"SanPa" auf Netflix:Zweifelhafter Helfer

Lesezeit: 2 min

Vincenzo Muccioli mit seinen "Ragazzi". (Foto: Netflix)

Vincenzo Muccioli gründete das Drogenrehabilitationszentrum San Patrignano in der Nähe von Rimini. Eine Netflix-Serie beleuchtet die Arbeit des Gründers - und sorgt in Italien für heftige Debatten.

Von Francesca Polistina

Vincenzo Muccioli war einer, der sich gerne um Bedürftige kümmerte. Er war ein Mann von großem Charisma und großer Statur: 1,90 Meter groß und kräftig, damit fiel er sowieso auf. Wenn man sich die Bilder von damals, Ende der Siebzigerjahre anschaut, wirkt er wie ein Riese: Muccioli stets in der Mitte, drumherum seine "ragazzi", wie er sie nannte. Seine Ragazzi - das waren die Gäste des Entzugszentrums San Patrignano in der Nähe von Rimini, das Muccioli 1978 gegründet hatte. Zunächst eine kleine Gemeinde, familiär geführt und improvisiert, ein Dutzend Menschen, die das Heroin hinter sich lassen wollten, jung und verzweifelt. Mit der Zeit wurde daraus das größte Drogen-Rehabilitationszentrum Europas.

Die Geschichte des Entzugszentrums San Patrignano ist nun in einer italienischen Doku-Serie für Netflix verarbeitet worden. "SanPa: Die Sünden des Retters" heißt sie, wobei mit "Retter" natürlich Muccioli gemeint ist: ein Helfer, ohne Zweifel, aber auch ein Megalomane, der harte, sogar gewalttätigen Methoden nicht scheute. Etwa, wenn jemand sich gegen die strikten Regeln des Zentrums wehrte. Oder wenn jemand abhauen wollte, weil der Sirenengesang der Droge unwiderstehlich war. Womit wir schon bei einer der Hauptfragen der Serie sind: Wo verläuft die Grenze zwischen " gut gemeint" und Freiheitsberaubung? Wie weit darf man gehen, um jemanden von der Sucht abzubringen? Und was ist legitim, um ein Entzugszentrum - für viele die letzte Hoffnung - vor der öffentlichen Meinung und vor der Justiz zu schützen?

Die Serie erzählt in fünf einstündigen Episoden von Aufstieg und Fall des Vincenzo Muccioli, von der anfänglichen Verehrung bis zu seinem bitteren Tod. Sie ist aber gleichzeitig die Geschichte einer bedeutenden italienischen Epoche: Anfang der Achtzigerjahre gingen die sogenannten "bleiernen Jahre" voll von terroristischen Anschlägen zu Ende. Was blieb, war eine heftige Drogenkrise, auf die der Staat desinteressiert reagierte und die im kollektiven Gedächtnis immer noch zu selten vorkommt. Anfang der Neunzigerjahre wird die Lage nicht besser: Die Aids-Epidemie verbreitet sich rasch, auf San Patrignano schlägt sie heftig durch, selbst sein Gründer, so die inoffizielle Version, soll daran gestorben sein.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Seitdem sind 25 Jahre vergangen. Dass es sich dabei um keine verheilte Wunde handelt, zeigt die Tatsache, dass über die Serie in Italien heftig diskutiert, ja sogar gestritten wird. Muccioli ist zwar tot, doch das Drogenzentrum San Patrignano existiert noch und distanziert sich von der Netflix-Erzählung, die zu parteiisch und oberflächlich sei und zu viel Platz den kritischen Stimmen lasse. Ein Argument, das die Autoren der Serie vorab in Kauf genommen hatten. Dem Corriere della Sera sagte Drehbuchautor Carlo Gabardini: "Wir wollten eine Geschichte in ihrer Komplexität erzählen, ohne eine der tausend beteiligten Parteien zu erfreuen." Am Ende überwiegt ein Mischgefühl, der Eindruck, dass Gut und Böse zu eng verflochten sind, um eine dezidierte Meinung zu haben. Aber das ist, könnte man sagen, auch das große Verdienst der Serie.

San Pa: Die Sünden des Retters, bei Netflix.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Fernsehen und Streaming
:Das sind die Serien des Monats

"Bridgerton" ist bonbonfarbene Gesellschaftskritik, "The Undoing" ist ein fantastisches Krimi-Thriller-Drama und "Bir Başkadır" sorgt in der Türkei für Debatten. Die Empfehlungen im Dezember.

Von SZ-Autoren

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: