Serien-Revival:Neuauflage von "Akte X": Ein Monster geht immer

Die neuen Folgen 'Akte X' ab Montag auf ProSieben

Scully (Gillian Anderson) und Mulder (David Duchovny) haben sich bei ihrem Wiedersehen nicht viel zu sagen - das verwundert angesichts der gemeinsamen Geschichte.

(Foto: obs)

Scully und Mulder sind zurück. Doch "Akte X" hat 2016 ein Problem: Verschwörungstheorien rund um dunkle Regierungsmachenschaften sind überstrapaziert.

TV-Kritik von Michael Moorstedt

Manchmal können einem Fernsehsender wie düstere Labore vorkommen, in denen ethisch fragwürdige Experimente stattfinden. Sogenannte Crossovers, Reboots oder Spin-Offs - unterambitionierten TV-Machern stehen eine ganze Menge Instrumente zur Verfügung, um eine Seriengeschichte über ihr natürliches Ende hinaus am Leben zu erhalten. Zahllose Serien werden so der Restaurierung unterzogen. Egal, ob 24, Twin Peaks oder die Gilmore Girls; zuletzt hat es sogar den 80er-Jahre-Haudegen MacGyver erwischt.

Unter all diesen Reanimierungs-Verfahren ist das Revival mit Sicherheit das ehrlichste - man arbeitet so weit wie möglich mit der gleichen Besetzung. Und zugleich ist es am schwierigsten durchzuführen. Wie gut haben sich die Original-Darsteller gehalten? Ist das Original-Setting noch zeitgemäß?

Im Falle von Akte X, das nun als sechsteilige Miniserie zurück ins deutsche Fernsehen kommt, gesellen sich zu diesen Fragen noch ein paar weitere: Wie überbrückt man mal eben die 14 Jahre, die seit der letzten Staffel vergangen sind? Und wie zeitgemäß ist der Ausgangspunkt einer Serie, deren erste Episode vor bald einem Vierteljahrhundert lief? Was ja auch bedeutet, dass ein nicht unerheblicher Teil der werberelevanten Zielgruppe von heute damals entweder noch nicht geboren war oder von seinen Eltern das Anschauen der kaum grusligen Serie verboten bekam.

Duchovny ist ähnlich derangiert wie in Californication

Man wollte "der vergangenen Zeit Rechnung tragen", sagte Serienerfinder Chris Carter vor der Premiere der neuen Pilotfolge. Und so sieht man Dana Scully (Gillian Anderson) in der Jetztzeit, wie sie sich als verhärmte Krankenhaus-Chirurgin verdingt. Ihr ehemaliger Partner Fox Mulder (David Duchovny) ist gänzlich abgetaucht. Duchovny sieht dabei ähnlich derangiert aus wie zuletzt in der Serie Californication, wenn auch aus gänzlich anderen Gründen.

Als sie wieder aufeinandertreffen, haben sie sich zunächst wenig zu sagen. Was ein bisschen seltsam ist, schließlich haben die beiden Rollen nicht nur neun TV-Staffeln und zwei Kinofilme zusammen überstanden, sondern auch diverse Schicksalsschläge: Depressionen, eine Krebserkrankung, eine Affäre und außerdem noch ein gemeinsames Kind, das Scully, um es zu schützen, zur Adoption freigab.

In gar nicht mal so eleganten Rückblenden wird die Roswell-Geschichte erzählt

Bei so viel emotionaler Altlast ist es deshalb vielleicht kein Wunder, dass Scully auf die Frage "Vermissen Sie es nicht, die X-Akten" zunächst nur einen müden Blick übrig hat. Es gibt aber auch so viel narrative Altlast, dass die Autoren für Mulder erst mal einen mehrminütigen Monolog geschrieben haben, der noch mal kurz die Dinge darlegt: Ufos, Regierungsverschwörung, alles so weit bekannt.

Einmal wiedervereint treffen Scully und Mulder auf Geheiß ihres ehemaligen Chefs Skinner (Mitch Pileggi) auf den ultrarechten Online-Populisten Tad O'Malley (Joel McHale). Der ist sogar noch paranoider als Mulder selbst. Als Inspiration für die Figur dient wohl zu gleichen Teilen Fox-Moderator Bill O'Reilly und die 9-11-Truth-Bewegung. Dieser geschniegelte Untergangsprophet O'Malley, den seine eigene Version der Wahrheit ganz nebenbei reich gemacht hat, präsentiert den abgehalfterten Agenten einmal mehr ein vermeintliches Opfer außerirdischer Entführungen. In gar nicht mal so eleganten Rückblenden wird gleich nochmal die Roswell-Geschichte erzählt.

Schließen sich Nostalgie und Science-Fiction nicht aus?

Dieses Serien-Revival scheint vor allem deshalb ein unerhörtes Unterfangen zu sein, weil das Original so monolithisch im TV-Kanon der 90er-Jahre existiert. Akte X hat damals ein ganzes Genre, wenn nicht schon begründet, dann doch zumindest wiederbelebt - noch heute zehren Serien wie Grimm oder Supernatural davon. Die Serie hat zudem noch eine ganze Reihe von Nobodys zu Entertainmentgrößen gemacht: Neben den Hauptdarstellern Duchovny und Anderson ist da vor allem Vince Gilligan zu nennen, der 1994 als Autor bei Akte X anfing und später eine Serie namens Breaking Bad erfinden sollte.

Akte X - Gründer-Mutation

Mulder (David Duchovny) und Scully (Gillian Anderson) gehören zum TV-Kanon der 90er, aber man sieht es ihnen nicht an. Ist das nicht unheimlich?

(Foto: Ed Araquel)

Schließen sich Nostalgie und Science-Fiction nicht doch irgendwie zu sehr aus? Auch das Original war ja schon ein Retro-Produkt, das ausgiebig die Ufo-Paranoia und Pulp-Kultur der 1950er-Jahre zitierte. Und schließlich sind Mulders und Scullys Sprüche und die Ästhetik der Serie mittlerweile von den Simpsons über The Big Bang Theory bis hin zu Breaking Bad schon so oft von der Popkultur wiedergekäut worden, dass das Revival bisweilen wie ein postmodernes Zitat auf sich selbst wirkt.

Nach den ersten Episoden wird klar, dass das Produktionsteam auf den gewohnten Rhythmus zurückgreift. Das heißt, die erste Folge widmet sich der großen Verschwörungstheorie, die beiden nächsten könnten auch gut für sich alleine stehen. Hier zeigt sich, wo Akte X auch heute noch am stärksten ist: Nicht dann, wenn mal wieder die Hauptgeschichte um Alien-Hybride und Geheimverträge mit einer ganzen Handvoll außerirdischer Fraktionen erzählt wird. Stattdessen geht es um das gute alte, ehrliche "Monster der Woche", das man in einer Dreiviertelstunde einführen und abmurksen kann. Mit wohlwollenden Schaudern erinnert man sich an den Mann mit dem Schatten aus Antimaterie oder den mutierten mannsgroßen Wurmparasiten. Zum Erfolg der Serie trug maßgeblich bei, dass sie sich in diesen Folgen selbst nicht allzu ernst nahm.

Chris Carter und sein Team haben offenbar verstanden, dass das Alien an sich nicht mehr als übernatürlicher Oberschurke taugt. Es ist halt einfach, nun ja, zu abgehoben. Und so geht Mulder auf, dass hinter der Verschwörung, der er sein gesamtes Leben gewidmet hat nur eine weitere Verschwörung steckt: "Sie überwachen uns, spionieren uns aus, behaupten, es geschehe zu unserer eigenen Sicherheit - dabei waren wir nie mehr in Gefahr."

Ein schaler Nachgeschmack

Der kulturelle Nährboden auf den die wiederbelebte Akte X trifft, könnte ja auch gar nicht reichhaltiger sein. Und die Macher nutzen ihn nur zu gerne aus. Sie blenden Original-Videomaterial von Barack Obama und George W. Bush ein, bemühen Bilder von Irakkrieg, 11. September, Klimakatastrophe, Drohnenkrieg, Internet-Überwachung und geistlosem Konsum, um zu verdeutlichen, dass die Wahrheit, wie Mulder sagen würde, noch immer "irgendwo da draußen" liegt.

Das gibt Akte X in seiner zehnten Staffel einen weiteren Dreh, hinterlässt aber auch einen schalen Nachgeschmack. Verschwörungstheorien rund um dunkle Regierungsmachenschaften boten nun mal einen viel angenehmer aushaltbaren Grusel, als noch nicht gefühlt die Hälfte der Bevölkerung dem Thema als Hobby im Internet nachging.

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