Serie: Wozu noch Journalismus? (6):Chancen trotz Krise

Wenn Journalismus eine Zukunft haben soll, dann muss er sich erst einmal selbst so kritisch betrachten wie den Rest der Gesellschaft. Eine Anmerkung in zwölf Punkten.

Hajo Schumacher

Wozu noch Journalismus? Die Ethik der Medienmacher ist in Gefahr: Journalisten werden zu Handlangern der Politiker, bloggen im Netz und werden durch Laien ersetzt. Wie ist der Journalismus zu retten - und wieso sollten wir das überhaupt tun? In dieser Serie - herausgegeben von Stephan Weichert und Leif Kramp - setzen sich angesehene Publizisten auf sueddeutsche.de mit dieser Frage auseinander.

Foto: dpa, AP, Grafik: sueddeutsche.de

Wie sähe eine Welt ohne Journalismus aus? Diese Frage stellt sich Hajo Schumacher.

(Foto: Foto: Ralf Spangenberg / Prodigit)

In einer schicken Berliner Backsteinetage arbeitet ein halbes Dutzend gut bezahlter Journalisten an Auftragswerken: über Ministerinnen, die tolle Reformen planen oder über segensreiche neue Pillen, streng studiengestützt natürlich. Die Beiträge werden zeilengenau geliefert, mit Foto, einer schicken Grafik, auf Wunsch mit prominentem Interview. Für die Texte bezahlen Politik, Unternehmen, Verbände.

"Früher waren die Redakteure noch skeptisch und haben mal was nachgecheckt", sagte einer der Lohnschreiber, "heute wird alles ungeprüft übernommen."Ob Regionalzeitung, Anzeigenblatt, Yellow-Titel oder Online-Anbieter - die Ware wird ungeduldig abgefragt. "Wie uns das Zeug aus den Händen gerissen wird, ist schon unheimlich", findet der Autor. Verwunderlich ist es nicht: Denn bisweilen haben die bezahlten PR-Texte eine höhere Qualität als das, was notorisch überforderte Leichtlohn-Korrespondenten eilig aus einer Pressekonferenz zusammenstopseln. Und umsonst sind sie auch.

Journalisten machen fortwährend PR

Die ökonomische Medienkrise hat im Zusammenspiel mit der digitalen Revolution die Rolle des Journalisten grundlegend verändert. Mediale Inhalte sind leichter käuflich als je zuvor, weil viele Verlage und Sender jede noch so schmuddelige Mischform zulassen. Pressekonferenz oder Pressemitteilung erübrigen sich, wenn sich die Botschaften ohne lästige Redaktionen ins Internet oder direkt ins Blatt bugsieren lassen.

In Berlin arbeiten inzwischen mehr Journalisten in Diensten von Industrie, Politik und Verbänden als in den klassischen Medien. Die Kontrollfunktion des unabhängigen Journalisten schrumpft auf eine demokratietheoretische Größe, die mit der medialen Realität immer weniger zu tun hat. Beständig wächst eine Grauzone, in der Reinheit gefordert und gedungener Kram verbreitet wird. "Journalisten machen keine PR" - dieser Anspruch des Journalistenzirkels Netzwerk Recherche klingt edel, ist aber wirklichkeitsfremd. Journalisten machen fortwährend PR.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum sich der Berufsstand für gefährlich ehrbar hält.

Krawall als Sebstzweck

Wenn Journalismus eine Zukunft haben soll, dann muss er sich zunächst einmal selbst so kritisch betrachten wie den Rest der Gesellschaft. Die Krise bietet die Chance zur Ehrlichkeit in einem Gewerbe, dessen Vertreter mit moralischer Arroganz die verkommenen Sitten anprangern und sich dafür von einer toxischen Landesbank bezahlen lassen. Bevor die Zukunft des Journalismus beginnen kann, muss erst der triste Status quo notiert werden.

Es gilt, von Anmaßungen Abschied zu nehmen, aber auch von falscher Bescheidenheit. Leider wird allenfalls beim Bier über die zentralen Fragen räsoniert: Gibt es unter Medienmenschen überhaupt einen Konsens über das eigene Rollenverständnis? Wird ehrlich über die alltäglichen Verstrickungen debattiert? Hat sich die Branche verstrickt im eigenen Mythos von der unabhängigen Kontrollgewalt? Erst wenn das Selbstbild justiert ist, kann Vertrauen in sich und von anderen neu entstehen. Zwölf Anmerkungen zu einem Berufsstand, der sich für gefährlich ehrbar hält:

1. Distanz-Lüge

Noch jede Generationen von Journalisten hat von den Altmeistern das Ideal der Freiheit gelernt. Der Journalist sei unabhängig und objektiv, nur die Wahrheit sein Begehr, die Kontrolle der Macht sein einzig Trachten. Quellenschutz und Redaktionsstatut schützen ihn. Er ist distanzierter Hüter von Demokratie und Menschlichkeit. Das Böse verkörpern die anderen, die es anzuprangern gilt: die Geldgierigen, die Machtgierigen, die Ruhmgierigen. Dieses selbstgerechte Leitbild ist eine Fata Morgana. Wer sich in einer Welt der Abhängigkeiten zum einzig Distanzierten erklärt, manövriert in die Unglaubwürdigkeit.

2. Unabhängigkeits-Verklärung

Journalisten verfolgen Interessen. Jeder Medienschaffende ist in Loyalitäten und Rollen verstrickt. Journalisten erfüllen Pflichten, Erwartungen und verfolgen Ziele. Gleichgültig, ob frei oder angestellt, privatwirtschaftlich oder öffentlich-rechtlich - Journalisten vertreten zum Beispiel die Interessen ihrer Arbeitgeber. Im Tendenzschutzparagraphen ist die Pflicht zur Einseitigkeit sogar festgeschrieben. Journalisten sind überdies Steuerzahler, Schalke-Fans, Partei-Anhänger, Greenpeace-Mitglied, haben Angst um ihren Job, wollen Geld verdienen, die beste Schule für ihre Kinder, Anerkennung erringen oder ein Gratis-Handy. Wer aber einer Vielzahl von Erwartungen und Zielen verpflichtet ist, kann nicht unabhängig sein. Individuum und Objektivität sind Gegensätze.

3. Krawall als Selbstzweck

Die Belohnungssysteme von Medien und Öffentlichkeit begünstigen nicht den Klugen, sondern den Lauten. Das Erzeugen von Aufmerksamkeit an sich, vulgo Krawall, gilt als größte Leistung. Wo Lärmsucht wächst, schrumpft die Kontrollmacht, Empörungsrituale ersetzen sachliche Debatten. Und alle machen mit.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum sich der Journalist in einem wachsenden Zwispalt befindet.

Immer mehr Reklame-Journalismus

4. Wandel-Stress

Das Berufsbild des Journalisten verändert sich dramatisch: ständige technische Neuerungen, strikt ertragsorientierte Vorgaben, Personalabbau. Nicht journalistische Qualität regiert, sondern ökonomisches Überleben. Zum Wandel gehört die zunehmend schlechtere Bezahlung. Viele freie Medienarbeiter sind zu Nebenjobs in Werbung, Marketing oder PR gezwungen. Das Patchwork-Erwerbsmodell ist nicht Ausnahme, sondern Normalfall, der Rundum-Sorglos-Vertrag mit Altersvorsorge und Gewinnbeteiligung ein Auslaufmodell. Journalismus und Survival-Training werden eins.

5. Verschleierte Nähe

Interviewfragen werden abgesprochen, Informanten gehätschelt, Beiträge gegen Anzeigen lanciert oder unterdrückt, Informationen gegen schmeichelnde Attribute getauscht, Exklusivität gegen Kritiklosigkeit, Peinlichkeiten totgeschwiegen. Die Mehrzahl aller Beiträge ist Resultat einer innigen Verhandlung. Dieser Basar-Journalismus prägt nicht mehr nur Reise- oder Autoseiten, sondern Feuilleton, People- und Wissenschaftsressort und natürlich Politik und Wirtschaft. Der interne und externe Wettbewerbsdruck fördert den Reklame-Journalismus kontinuierlich.

6. Rollenkonflikte

Der Journalist befindet sich in einem wachsenden Zwiespalt: Nach außen steht die seit Generationen übermalte Fassade vom unabhängigen Kontrolleur, nach innen wirkt ein Dealer in Diensten vieler Mächte. Die fortwährende moralische Verkleisterung der medialen Realität steht im Konflikt zur notwendigen Transparenz von Absichten und Zielen, die auf klaren, fairen Regeln basieren.

7. Verborgene Absichten

Die Bedrohung des Gemeinwesens entsteht weniger durch gekaufte Kommunikation als vielmehr durch die Praxis der versteckten Absicht. Ein Öffentlichkeitsarbeiter im klaren Auftrag eines Unternehmens, einer Partei oder Organisation handelt transparenter und ehrlicher als ein Journalist, der seinen politischen Kampfauftrag hinter ethisch befestigter Aufklärer-Fassade erfüllt. Warum stehen Journalisten nicht zu ihrer Weltanschauung anstatt einen medialen Partisanenkampf zu führen, egal, ob gegen Neoliberale oder Bewohner der sozialen Hängematte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Journalisten auch bei der eigenen Arbeit für Transparenz sorgen sollten.

Ziele? Fehlanzeige

8. Geheuchelter PR-Ekel

Nichts ist verlogener als die vorgebliche Abscheu gegen gekaufte Kommunikation. Längst haben sich die Berufsbilder von Journalisten und PR-Kräften angeglichen. Firmenmagazine bieten spannenden Journalismus, Lokalzeitungen dagegen nurmehr ein Vehikel für bunte Beilagen. Der Unterschied zwischen Journalisten, die den Renditevorgaben eines Investors gehorchend Advertorials dichten und PR-Kräften, die ein Unternehmen besingen, ist marginal, ihr Auftrag identisch: Man hilft anderen beim Auftritt oder inszeniert den eigenen. Diese Realität muss man nicht goutieren, aber zur Kenntnis nehmen.

9. Mythos vom Öffentlichkeits-Monopol

Klassischer Journalismus stellt in der modernen Medienwelt bestenfalls noch Teilwirklichkeiten her. Werbung, PR, Kunden- oder Leserkommentare wirken mindestens so stark wie ziselierte Leitartikel. Der Anspruch umfassender Aufklärung ist durch Medien allein kaum zu leisten.

10. Erschöpfte Prüfer

Berufskrankheit Nummer eins ist die Müdigkeit. Ein ausgezehrter Journalismus aber ist mit seiner umfassenden Prüfaufgabe überfordert. Höchste Zeit, den Status quo zuzugeben: Weite Teile des Landes bleiben von medialer Kontrolle unbehelligt.

11. Gemeinsame Ziele?

Kaum ein Berufsstand wird von seinen eigenen Gewerkschaften erbärmlicher repräsentiert als Medienschaffende. Ziele? Fehlanzeige. Warum fordern Journalistenverbände eigentlich nicht hörbar nach umfassender, einklagbarer Auskunftspflicht von Behörden wie sie in den USA gilt? Nimmt die tatsächliche Recherchetiefe ab, müssen Recherchemöglichkeiten erweitert werden, damit zumindest die theoretische Kontrolle steigt.

12. Mut zur Transparenz

Maximale Öffentlichkeit bedeutet auch, dass jeder Journalist das eigene Tun der Transparenzmaxime unterwirft. Wer von Abgeordneten gläserne Taschen fordert, muss die eigenen ebenfalls vorzeigen. Transparenz im Journalismus hat drei Ebenen: Die Beitragsebene, die Individualebene und die Öffentlichkeitsebene.

Auf der Beitragsebene ist sicherzustellen, dass Urheber und Absender, Quelle und Inhalte wo immer möglich offen gelegt werden. Gekaufte Kommunikation ist als solche zu kennzeichnen. Auf der Individualebene hat der Journalist offenzulegen, für wen er arbeitet, wer ihn bezahlt.

Auf der Öffentlichkeitsebene ist eine umfassende Dokumentation allen journalistischen Schaffens erforderlich, eine Art elektronisches Gedächtnis. Angelsächsische Modelle wie www.journalisted.com ermöglichen, jeden Journalisten, all seine Artikel und Arbeitgeber, aber auch Nebenjobs zu identifizieren. Diese dreigeteilte Transparenz würde eine Branche mit sich selbst versöhnen und den Journalisten zu dem machen, was er seit Generationen so gern sein will: der Musterknabe des ehrbaren Bürgertums.

Hajo Schumacher, Jahrgang 1964, arbeitet als Journalist und Buchautor und ist Kolumnist der Berliner Morgenpost.

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