Süddeutsche Zeitung

Fernsehen und Streaming:Das sind die Serien des Monats

"I may destroy you" ist detektivisches Psychogramm und Generationenporträt, in "Das Damengambit" geht es um mehr als Schach und in "Barbaren" hört man wunderschönes Latein. Die Empfehlungen im Oktober.

Von SZ-Autoren

Hausen

Was passiert: Hausmeister Jaschek (Charly Hübner) zieht mit Sohn Juri (Tristan Göbel) an den neuen Ort seines Wirkens: ein maroder Plattenbau, der bedrohlich und scheinbar endlos in frostige Höhen ragt. Im Inneren tropft und glitscht es an allen Enden. Wände werden weich und wieder hart, Dinge und Menschen verschwinden, und aus den Versorgungsschächten hallen Stimmen aus der Vergangenheit. Verbunden ist alles durch eine unheimliche schwarze Substanz und die Einsicht: Jaschek bekommt hier erst mal gar nichts in den Griff. Das ist bemerkenswerter deutscher Mystery-Horror.

Heimlicher Star: Die Teenagerin Loan (Andrea Guo), die unbeeindruckt vom dunklen Bann des Hauses ihren Weg einschlägt. Würde Juri sich mal lieber an sie halten und der Jungsbande aus dem Weg gehen.

Nicht geeignet für: Schreckhafte mit niedriger Ekeltoleranz - denn es gibt viele schauerhafte Schleimszenen. Aushalten können muss man auch den Achtzigerjahre-Ost-Look: Die (großartige!) Ausstattung staubt förmlich vor beigen Polstermöbeln, Trenchcoats, Pelzmützen und Neonröhren. Aurelie von Blazekovic

Acht Folgen, ab 29.10. auf Sky

Das Damengambit

Was passiert: Nach dem Tod ihrer Mutter wird die achtjährige Beth Harmon in ein Waisenhaus gebracht. Dort gibt es nicht nur Pillen, die beim Einschlafen und Halluzinieren helfen, sondern auch einen Hausmeister (Bill Camp), der Beth das Schachspielen beibringt. Bald stellt sich heraus: Beth ist ein Naturtalent. In den nächsten vierzehn Jahren, die die Serie sie begleitet, spielt sie sich durch Schachturniere auf der ganzen Welt - ab und zu abgelenkt von ihrer Alkoholsucht.

Heimlicher Star: Gleich zwei ehemalige Kinderstars in groß: Harry Beltik, ein Konkurrent von Beth wird gespielt von Harry Melling, bekannt als Dudley Dursley aus den "Harry Potter"-Filmen. Und den US-Champion Benny Watts spielt Thomas Brodie-Sangster - er war der kleine, rothaarige Junge in "Tatsächlich ... Liebe".

Nicht geeignet für: Klugscheißer. Beth müsste als Frau nämlich bei der Schachweltmeisterschaft der Frauen antreten und nicht bei den Männern. Aber wen kümmert's? Theresa Hein

Sieben Folgen, auf Netflix

Barbaren

Was passiert: Im Jahr 9 nach Christus ist Germanien von den Römern besetzt, und langsam finden die Barbaren das nicht mehr so lustig: Sie sollen Abgaben entrichten, sonst werden sie gedemütigt, geköpft oder gekreuzigt. Im Schlepptau von Statthalter Varus kommt Arminius (sehr gut: Laurence Rupp) zurück in den schlammigen deutschen Wald. Seine Geschichte ist historisch belegt: Als Cherusker geboren, wurde er als Friedenspfand nach Rom gebracht und dort zum Soldaten ausgebildet. Mittlerweile ist er Ritter und soll helfen, die Stämme endgültig zu unterwerfen. Aber es kommt anders. Der Urwald spricht zu ihm, Arminius spürt unter den alten Eichen seine Wurzeln - und wendet sich gegen Rom. Am Ende steht, wie in den Geschichtsbüchern, die Schlacht im Teutoburger Wald.

Heimlicher Star: Sophie Rois schimmert im dunklen Urwald: Sie spielt, stark verkleidet und mit schwarz angemaltem Gesicht, die Seherin des germanischen Dorfs. Die steht zwar mit den Göttern in Kontakt, weiß aber auch ganz genau, was im Hier und Jetzt für Ränke geschmiedet werden.

Nicht geeignet für: Leute, die kein Blut sehen können. Klar, es geht um Barbaren und Krieg, aber die Kamera hält wirklich schamlos auf jeden Mord, auch jenseits vom großen Gemetzel an den Römern. Das hätte nicht sein müssen, denn Barbaren hat einiges zu bieten - von der großartigen Besetzung bis hin zum wunderschönen, italienisch angehauchten Latein, das die Besatzer sprechen, als wäre es eine lebendige Sprache. Kathleen Hildebrand

Sechs Folgen, auf Netflix

Teheran

Was passiert: Der israelische Geheimdienst Mossad schleust eine persischsprachige Agentin nach Teheran ein: Sie soll als IT-Expertin einen großen Schlag gegen Irans Atomprogramm vorbereiten. Doch der Auftrag wird schwieriger als geplant. Die Agentin muss mit gefährlichen Gegnern fertigwerden: Irans Geheimpolizei, Revolutionswächtern, Drogenhändlern - und den eigenen Gefühlen von Liebe, Schuld und Zweifel. Spannende israelische Serie vor dem Hintergrund eines realen Konfliktes. Und großartig: die israelische Schauspielerin Niv Sultan als Mossad-Spionin.

Heimlicher Star: Der andere Iran. Die Raver, die aufmüpfigen Studenten, die einfachen Leute. Teheran zeichnet ein vielfältiges Bild einer Gesellschaft im Wandel.

Nicht geeignet für: alle, die die Welt ausschließlich in Gut und Böse einteilen. Joachim Käppner

Acht Folgen, freitags auf Apple+

Babylon Berlin

Was passiert: Berlin 1929. Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) und Gereon Rath (Volker Bruch) arbeiten in der dritten Staffel der Serie an einem Mordfall in den Filmstudios Babelsberg. Der Leinwandstar Betty Winter ist während der Dreharbeiten von einem Scheinwerfer erschlagen worden, was kein Unfall war. Währenddessen werden die Nazis mächtiger, brutaler und organisierter, und das Dienstmädchen Greta (Leonie Benesch) steht vor Gericht. Ihr droht die Todesstrafe.

Heimlicher Star: Sabin Tambrea als Tristan Rot - nervenschwacher und gleichwohl leidenschaftlich dem Okkultismus huldigender Ehemann des Mordopfers. Er wirkt, als wäre er direkt aus einem expressionistischen Film gefallen.

Nicht geeignet für: Alle, die Babylon Berlin bloß wegen der enthemmten Nächte im Moka Efti mochten. Das Etablissement liegt still. Unruhiger werden nicht die Tanzbeine, sondern die Zeiten. Claudia Tieschky

Zwölf Folgen, in der ARD Mediathek

The Walking Dead - World Beyond

Was passiert: Zombies kommen ja immer wieder, so wie jeden Herbst neue Staffeln von The Walking Dead. Im bereits zweiten Ableger "World Beyond" ist es vor allem gruselig, wie abgenutzt das Ringen um die Zivilisation und das Überlebenskampfprinzip der Serie mittlerweile sind. Immerhin soll dieses Mal endlich geklärt werden, woher das Zombievirus eigentlich kommt. Darauf warten die Fans seit zehn Jahren.

Heimlicher Star: Trotz allem natürlich noch immer die Zombies, auch wenn sich World Beyond um einen möglichst diversen Cast bemüht. Die Maskenbildner der Serie haben wirklich ein beeindruckendes Niveau erreicht.

Nicht geeignet für: Angsthasen, Menschen, die kein Blut sehen können und alle, die schon mal eine andere Staffel von The Walking Dead gesehen haben. Nicolas Freund

Zehn Folgen, auf Amazon Prime

I may destroy you

Was passiert: Arabella (Michaela Coel) hat einen Blackout. Kurz vor der Deadline für ihr neues Buch geht sie doch noch kurz mit Freunden aus (fatal: in die Ego Death Bar). Am nächsten Morgen pocht da dieses Bild in ihrem Kopf: ein Mann, der ... sie vergewaltigt?! Nicht wissend, was passiert ist, noch nicht ahnend, dass sie mit K.-o.-Tropfen betäubt wurde, scannt Arabella jedwedes Detail aus dieser Nacht auf Hinweise. Sie geht zur Polizei, wo sie sagt, dass sie nicht mal von einer "Erinnerung" sprechen könne, nur von "dem Mann in meinem Kopf". Der kryptische Titel der Serie I May Destroy You lässt offen, wer hier eigentlich wen zerstören kann oder darf. Die Serie ist detektivisches Psychogramm und komisches Generationenporträt zugleich.

Heimlicher Star: Michela Coel, 33. Sie hat die Serie geschrieben (und fast 200 Entwürfe dazu), in einigen Folgen Regie geführt und ist Produzentin. In I May Destroy You verarbeitet sie ihre eigene Erfahrung mit sexuellem Missbrauch; es ist ihre - autofiktive - Geschichte. Und ihre Serie.

Nicht geeignet für: Eskapisten. Über zwölf Folgen hinweg verhandeln Arabella und ihre Freunde den Realismus sexueller Gewalt und die Frage, was das eigentlich genau ist: ein Täter, ein Opfer. Friederike Grasshoff

Zwölf Folgen, auf Sky

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