Serie: Wozu noch Journalismus? (7):Gratis ist der Tod

Kein französisches Vorbild, kein US-amerikanisches Horrorszenario: Wir brauchen eine neue Ökonomie des Journalismus.

Hans-Peter Siebenhaar

Wozu noch Journalismus? Die Ethik der Medienmacher ist in Gefahr: Journalisten werden zu Handlangern der Politiker, bloggen im Netz und werden durch Laien ersetzt. Wie ist der Journalismus zu retten - und wieso sollten wir das überhaupt tun? In dieser Serie - herausgegeben von Stephan Weichert und Leif Kramp - setzen sich angesehene Publizisten auf sueddeutsche.de mit dieser Frage auseinander.

Foto: AP, dpa, Grafik: sueddeutsche.de

"Wir brauchen möglichkeiten für Bezahlinhalte" - Hans-Peter Siebenhaar.

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David Cohn, ein weitgehend unbekannter Nachwuchsjournalist aus Kalifornien, wurde mit einem Schlag bekannt. Denn er hatte einen besonderen Vorschlag, wie der Qualitätsjournalismus in der schwersten Krise der amerikanischen Zeitungen gerettet werden kann: Auf seiner Webseite ruft er zu Spenden zum Recherchieren von Artikeln auf.

Zum Beispiel können Eltern die Recherche eines Reporters mit ein paar Dollar sponsern, bei der die Vor- und Nachteile lokaler Schulen untersucht werden. Fundraising für guten Journalismus heißt das neue Modell. Die wenig praxistaugliche Idee wirft ein bezeichnendes Licht auf die Krise der Zeitungen in den USA.

Die Todesliste wird länger

Die Not ist groß, die Todesliste wird immer länger: In Denver starb die Rocky Mountain News, in Seattle die Seattle Post und in Arizona der Tucson Citizen. Die Detroit News und die Detroit Free Press drucken nur noch an drei Tagen. Die Ann Arbor News in Michigan stellte im vergangenen Sommer den Betrieb ein. Der Boston Globe, eine Tochter der feinen New York Times, schrammte um Haaresbreite an einem Desaster vorbei. Gab es 1990 in den USA noch 1611 Zeitungen, waren es zur Jahrtausendwende nur noch 1480 - trotz des Werbebooms während der New Economy. 2008 Jahr sank ihre Zahl nach Angaben des US-Verlegerverbands auf den historischen Tiefstand von 1408.

Es besteht kein Zweifel: Der Qualitätsjournalismus ist auf dem Rückzug - nicht nur in den Vereinigten Staaten, dem weltweit größten Medienmarkt. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich derart verschlechtert, dass die Finanzierbarkeit von Recherchen immer öfter in Frage gestellt ist. Dabei sitzen die Zeitungen und Zeitschriften im gleichen Boot wie private Fernseh- und Radiosender.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welchen Kardinalsfehler die Medienmacher in der Vergangenheit gemacht haben.

Journalismus in der Werbefalle

Nach fünf Jahrzehnten stetigen Wachstums steht zwischen 2000 und 2009 in fünf Jahren ein Minus vor den Reklameeinnahmen. Der Werbemarkt für die klassischen Medien schmilzt seit Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise im Herbst 2009 wie Schnee unter der Mai-Sonne. Laut Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) werden dieses Jahr die Werbeausgaben voraussichtlich unter die 20-Milliarden-Grenze fallen. Der Journalismus sitzt in der Werbefalle. Er kann sich nicht mehr überwiegend von der Reklame finanzieren. Die Gratisfalle

Hans-Peter Siebenhaar, Foto: Handelsblatt/Pablo Castagnola

"Die Todesliste wird länger" - Hans-Peter Siebenhaar fordert, dass Qualität auch etwas kosten darf.

(Foto: Foto: Handelsblatt/Pablo Castagnola)

Das Pflaster für Zeitungen ist in London knallhart. Vor jeder U-Bahn-Station verschenkt der russische Milliardär Alexander Lebedev sein Traditionsblatt Evening Standard. Der ehemalige Oligarch hatte die 1857 gegründete Zeitung Anfang 2009 für einen symbolischen Preis von einem Pfund erworben. Der Evening Standard ist im Londoner Krieg der Gratiszeitungen der Gewinner - vorläufig zumindest. Denn die Konkurrenten haben wegen wirtschaftlicher Erfolglosigkeit bereits das Zeitliche gesegnet. Das Schicksal des Evening Standard ist noch offen. Nur so viel ist klar: die Briten haben sich längst daran gewöhnt, Zeitungen gratis zu bekommen. Der Brunnen des Journalismus ist vergiftet.

Das Jahr 2010 wird nicht nur in Großbritannien zur Bewährungsprobe der Verlagsbranche. Denn wirtschaftlich gibt es für Zeitungen und Zeitschriften auch in Deutschland keine Entwarnung. Eine schnelle Erholung des Werbemarktes zeichnet sich nicht ab. Optimisten gehen maximal von einem leichten Aufwärtstrend aus. Das Internet kann bislang die rückläufigen Einnahmen aus dem Anzeigengeschäft nicht ausgleichen.

Über Jahre hat das Management in den Verlagen auf eine falsche Strategie gesetzt. Im Online-Bereich haben die Medienunternehmen seit der Erfindung des Internets vor anderthalb Jahrzehnten ihre Inhalte verschenkt. Die Losung war einfach: Erst einmal die Kirche voll machen und dann den Klingelbeutel herum reichen. Ein Kardinalsfehler.

Die Subventionsfalle

Ist die Krise des Qualitätsjournalismus nicht anderes als eine Eigentumsfrage? Liegt das Heil in Zeitungshäusern, die im Besitz ihrer Leser oder Mitarbeiter sind oder von staatlichen Subventionen oder Spenden von Non-Profit-Organisationen leben? Aus der Vergangenheit wissen wir, wie erfolglos Partei- oder Kirchenzeitungen sind. Leser lehnen interessengeleiteten Blätter ab.

Wirtschaftlich sind sie ohnehin in den meisten Fällen ein Fass ohne Boden. In vielen Ländern sind sie daher entweder vom Markt verschwunden oder fristen ein Schattendasein. Das Verschwinden von Wochenzeitungen wie dem Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt oder des Vorwärts (existiert heute als Monatszeitschrift weiter) sind dafür Belege.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Medien im Internet Geld verlangen sollten.

Wir brauchen eine neue Ökonomie

Journalistische Qualität hat nur dann eine Chance, wenn sie unabhängig entsteht. Die Idee nach französischem Vorbild gar Steuergelder an Not leidende Zeitungs- und Zeitschriftenhäuser zu verteilen, ist fatal. Frankreich ist ein Lehrstück. Schon heute kontrolliert der Elysée indirekt die wichtigen Meinungsblätter in Frankreich. Leser wenden sich zunehmend von den etablierten Zeitungen ab. Vielleicht ist gerade die politische Abhängigkeit der Hauptgrund, weshalb die französischen Tageszeitungen im Vergleich zu den deutschen in einer ungleich schwierigeren wirtschaftlichen Situation sind?

Die Mautstelle

Ein unabhängiger Journalismus ist die Voraussetzung für eine freie Gesellschaft. Demokratie funktioniert ohne politisch und vor allem ökonomisch unabhängige Medien nicht. Das ist eine Binsenweisheit, aber dennoch wahr. Denn noch immer leisten die klassischen Medien, allen voran Zeitungen und Magazine einschließlich ihrer Internetseiten, qualitativ anspruchsvolle Aufklärung, Analyse und Information.

Die Frage ist nur: wie kann Qualitätsjournalismus künftig finanziert werden? Denn die Rendite der Verlage und Medienkonzerne fallen bescheiden aus, viele schreiben sogar rote Zahlen. Was wir in der Existenzkrise der klassischen Medien brauchen, ist eine neue Ökonomie des Journalismus.

Schon der spanische Philosoph José Ortega y Gasset wusste: die Vergangenheit kann uns nicht sagen, war wir tun, wohl aber, was wir lassen müssen. Auch Rupert Murdoch hat dazu gelernt. Der Medien-Tycoon, der nie um ein offenes Wort verlegen ist, watschte in seiner eigenen Zeitung Wall Street Journal vor Weihnachten die Verlagskollegen ab. Er verkündete den Tod des alten, auf Werbung basierenden Geschäftsmodells. Im gleichen Atemzug verkündete er, Qualitätsinhalte gibt es nicht mehr gratis.

Es besteht kein Zweifel: Die Zukunft der Medienunternehmen und des Journalismus wird davon abhängen, wie schnell und nachhaltig es gelingt, den Kunden für Nachrichten, Hintergründe, Reportagen und Analyse im Internet und auf dem Handy zur Kasse zu bitten. Die früher so träge Musikindustrie hat es bereits vorgemacht. Mit dem Musikdienst iTunes des Computer- und Handyherstellers Apple besitzt die Branche ein schnell wachsendes, einträgliches Vertriebsmodell im digitalen Zeitalter.

In der deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenbranche gibt es mittlerweile erste und wichtige Versuche, die lebensgefährliche Gratiskultur zu stoppen. So ist Europas größtes Zeitungshaus Axel Springer noch rechtzeitig vor Weihnachten mit kostenpflichtigen Apps für die beiden Flaggschiffe Bild und Welt an den Start gegangen. Andere Verlage ziehen - wenn auch noch zögerlich - nach.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Zukunft mit Paid Content aussehen könnte.

Möglichkeiten für Bezahlinhalte

Die Zahlen von Springer sprechen für sich. Mitte Januar meldete Axel Springer stolz, dass bereits über 100.000 Apps seiner beiden Flaggschiffe verkauft seien. Ein Erfolg, trotz der massiven Kritik der Community. Die Einnahmen sind freilich derzeit noch eher bescheiden. Schließlich kostet ein monatliches Abonnement der Bild auf dem iPhone noch immer weniger als ein Glas Wasser im Café. Doch Inhalte für Mobiltelefone kostenpflichtig zu machen, ist der erste Schritt zu einer neuen Ökonomie des Journalismus.

Es ist allerdings naiv zu glauben, dass alle Zeitungen und Zeitschriften mit Bezahlinhalten in der digitalen Welt prosperieren können. Nur für exklusive oder spezialisierte Inhalte wird der Nutzer künftig bereit sein, für digitale Informationen zu bezahlen. Der Erfolg des Wirtschaftsblatts Wall Street Journal, das im digitalen Bereich zuletzt rund hundert Millionen Dollar umsetzte, ist dafür ein Beispiel.

Generelle Nachrichten wird es hingegen auch weiter kostenlos im Netz geben. Dafür sorgen hierzulande alleine schon die Unmengen von Informationsangeboten von ARD und ZDF. Die Anstalten, mit jährlichen Einnahmen von über acht Milliarden Euro ausgestattet, brauchen sich traditionell um Marktbedingungen wenig zu scheren. Der kostenlose App der Tagesschau, dem Nachrichten-Flaggschiff der ARD, ist daher nicht nur eine Provokation, sondern ein Angriff auf die neue Ökonomie politisch unabhängiger Medien wie Tageszeitungen, Magazine oder Privatsender.

Die Reifeprüfung

Die Chancen für die Zukunft der Medienunternehmen stehen nicht schlecht, wenn Paid Content schnell und konsequent weiter entwickelt und politisch nicht sabotiert wird. Denn für Qualität und Exklusivität ist der Kunde durchaus bereit zu zahlen. Das ist in der Musik, im Radio und Fernsehen so. Die noch immer hohe Akzeptanz der Rundfunkgebühr ist dafür ein Beleg. Warum sollte es bei Zeitungen und Zeitschriften anders sein?

Die Umstellung auf Paid Content kostet den Verlagen zweifellos erst einmal Reichweite. Die bittere Wahrheit ist: die Verlagsbranche kommt bei einer Umstellung auf Bezahlmodelle um eine Marktbereinigung nicht herum. Es gehört zu den Absurditäten der Branche, dass bei jeder Einstellung eines Medienangebots gleich der Untergang des abendländischen Journalismus beschworen wird.

Noch immer gibt es zu viele Blätter, die es immer schwerer haben, sich dauerhaft über Werbung und Abonnements zu finanzieren. Das Jahr 2010 wird daher zur Nagelprobe für die Branche. Rupert Murdoch will dieses Jahr sämtliche Inhalte seiner Zeitungen (Wall Street Journal, Times, New York Post) Geld zu verlangen. Ebenfalls für dieses Jahr hat Google ein Online-Bezahlsystem angekündigt. Damit kann dann der Kauf einzelner Artikel oder ein Online-Abonnement bequem abgerechnet werden.

Unabhängiger Journalismus braucht starke Unternehmen. Dazu gehört der Mut neue Wege mit Bezahlinhalten zu gehen und auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Demnächst werden mit Minicomputern wie dem "iPad" von Apple neue Geräte auf dem Markt kommen, die Bezahlinhalte ungeahnte Möglichkeiten bieten. Zum Verschenken von journalistischen Inhalten hat niemand mehr das Geld - außer vielleicht eitlen russischen Milliardären in London.

Hans-Peter Siebenhaar, Jahrgang 1962, ist promovierter Politikwissenschaftler und Wirtschaftsredakteur beim "Handelsblatt".

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