Serien-Autor Frank Spotnitz:"Wir Amerikaner denken: Die Bösen, das sind die anderen"

The Man in the High Castle 1

Was wäre wenn? Die USA sind in "The Man in the High Castle" unter deutsch-japanischer Kontrolle. Und eine Dissidentin (Alexa Davalos) auf der Flucht.

(Foto: Amazon Studios)

Frank Spotnitz hat "Akte X" erfunden, jetzt zeigt er mit "The Man in the High Castle" ein Amerika, das von Nazideutschland und Japan beherrscht wird. Ein Gespräch über Serien-Revivals und die Frage, ob man Nazis mögen darf.

Interview von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Frank Spotnitz ist der Mann für die Was-wäre-wenn-Fragen im amerikanischen Fernsehen. Seinen Durchbruch als Autor und Produzent schaffte er mit Akte X, danach folgten die Science-Fiction-Serien Millennium, Harsh Realm und Hunted. Mit The Man in the High Castle nach dem gleichnamigen Roman von Philip K. Dick hat er dem Streamingportal Amazon Prime kürzlich seinen bisher größten Erfolg beschert.

SZ: Mister Spotnitz, die Serie "The Man in the High Castle" verfolgt eine einfache Idee: Die Achsenmächte gewinnen den Zweiten Weltkrieg, die östlichen USA sind von Nazideutschland besetzt und der Westen von Japan. Eine schreckliche, aber mögliche Vorstellung.

Frank Spotnitz: Diese Vorstellung ist deshalb faszinierend, weil sie den Menschen noch immer Angst macht. Ein Sieg des Guten war damals nicht unausweichlich - und die nun gezeigte Alternative lässt einen darüber nachdenken: Leben wir heute wirklich nach den Idealen, für die wir damals gekämpft haben? Wir Amerikaner denken häufig: Die Bösen, das sind die anderen. Es ist uns unangenehm, wenn wir plötzlich einen Nazi sehen, der eben nicht diesen komischen Akzent hat und von der anderen Seite des Ozeans kommt - sondern der ein Amerikaner ist wie wir.

Was ist eigentlich so faszinierend an Nazis?

Es sind großartige Bösewichter! Sie haben fürchterliche Verbrechen begangen und dabei großartige Uniformen getragen. Der Zuschauer hat Nazis in Filmen und Fernsehserien jedoch derart oft gesehen, dass sie mittlerweile eher zu Comicfiguren oder Karikaturen ihrer selbst geworden sind. Ich habe nun versucht, diese Typen zu vermenschlichen. Damit eine Dramaturgie funktioniert, muss sich der Zuschauer mit den gezeigten Figuren emotional verbunden fühlen, er muss sich für sie und ihr Schicksal interessieren.

Es besteht dann jedoch die Gefahr, dass der Zuschauer mit einer Figur fiebert, die ihm von Grund auf unsympathisch sein sollte ...

Die meisten Nazis waren keine schlechten Menschen.

Da muss ich Ihnen sofort widersprechen!

Damit nur ja keine Missverständnisse entstehen: Ich will den Nationalsozialismus keineswegs verniedlichen. Es ist eines der schrecklichsten Dinge der Menschheitsgeschichte. Viele Menschen wurden getäuscht, sie sind einer teuflischen Ideologie gefolgt und haben schlimme Dinge angestellt - und doch waren sie womöglich gute Väter und Ehemänner. Sie haben ihre Familie dadurch beschützt, indem sie einen gut bezahlten Job angenommen und nicht aufgemuckt haben. Wie viele Menschen würden ihre Familie in Gefahr bringen, um gegen das System anzukämpfen? Nicht viele, glaube ich. Diesen Zwiespalt möchte ich zeigen.

Für eine Fernsehserie sind solch zwiespältige Figuren ideal.

Die Szenen, mit denen die Zuschauer in dieser Serie emotional die größten Probleme haben, sind nicht jene mit Schießereien, Explosionen und Verfolgungsjagden - es sind die Momente, in denen der Nazi-Offizier am Frühstückstisch mit seiner typisch amerikanischen Familie über Werte spricht. Es ist ein Alltag, der unserem so ähnlich erscheint und gleichzeitig so grundverschieden ist. Das finde ich faszinierend.

Sie spielen immer wieder mit der Frage: Darf man als Zuschauer diesen Nazi-Offizier mögen?

David Chase hatte bei seiner Serie The Sopranos ein ähnliches Problem. Er musste die Hauptfigur, den Mafiaboss Tony Soprano, hin und wieder so richtig unbarmherzig und brutal daherkommen lassen, um die Zuschauer zu erinnern: Dieser Typ, den ihr da ins Herz geschlossen habt, ist eigentlich ein Monster! Genau das will ich bei The Man in the High Castle auch erreichen: Die Zuschauer dürfen mit diesen Figuren fühlen - sie dürfen nur ja nicht vergessen, dass diese Charaktere für eine sehr böse Ideologie stehen.

Es war sicherlich nicht einfach, eine Serie mit dieser Thematik umzusetzen.

Zumal eine, die so viel Geld kostet wie diese. Es gibt nicht viele Menschen, die bereit sind, dieses Risiko einzugehen. The Man in the High Castle hat das Potenzial, viele Leute zu verärgern oder gar zu kränken, es ist ein sehr heikles Sujet. Es braucht Mut, in solch ein Projekt zu investieren und die Kontroverse zu akzeptieren.

"Es geht nicht mehr darum, wie viele Menschen eine einzelne Serie schauen"

Haben einige traditionelle Fernsehsender deshalb verzichtet?

Das kann ich nicht beurteilen - aber ich bin heilfroh, dass wir beim Streamingportal von Amazon gelandet sind. Wir hätten ansonsten einerseits nicht so viel Geld für die Umsetzung bekommen, andererseits hätten wir die Geschichte sicherlich nicht so erzählen können, wenn sie auf einem Fernsehsender laufen würde.

Sie hätten den Zuschauer in jeder Folge dazu verführen müssen, in der folgenden Woche wieder einzuschalten ...

Wir hätten sie völlig anders konzipieren müssen. Bei einer Fernsehserie gibt es einen dramaturgischen Motor, der in jeder Woche leicht verändert wird - das Grundkonzept bleibt jedoch gleich. Auf Streamingportalen ist es möglich, eine Geschichte behutsamer zu erzählen und den Figuren auf ihrem Weg zu folgen. Natürlich ist das auch gefährlicher.

Inwiefern?

Es ist ein anderes Genre - weil man es als Zehn-Stunden-Film betrachten kann. Mir ist jedoch noch immer wichtig, dass jedes Kapitel einen Abschluss hat und den Zuschauer zum Weiterschauen verführt.

Die Serie war Teil des Pilot-Programms von Amazon, vereinfacht ausgedrückt war es so: Die Zuschauer haben die ersten beiden Folgen von Serien gesehen und danach abgestimmt, welche sie weiterhin sehen wollen. Wie fanden Sie das?

Es war großartig - aber nur deshalb, weil den Leuten unser Projekt gefallen hat (lacht). In Wahrheit war ich ziemlich nervös: Wenn du scheiterst, dann scheiterst du in aller Öffentlichkeit. Bei Fernsehserien findet das Scheitern üblicherweise hinter den Kulissen statt, niemand bekommt etwas davon mit. Was ich jedoch nicht bedacht hatte, war die Tatsache, dass auch Erfolg in aller Öffentlichkeit stattfindet - plötzlich wollten Schauspieler, Produzenten und Autoren mit uns arbeiten, weil sie wussten, dass den Zuschauern die ersten beiden Folgen gefallen hatten.

Sollte es nicht immer so sein: Der Zuschauer bestimmt, was erfolgreich ist?

Im amerikanischen Fernsehen ist es doch seit jeher so: Eine Serie muss finanziell erfolgreich sein. Wenn es künstlerisch wertvoll ist, dann ist das die Glasur auf dem Kuchen - doch erst einmal muss der Kuchen satt machen. In Europa, gerade in England, ist es eher umgekehrt: Erst muss es gut sein, dann soll es auch noch erfolgreich sein. Mittlerweile ist, aufgrund von Pay-TV-Sendern wie HBO oder Streamingportalen wie Netflix, in den USA ein Umdenken zu erkennen: Es gibt Serien, die laufen nur deshalb, weil sie großartig sind. Es geht nicht mehr darum, wie viele Menschen eine einzelne Serie schauen.

Bei traditionellen Fernsehsendern gilt das schon noch. Es gibt derzeit ein Revival einst erfolgreicher Formate: "Akte X", "Prison Break", "Star Trek".

Es gibt ein kommerzielles Bedürfnis, diese Serien zurückzuholen - weil die Zuschauerzahlen stark rückläufig sind. Diese Titel sind das Kapital der Sender, weil die Zuschauer diese Serien und die Figuren kennen. Es ist viel schwieriger, eine neue Idee umzusetzen und darin einen Hit zu finden. Aus kommerzieller Sicht macht es also Sinn, diese bekannten Serien wiederzubeleben. Die Schwierigkeit dürfte darin bestehen, diese Projekte auch inhaltlich erfolgreich werden zu lassen. Die Frage bleibt: Gibt es einen künstlerischen Grund, diese Serien wieder aufzulegen? Bei Akte X kann ich sagen: Ja, den gibt es - es wird großartig werden.

Das müssen Sie jetzt sagen, auch wenn Sie am aktuellen Projekt nicht beteiligt sind. Sie haben einst die Alien-Mythologie mit erfunden und das Drehbuch zum ersten Film verfasst.

Ich habe keinen Zweifel, dass diese Serie auch heute noch relevant sein kann. Es ist einfach die perfekte Idee für eine Fernsehserie: Ein Gläubiger trifft auf einen Skeptiker, es geht um all die Dinge, die wir an unserem Universum nicht verstehen - und davon gibt es auch heute noch unzählige. Die Idee ist perfekt, die Frage ist nur: Wie gut wird diese Idee umgesetzt?

Wie viele Shows werden nur erneuert, um Geld zu machen?

Das amerikanische System ist darauf ausgelegt, Geld einzuspielen. So bin ich auch aufgewachsen: Ein Projekt macht nur dann Sinn, wenn es kommerziell erfolgreich ist - ansonsten lohnt es sich nicht, es überhaupt zu versuchen. Das muss einem nicht peinlich sein. Natürlich sind all diese Entscheidungen finanziell motiviert - aber es ist die Aufgabe der Autoren, diese Projekte auch künstlerisch erfolgreich werden zu lassen.

Sie hatten nun keine Zeit für "Akte X". Würden Sie jemals wieder mitmachen?

Wenn mich jemand fragt: Sofort! Ich liebe diese Sendung.

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