Wozu noch Journalismus? Die Ethik der Medienmacher ist in Gefahr: Journalisten werden zu Handlangern der Politiker, bloggen im Netz und werden durch Laien ersetzt. Wie ist der Journalismus zu retten - und wieso sollten wir das überhaupt tun? In dieser Serie - herausgegeben von Stephan Weichert und Leif Kramp - setzen sich angesehene Publizisten auf sueddeutsche.de mit dieser Frage auseinander.
"Wozu noch Journalismus?" - die Fragestellung könnte auf Resignation oder gar Kapitulation schließen lassen. Wovor eigentlich? Vor Lesern, Hörern und Zuschauern, die sich abwenden, Augen und Ohren verschließen vor traditionellen Medien und in neue fliehen? Vor jungen Leuten, die statt Blei an den Fingern lieber Ringe unter den Augen haben, vom stundenlangen Surfen auf dem digitalen Meer?
Vor der Werbewirtschaft, die Anzeigen abzieht und anders - auch anderswo - nach Aufmerksamkeit fischt? Vor Verlegern, die beim Grenzgang zwischen Modernisieren und Zerstören die Balance, Maß und Ziel verlieren? Vor Heuschrecken, die sich renditehungrig in Medien verflogen haben, dort alles kahl fressen - und dann verhungern? Vor dem Internet schließlich, das alles an Information zu bieten scheint, was der Mensch zum Denken braucht - und das kostenlos, rund um die Uhr und teils in Echtzeit, live? Ist Journalismus also ein verlorener, ein aussterbender Beruf - hoffnungslos überholt wie der Kohlenschaufler auf der Elektrolok?
Kein Anlass zur Resignation
Ja, natürlich ist unsere Gewerbe unter Druck. So stark wie noch nie zuvor. Zu Resignation oder Kapitulation aber gibt es keinen Anlass. Denn Journalismus ist und bleibt unersetzlich - auch wenn sich sein Kosmos in Organisation und Technik revolutionär verändert, auch verändern muss. Informationen zu erschließen, zu filtern, zu erklären, zu ordnen und zu interpretieren - das geht nicht ohne Redakteure, ohne Rechercheure, ohne Reporter, ohne News Anchor, ohne Kommentatoren.
Der Leserreporter im Internet mag die Lehman Brothers bei der Flucht vor der Öffentlichkeit fotografieren und ihren Opfern auf der Straße Luftblasen der Empörung entlocken - was sich in den Stunden des Zusammenbruchs in Vorstandssuiten und Ministerbüros abgespielt hat, das können nur Journalisten aufdecken und einordnen. Der Demonstrant in Teheran mag mit der Handy-Kamera jener jungen Frau zur Unsterblichkeit verhelfen, die von Milizionären des Regimes erschossen wurde - die politische Wirkung ihres Todes, das Kräftespiel in Iran und die Interessen der Mächte außerhalb aber offenbart nur der kenntnisreiche Journalist.
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Um die angebliche Konkurrenz durch das Internet auf den Punkt zu bringen: Auch die Online-Welt, die Blogosphäre eingeschlossen, ist nichts ohne Journalismus. Das Netz bietet vieles: Unterhaltung, Wissen, Konsum und soziale Gemeinschaft. Journalistische Online-Portale aber sind sein Rückgrat, was Information und Orientierung betrifft.
Das gilt nicht nur für die Portale traditioneller Medien. Auch reine Online-Medien, die Huffington Post etwa, werden von Journalisten betrieben. Und die Blogger, die Aufmerksamkeit verdienen und Menschen bewegen - Stefan Niggemeier etwa, Kai Diekmann oder Michael Spreng - sind Journalisten. Sie wären nichts, wenn sie das nicht wären. Die zahllosen digitalen Disputierzirkel tun nichts anderes, als journalistische Nahrung zu verdauen. Sie kreieren nicht, sie verwerten.
Kein Gott, kein Kaiser noch Tribun
Eine Studie in Baltimore an der amerikanischen Ostküste hat gerade die erdrückende Dominanz der traditionellen Medien nachgewiesen. Im Sommer 2009 war dort eine Woche lang die Arbeit von 53 lokalen Nachrichtenredaktionen beobachtet worden - Print, Online, Radio und Fernsehen. Fast alle Geschichten, die neue Informationen enthielten - 95 Prozent - stammten von "alten" Medien, an der Spitze die Zeitungen. Sie setzten die Agenda. Nur der winzige Rest wurde von den Neuen beigesteuert, von Websites, Blogs und Twitter.
Bloß: Wovon lebt der Journalist, wenn den klassischen Medien, die ihn tragen, das Geld ausgeht - und die Online-Medien von ihren lausigen Pennies nicht leben können? Wer bezahlt noch die Abenteuer kostspieliger Rechercheure, wenn Redaktionen zusammengehämmert und Verleger zu Sparkommissaren werden? Und wie kommen Online-Ableger auf einen grünen Zweig, ohne dass sie von ihren klassischen Stamm-Medien gewässert und gedüngt werden? Müssen das am Ende Mäzene richten, Stiftungen - oder gar der Staat mit Subventionen, wie in Frankreich? Nichts gegen Wohltäter oder Stiftungen, aber: Davor bewahre uns der Himmel! Und da der's nicht tun wird - kein Gott, kein Kaiser noch Tribun -, müssen wir's schon selber tun.
Beginnen wir mit den Printmedien. Zunächst gilt es zu begreifen: Nicht jede sinkende Auflage ist das Resultat eines unentrinnbaren, verzehrenden Wettbewerbs mit dem Internet. Manche ist auch das Ergebnis verschlafener Modernisierung, verweigerter Umstrukturierung oder verdrängter journalistischer Fehler. Nach meinem Eindruck nehmen sich Verleger zu leichtfertig gegenseitig an der Hand und flüchten vor solcher Einsicht (und Verantwortung) mit dem kollektiven Seufzer: Das Internet, es saugt uns aus!
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Wer aber hat noch den Mut und die Kreativität, neue Zeitungs- und Zeitschriftenkonzepte zu entwickeln, die Leser begeistern und junge Leute ansprechen? Eine Tageszeitung für jüngere Leser - von ebensolchen Journalisten auf die Beine gestellt -, mit einer anderen Themensetzung und einer anderen Blattstruktur als der gehabten aus dem 20. Jahrhundert wäre jede Anstrengung wert! Wer die ersten Seiten mit Schnarchalien aus dem Innenleben von Parteien und Machtapparaten füllt und danach das Übliche aus Wirtschaft, Sport, Kultur und Lokalem abspult, braucht sich nicht zu wundern, dass er am Ende ein Seniorenblatt produziert, das von Jüngeren nur noch begähnt wird.
Gut gemachte Blätter mit fesselnd geschriebenen Texten finden ihre Leser - und zwar in wachsender Zahl. Sofern dem Journalismus der Raum gegeben wird, den er braucht, um Leser zu begeistern und zu binden. Verloren aber ist der Print selbst dann nicht, wenn man die These von den unabwendbar schrumpfenden Auflagen teilt und auf Anzeigen in alter Fülle nicht mehr hoffen darf. Die verbleibenden Leser werden bereit sein, mehr für ihr Blatt zu zahlen, wenn - ja, wenn! - es dessen Qualität rechtfertigt.
Autorenprinzip
Das wertet den Journalismus auf. Das macht ihn noch unverzichtbarer. Und das verlangt nach Journalisten, die für ihr Blatt zur Marke werden - vom Leser gesucht, von der Redaktion herausgestellt, vom Verlag gepflegt. Um es anders auszudrücken: Das Autorenprinzip gewinnt im rasenden Wettbewerb um Aufmerksamkeit an Bedeutung. Auch und gerade, wenn die Redaktionen von den Verlagen aus Kostengründen personell ausgekämmt werden. Das gilt für überregionale wie für regionale oder lokale Blätter - und nicht weniger auch für Online-Medien.
Münden Sparorgien dagegen in journalistische Gesichtslosigkeit, ist das Blatt insgesamt verloren - der Untergang ist bloß noch eine Frage der Zeit. Der Journalist als Marke braucht also den Verleger aus Leidenschaft. Einen, der sich nicht vom Blindenhund des Controllings durch die Krise zerren lässt. Irgendwann wird der sich umdrehen und nach dem Herrchen schnappen.
Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die meisten Medien-Websites einen inhaltlichen Neustart brauchen.
Nebenbei bemerkt: Eine schwindende Abhängigkeit von Anzeigen muss kein Schaden sein für Print-Medien. Sofern ... siehe oben.
Und nun zu den Online-Medien. Deren Geburtsfehler war, das bedarf keiner weiteren Erörterung, die kostenlose Verbreitung teurer journalistischer Inhalte. Dieser Fehler muss, wann und wo immer es möglich ist, korrigiert werden. Nicht nur im Interesse der bedrängten traditionellen Medien, auch im eigenen. Darauf zu hoffen, dass sich Websites irgendwann durch Werbeeinnahmen selbst dauerhaft finanzieren können, ist pure Illusion.
Der Nutzer muss bezahlen
Aber das braucht mutige Verlage, die den Irrweg korrigieren - und bereit sind, sich mit anderen Verlagen auf gemeinsame Strategien zu verständigen. Was Geld gekostet hat, muss der Nutzer bezahlen - wenn Anzeigen die Finanzierung nicht tragen. Es gibt Ansätze dafür, Ideen und Modelle. Aus ihnen mögen sich die Strategen und Rechner in den Verlagen bedienen. Die Dinge weiter treiben zu lassen und den Journalisten in den Online-Medien zuzumuten, weit unter den Standards der Branche bezahlt und sozial gesichert zu sein, ist jedenfalls unverantwortlich.
Das führt zu einer zweiten Aufgabe, der inhaltlichen Neuausrichtung der Websites traditioneller Medien. Spiegel online hat Maßstäbe gesetzt für den Nachrichtenjournalismus - die Übrigen haben das Modell mehr oder weniger kopiert. Der Urheber ist aber, sofern er seine Vormacht nicht fahrlässig verspielt, mit diesen Modifikationen kaum zu schlagen. Die Konkurrenten sollten daher eigene, speziell auf ihre Stärken, ihr Profil zugeschnittene Angebote entwickeln - wenn es geht: radikal anders - und die bei Einführung nur gegen Gebühr zugänglich machen. Die deutschen Medien-Websites, die meisten jedenfalls, brauchen einen inhaltlichen Neustart.
"Wozu noch Journalismus?" - diese Frage wäre dann beantwortet.
Hans-Ulrich Jörges, 58, ist Mitglied der Chefredaktion des Stern und Chefredakteur für Sonderaufgaben des Verlags Gruner+Jahr.