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Serie "White Lines":Wie im Rausch

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Ein Leichenfund auf Ibiza. "Haus des Geldes"-Macher Álex Pina inszeniert in der spanisch-britischen Netflix-Serie "White Lines" eine Spurensuche nach dem lange zurückliegenden Mord inmitten von Drogen, Sex und spektakulären Partys auf der Mittelmeerinsel.

Von Theresa Rauffmann

Man nehme eine Insel im Mittelmeer, elektronische Musik, eine große Menge Drogen, eine Prise Sex und die gerade entdeckte Leiche eines jungen Briten, der vor zwanzig Jahren vermeintlich spurlos verschwand. Dies sind die Zutaten der britisch-spanischen Serie White Lines von Haus des Geldes- Macher Álex Pina. Und das macht, Toter hin oder her, richtig Spaß.

Die Story geht ungefähr so: Als Axel Collins Leiche auf dem Grundstück einer reichen Unternehmerfamilie auf Ibiza gefunden wird, reist seine Schwester Zoe aus Manchester an und begibt sich auf Spurensuche. Bis vor kurzem ging sie davon aus, dass ihr Bruder in den Neunzigerjahren einfach abgehauen war, zumindest ließ sein damaliger bester Freund Marcus sie das glauben. Zoe, zwanzig Jahre zuvor noch minderjährig und vernarrt in ihren älteren Bruder, entwickelte nach seinem Verschwinden eine Depression und wollte sich umbringen. Nun also verlässt sie ihr geordnetes britisches Leben mit Mann und Kind, um auf Ibiza herauszufinden, was damals wirklich geschah. Die Polizei interessiert sich jedenfalls nicht sonderlich für den Fall, da er verjährt ist.

Diese Zoe ist eigentlich eine brave Bibliothekarin. Auf Ibiza aber offenbart sich eine wilde Version ihrer selbst, die sich vom Sog aus Drogen, Sex und Partys mitziehen lässt - und irgendwann mit sieben Kilo Koks im Auto vor der Polizei flieht. So dringend will sie die Wahrheit über den Tod des Bruders erfahren, dass sie zur Gewalt bereit ist. Laura Haddock verkörpert glaubhaft all diese Facetten der Figur.

Dass die Suche nach der Wahrheit in einigen der Folgen in den Hintergrund rückt, tut der Erzählung keinen Abbruch. Im Gegenteil, in der Jetzt-Zeit entwickelt sich eine neue Geschichte, das simple Prinzip, dass jemand versucht, einen Jahre zurückliegenden Mord aufzuklären, wird erweitert. Und natürlich spielen die alten Freunde und Bekannten des Toten auch da eine Rolle. Das Ergebnis ist eine Genre-Mischung, es wird zugleich eine Krimi-, eine Familien- und eine Hedonismus-Geschichte erzählt, mit skurrilen Elementen (Hunde auf Koks, Koks im gelben Bananenschlauchboot). Und mit Musik. Denn nur deswegen wollte Axel Collins (Tom Rhys Harris) überhaupt nach Ibiza: Als DJ legte er mit Freunden in Clubs auf, sie lebten "la vida loca". Doch Musik dient in der Serie auch als Folterinstrument, kann einem doch das Trommelfell platzen, wenn man an mehrere Musikboxen gefesselt ist, deren Lautstärke immer weiter aufgedreht wird.

Das Bild, das in Rückblenden von Axel gezeichnet wird, ändert sich im Lauf der Folgen. Ist er anfangs noch der liebende große Bruder, der sich um seine Schwester kümmert, zeigen sich nach und nach immer neue unerwartete Wesenszüge. Auch die Entwicklung von Zoe in der Jetztzeit lässt einen zappeln: Zerstört sie gerade ihr Leben oder erfindet sie sich neu? Trotz aller Schwere bleibt die Serie unterhaltsam.

Was sicherlich auch an den Bildern der traumhaften Insel liegt. Und an den spektakulär inszenierten Partys.

White Lines , auf Netflix*

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Quelle:
SZ vom 19.05.2020
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