Als Sklave ging es Henry Shackleford besser. Sein Herr gab ihm ausreichend zu essen, er wurde selten geschlagen. Aber nun zieht der junge Schwarze mit einem Trupp verblendeter Chaoten durch Amerikas Mittleren Westen, muss sich ständig verstecken und darf nicht mal er selbst sein. Henry ist Henrietta, genannt Onion.
Als der Abolitionist John Brown in den Salon kommt, in dem Henrys Vater als Barbier arbeitet und sein Sohn Schuhe poliert, kommt es zur Auseinandersetzung zwischen Brown und Henrys Master. Henrys Vater wird erschossen, der Sklavenhalter zumindest außer Gefecht gesetzt und Henry befreit. Aber durch ein Missverständnis hält Brown den schwarzen Jungen für ein Mädchen, Henrietta, und so muss Henry fortan Kleider tragen. Weil, wie er bemerkt, "Schwarze, die tun, was ihnen gesagt wird und ihren Mund halten, am längsten leben".
Immer wieder wurde Ethan Hawkes fulminante Miniserie The Good Lord Bird verschoben, zunächst sollte sie im Februar anlaufen, dann im August, nun ist es Oktober geworden. Sie zeigt ein historisches, tief gespaltenes Amerika. Am Ende eines Jahres, in dem auch das heutige gespalten ist. In den USA fiel die Ausstrahlung nun mitten in den Präsidentschaftswahlkampf.
Sein Protagonist polarisiert. John Brown, den es wirklich gegeben hat, ist ein fanatischer Prediger. Er hat sein Amt, seine Familie - er zieht mit mehreren Söhnen durchs Land - und sein Leben dem höheren Ziel verschrieben, die Sklaverei abzuschaffen. Komme, was und wer da wolle. Sein Kampf geschieht in der Zeit des "Bleeding Kansas", als die Bürger im Mittleren Westen frei entscheiden konnten, ob sie Sklaven halten wollen oder nicht. Als Brown 1859 das Waffenarsenal in der kleinen Stadt Harpers Ferry im heutigen West Virginia angriff, war das einer der Auslöser für den späteren Amerikanischen Bürgerkrieg.
Hawke hat nicht nur das Drehbuch geschrieben und die Serie produziert, er spielt den Abolitionisten auch selbst, und zwar mit Furor. Dass The Good Lord Bird eine Herzensangelegenheit war, merkt man, wann immer Hawke zu sehen ist. Wenn er sich in Rage redet, tropft Speichel in seinen langen Bart. Ohne Luft zu holen, zitiert er Bibelverse, und bevor er mit seinen Leuten zum Angriff gegen die Sklaverei-Verfechter übergeht, lässt er markerschütternde Schreie los. Hawke lässt Brown Prediger, Irren, Propheten und Killer zugleich sein. Aber eines nicht - einen Helden.
Das liegt an der Romanvorlage von James McBride (auf Deutsch: "Das verrückte Tagebuch des Henry Shackleford"), für die der Autor 2013 mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde. McBride schildert die Geschichte aus der Perspektive des jungen Sklaven Henry Shackleford. Dessen Blick auf den vermeintlichen weißen Retter - in der Serie kommen Henrys trockene Kommentare aus dem Off - lässt Brown zur Karikatur verkommen. Und dass sich Hawke an die Romanvorlage und nicht an die historisch belegte Geschichte hält, erlaubt ihm auch, ziemlich frei mit den Fakten umzugehen. So heißt es im Vorspann der Serie: "Alles ist wahr. Das meiste davon ist geschehen."
The Good Lord Bird ist komisch, aufwühlend und grausam zugleich. In einer Szene diskutieren zwei Sklaven herrlich ernsthaft darüber, ob sie nun Cousins zweiten oder dritten Grades sind, in einer anderen erleidet die Sklavin Sibonia Todesqualen am Galgen, während Nina Simones "I shall be released" aus dem Off läuft.
Am besten sind die Szenen zwischen den ambivalenten Figuren Brown und Henry "Onion" Shackleford. John Brown erkennt in seinem blinden Fanatismus weder, dass seine neu gewonnene Tochter eigentlich ein Junge ist, noch hat er Hemmungen, brutale Gewalt gegen alle anzuwenden, die ihm in seiner Überzeugung nicht folgen. Eben noch zitiert er Bibelverse, dann enthauptet er einen weißen Farmer. Henry auf der anderen Seite spielt das Verwechslungsspiel mit, um zu überleben. Aber auch, weil er die Vorteile erkennt, die man als Mädchen durchaus genießt - die anderen Männer tragen die Waffen.
Das meiste über wahre Menschlichkeit erfährt der Junge aber nicht vom religiösen Eiferer Brown, sondern von anderen Schwarzen. Sie erkennen seine Verkleidung im Gegensatz zu den Weißen sofort und bewahren das Geheimnis für sich, verraten sich aber zum eigenen Vorteil auch schon mal gegenseitig.
Joshua Caleb Johnson gibt seinem Henry die richtige Mischung aus Naivität, Ironie und Klugheit. Denn Henry entlarvt Brown auf seine Weise. Als der Prediger ihn bittet, bei potenziellen Geldgebern für ihren Kampf zu erzählen, wie schlecht es ihm in der Sklaverei ergangen sei, erwidert der Junge, er leide erst Hunger, seit er mit Brown unterwegs sei. Er ist von der Sklaverei in eine andere Form der Knechtschaft geschlittert. "Was auch immer er glaubte, er glaube daran", erzählt Henry Shackleford anfangs aus dem Off. "Es machte ihm nichts aus, ob es wahr war oder nicht. Er änderte die Wahrheit einfach, bis sie ihm passte. Er war ein richtiger weißer Mann."
The Good Lord Bird, freitags um 20.15 Uhr in Doppelfolgen auf Sky Ticket* und Sky Go*
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