, dass die Grenzen zwischen Realem und Übernatürlichem verschwimmen. Es gibt Autos und Hochhäuser, aber eben auch Luftschiffe, magische Geräte und sprechende Tiere - und damit ordentlich Potenzial, der eigenen Wirklichkeit für ein paar Stunden zu entfliehen.

Zu sehen bei Sky

Neuheit: The Outsider

Es hat einen bestialischen Mord gegeben, und der Täter ist schnell gefunden: Viele haben den beliebten Englischlehrer Terry Maitland schließlich gesehen - blutüberströmt in der Nähe des Tatorts, in einem Strip-Club, auf Videoaufnahmen. Bis ein weiteres Video auftaucht: Maitland zum Tatzeitpunkt, viel zu weit weg, um der Täter sein zu können. Nichts ist von hier an noch normal in dieser grandiosen Adaption von Stephen Kings gleichnamigem Roman. Für den besonderen Grusel wandert das Böse auch hier von Mensch zu Mensch. Ganz buchstäblich - aber auch im übertragenen Sinne: Es ist die Seuche böser Taten, die sich durch die vermeintliche Normalität und in die Leute frisst. Ein Hoch auf die Zivilisation. Bis sie implodiert.

Zu sehen bei Sky

Evergreen: Twin Peaks

Die Schülerin Laura Palmer ist tot, ihre Leiche wurde angespült am Flussufer des beschaulichen Twin Peaks. Aber das ist auch schon das einzige, was in diesem mysteriösen Kriminalfall festzustehen scheint. Um ihn aufzuklären, reist FBI-Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan) in die von Wäldern eingekesselte Kleinstadt, in der einiges anders ist als anderswo. David Lynchs gefeierte Serie aus den frühen Neunzigerjahren ist Krimi, Seifenoper, Mystery und Horror zugleich. Das Unheimliche entsteht aus dem Vertrauten, das plötzlich kippt. Gerade war's noch heimelig bei Kirschkuchen, da bekommt der Kommodenknauf ein Gesicht. Da steht ein Pferd im Zimmer, Riesen sprechen rückwärts, das Böse klettert übers Sofa, und die Eulen sind nicht, was sie zu sein scheinen.

Zu sehen bei Sky

Entdeckung: Dracula

Dracula ist zurück. Mark Gatiss und Steven Moffat, die bereits Sir Arthur Conan Doyles Detektiv für Sherlock radikal modernisiert haben, haben nun Bram Stokers Roman von 1897 als Miniserie für die BBC und Netflix adaptiert. Und wie bei Sherlock verleihen sie Figuren und Handlung einen modernen Anstrich, ohne sich allzu weit vom Original zu entfernen - eine fiktionale Gratwanderung zwischen Revolution und Hommage. Dracula beispielsweise sucht seine Beute mit Bedacht und schon auch mal auf Tinder aus. Dazu gibt es pointierte Dialoge, eine geschickte Dramaturgie und Grusel auf ziemlich hohem Niveau.

Zu sehen bei Netflix

Neuheit: Bad Banks, Staffel zwei

In der ersten Staffel von Bad Banks hat Jana Liekam (Paula Beer) beinahe einen Bankencrash ausgelöst, in der zweiten arbeitet sie immer noch bei der Deutschen Global Invest, hat aber ein neues Ziel: Sie will nach Berlin, wo die Bank in neue, moderne Finanzprodukte investiert. Gemeinsam mit Thao (Mai Duong Kieu) und Adam (Albrecht Schuch) übernimmt sie das Start-up Green Wallet. Drum herum gibt es wie gewohnt Intrigen, Machtspiele und einen nicht gerade optimistisch stimmenden Einblick ins Bankengeschäft.

Zu sehen in der ZDF-Mediathek

Evergreen: Sopranos

Tony Soprano steckt in der Midlife-Crisis. Die Haare lichten sich, die Kinder kommen in die Pubertät und die Ehe war auch schon mal besser. Ach ja, und dann sind da noch die beruflichen Probleme: Tony ist der Chef eines Mafia-Clans aus New Jersey, hat zahllose Leichen im Keller, eine Crew, die man nur als Gurkentruppe bezeichnen kann, und diverse externe und interne Konkurrenten, die ihn gerne tot sehen würden. Eine ausgewachsene Depression samt Panikattacken ist die Folge, so dass sich dieser knallharte Mafioso, der keine Schwäche zeigen will, nun notgedrungen in psychotherapeutische Behandlung begeben muss. Der amerikanische Filmemacher David Chase schuf mit den Sopranos in den frühen Zweitausenderjahren eine Serien-Ikone, nach der nichts mehr so war wie zuvor, und die einen einigermaßen paradoxen Effekt hat: Man weiß, dass das alles nur böse enden kann, aber man will trotzdem immer weiter gucken.

Zu sehen bei Sky

Entdeckung: Bored to Death

Jonathan Ames (Jason Schwartzman) ist eigentlich ein vielversprechender New Yorker Nachwuchsautor, der an seinem zweiten Roman arbeitet. Uneigentlich verbringt er seine Zeit mit dem Konsum von Marihuana, Weißwein und Raymond-Chandler-Kriminalromanen. Als seine Freundin ihn verlässt, beschließt er, etwas an seinem Leben zu ändern und schaltet eine Annonce als Privatdetektiv. Es folgt eine Aneinanderreihung kurioser Kriminalfälle, angereichert mit neurotischen Großstadt-Konversationen, ein ganz famoser und sehr lustiger Genremix aus Woody Allen und Film Noir also.

Zu sehen bei Sky

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