Provinz in deutschen Serien:Es könnte deine Kleinstadt sein

How to sell drugs online (fast

Gymnasium, Gartenschlauch, Laubbläser: Moritz (Maximilian Mundt) aus "How to Sell Drugs Online" im fiktiven Örtchen Rinseln.

(Foto: Netflix)

"Dark", "How to sell drugs online (fast)", "Das Verschwinden": Deutsche Serien spielen vor allem in der Provinz - in fiktiven Kleinstädten. Wieso? Eine Spurensuche.

Von Carolin Gasteiger

Wer im Ausland in den vergangenen Wochen Netflix geschaut hat, könnte Angst vor der deutschen Provinz bekommen. Abseits von Metropolen, so wirkt es, wird hierzulande besonders grausig gemordet oder mit Drogen gedealt. Die Menschen sind seelisch verhärmt. Sie verschwinden in Kellern und manchmal sogar in Zeitschleifen. Das liegt vor allem an zwei Formaten: Vor einem Monat veröffentlichte Netflix mit der dritten Staffel von Dark den finalen Zyklus seiner Mystery-Serie. How to sell drugs online (fast) läuft gerade in der zweiten Staffel. Vor ein paar Jahren veröffentlichte Hans-Christian Schmid außerdem die Krimiserie Das Verschwinden im Ersten. Alles Formate, die von Kritik und Zuschauern gleichermaßen gelobt werden, und denen eines gemein ist: Sie schildern die Provinz als düster und bedrohlich.

Und noch etwas eint sie: Die Orte, in denen die Serien spielen, sind alle frei erfunden.

Dark
Staffel 3

Nach einer realen Kleinstadt mit weiten Kiefernwäldern, Höhle und einem Atomkraftwerk hätten die Macher wohl lange suchen müssen: Szene aus "Dark".

(Foto: Netflix)

Dark etwa, dieses herrlich heillose Durcheinander an Familienverflechtungen, Vermisstenfällen und Zeitreisen, ist im fiktiven Winden angesiedelt. Einem Ort mit düsteren Kiefernwäldern, begehbarer Höhle und einem Atomkraftwerk. Das Setting von How to sell drugs online (fast), in dem Schüler - lose angelehnt an eine wahre Geschichte aus Leipzig - übers Darknet Drogen verkaufen, heißt Rinseln. Eine deutsche Kleinstadt, wie der Protagonist in einer der ersten Folgen betont: Gymnasium, Gartenschlauch, Laubbläser. Bei Das Verschwinden leben junge Mädchen im fiktiven Forstenau im Drogensumpf, eine alleinerziehende Mutter verzweifelt, Autos fahren auf langen, leeren, dunklen Landstraßen, und die naheliegende tschechische Grenze wirkt nicht beruhigender - von dort kommt das Crystal Meth. So weit, so real.

Kaum etwas ist so universell wie die Provinz

Aber warum sind dann all diese Orte fiktiv? Kaum etwas ist schließlich von Haus aus schon so universell wie die Provinz. Kaum etwas funktioniert international so ähnlich. Überall. Warum dann die zusätzliche Entfremdung? Lassen sich die Geschichten so noch besser erzählen? Oder hat es ganz pragmatische Gründe? Wollen die Macher reale Orte schützen?

Provinz in deutschen Serien: Dass "Breaking Bad" in Albuquerque spielt, hat auch finanzielle Gründe.

Dass "Breaking Bad" in Albuquerque spielt, hat auch finanzielle Gründe.

(Foto: Frank Ockenfels 3/AMC)

Es gibt ja gute Gründe, einem Ort nicht auf ewig das Crystal-Meth-Etikett zu verpassen. Und welche Stadt möchte schon gern Pate stehen für verschwundene Kinder, die in Zeitschleifen festhängen? Neapels Stadtviertel Scampia, vorher bereits berüchtigt für Gewalt und Drogenhandel, konnte durch die Mafiaserie Gomorrha sein kriminelles Image jedenfalls nicht abschütteln. Nach dem Erfolg von Narcos fragen Besucher im kolumbianischen Medellìn regelmäßig nach Pablo Escobar. Und in Albuquerque, der 560 000-Einwohnerstadt in New Mexico, in der Walter White in Breaking Bad Crystal Meth kochte, werfen Fans noch immer Pizzas auf das Dach seines Serienhauses. Sie imitieren damit eine berühmte Szene aus der Serie. Aber bei aller Liebe: Wer mag Pizza schon auf dem Dach?

Wenn die Handlung nicht lokal begrenzt sein soll

Anfrage bei Hans-Christian Schmid also, Autor und Regisseur von Das Verschwinden. In der Krimiserie von 2017 geht es ebenfalls um den illegalen Handel von Crystal Meth, allerdings an der bayerisch-tschechischen Grenzregion. Autos fahren darin mit Chamer oder Deggendorfer Kennzeichen herum. Aber: Das Verschwinden spielt weder im oberpfälzischen Cham noch im niederbayerischen Deggendorf. Warum?

Schmid holt ein wenig aus. Grundsätzlich hält er es nämlich für eine Stärke, wenn der Schauplatz einer Geschichte genau verortet werden kann. "Bei uns sollte dieser Ort die deutsch-tschechische Grenze sein." Aber: Auf eine bestimmte Stadt sollte sich die Handlung nicht beziehen. "Die Themen, die wir in Das Verschwinden verhandeln, sind nicht lokal begrenzt", sagt der Regisseur.

Je fiktiver also der Ort, desto freier die Handlung, desto internationaler funktioniert sie? Die gruseligen Vorfälle aus dem Neunziger-Jahre-Serienhit Twin Peaks hätten sich in ihrer Häufung wohl kaum so in einer realen Stadt zutragen können. Vielleicht ein grausamer Mord, ja, aber das allein reichte David Lynch nicht für seine Serie. Er erfand für das fiktive Twin Peaks auch noch eine dunkle Hütte im Wald und die Log Lady mit ihren übersinnlichen Kräften. All das entfaltet sich fantastisch in der nicht ganz konkret bestimmten Provinz. Fiktionalisierung bringt Freiheit.

Eine Rolle spielen auch finanzielle Gründe

Und die dürfte, neben ein paar praktischen Erwägungen, den Ausschlag geben. Klar: Nach einer realen Kleinstadt mit weiten Kiefernwäldern, Höhle und einem Atomkraftwerk hätten die Dark-Macher wohl lange suchen müssen. Unter Umständen kann es teurer sein, ein Filmteam in eine nicht erschlossene Umgebung zu bringen, als diese einfach selbst zu erschaffen. So ist die Höhle aus Dark nachgebaut. Breaking Bad hätte ursprünglich im Süden Kaliforniens spielen sollen. Aber kurz vor Drehbeginn wurde bekannt, dass die Filmförderung in New Mexico geändert wurde und man dort schlicht mehr Geld bekommen würde, wie Drehbuchautor Vince Gilligan vor ein paar Jahren in einem Interview erzählte. Entscheidender ist aber die erzählerische Ebene. Und die sagt: Winden ist überall - noch mehr, wenn es fiktiv ist.

Das Verschwinden (AT)

Dorfdisco und Grenznähe: Szene aus "Das Verschwinden".

(Foto: ARD Degeto/23/5 Filmproduktion)

Schriftsteller Andreas Maier hat einmal in der Zeit über die Provinz geschrieben: "In der Großstadt, denkt man, ballt sich mehr. In der Provinz gibt es höchstens mehr Bäume. Oder mehr weniger Menschen. Überhaupt mehr Weniger. Das wird dann an ihr gemocht."

Für die Provinz gelten weltweit ähnliche Regeln - auch des Erzählens

Dieses Weniger lässt sich für Serienmacher hervorragend ausreizen. Man kann in dieses Weniger alles Dunkle, Böse, Undurchsichtige packen, das sich in der Großstadt nicht so frei entfalten könnte - oder in der Masse sofort unterginge. Anders als in Berlin, New York oder Tokio gelten für die Provinz außerdem weltweit extrem ähnliche Regeln. Und die bringen zwangsläufig eine ganz eigene Art des Erzählens mit. In Winden - und damit in der ganzen Welt.

Wenn bei Dark jeder von den Affären der anderen weiß, beeinflusst das die Geschichte ganz anders, als es in der anonymen Großstadtatmosphäre Berlins möglich wäre. Auch einen so schmierigen Dealer wie Buba aus How to sell drugs online (fast) lässt vielleicht nur eine Kleinstadt so gedeihen. Kelly Luegenbiehl, bei Netflix für internationale Produktionen zuständig, erläuterte in einem Interview zu Dark, dass "großartige Storys keine nationalen Grenzen kennen".

Anders gesagt: Indem Serien in der fiktiven Provinz spielen, suggerieren sie vor allem, dass ihre Handlung nirgends geschieht - und damit zugleich überall. Schauriger Subtext: Es könnte auch in deiner Kleinstadt passieren.

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