Süddeutsche Zeitung

Serie "Treadstone":Wach endlich auf

Der "Bourne"-Stoff als Serie: "Treadstone" erzählt die Psychopathologie von Top-Soldaten, trainiert zur ultimativen menschlichen Waffe.

Von Fritz Göttler

Moral spielt keine Rolle für die Zikaden. So bezeichnet man Menschen, die von den Geheimdiensten trainiert wurden, durch Gedankenkontrolle, Hypnose, Drogentherapien die extremsten verdeckten Operationen auszuführen. Wider Willen und ohne nachzudenken. Topsoldaten, die ultimative menschliche Waffe. Früher hat man sie Schläfer genannt, sie führten ein ganz normales Leben und merkten erst auf ein programmiertes Stichwort hin, dass sie brutale, effektive Kampf- und Tötungsmaschinen sind. Heute also: Zikaden. Einmal sieht man in einer kleinen Szene den Ursprung dieser Programme, im Varieté, wenn ein Mann unter Hypnose gesetzt wird und sich einbildet, er wäre ein Huhn, und losgackert. Dieses Programm schuf auch einen wie Jason Bourne.

Im Schatten der erfolgreichen Bourne-Filme mit Matt Damon (plus einem mit Jeremy Renner) operiert nun die Amazon-Serie Treadstone - so heißt das Programm, mit dem die CIA ihre Supersoldaten schuf. Die Serie zeigt, dass auch die andere Seite, die Sowjetunion, ähnliches praktizierte, offenbar sogar schneller und effektiver. Die Serie zeigt auch: Natürlich sind Programme wie Treadstone heute nicht abgeschafft - als gäbe es nun tatsächlich mehr Moral in der Politik -, sondern weiter aktiv.

In den kurzen Actionszenen beschwört die Serie die Fiebrigkeit der Kinofilme, die vor allem dem Regisseur Paul Greengrass zu verdanken war, ansonsten ist Treadstone ein klassisches, dramaturgisch weitgespanntes politisches Intrigenstück, das wechselt zwischen dem Jahr 1973 und heute, zwischen Langley, Virginia, wo die CIA hockt, und Ost-Berlin, London und Pjöngjang, Alaska und Versailles. Russische Geheimoffiziere sind im Spiel und amerikanische Senatoren.

Gibt es normale Emotionen für diese Menschen?

Stärker als bei Bourne geht es in der Serie um die Psychopathologie der Zikaden-Soldaten. Um die vor allem, deren Training nicht vollendet werden konnte, die nur "halbfertig" sind und die nun doch mit Fragen der Moral sich rumschlagen müssen. Und der Frage der Identität. Eins der Opfer erzählt von einem Traum, in einem weißen Verhörraum mit Spiegel: Es gibt noch ein anderes Ich, auf der anderen Seite des Spiegels. Und das starrt mich ebenfalls an.

Auf welcher Seite des Spiegels bin ich, fragen sich die Zikaden in dieser Geschichte, aber vor allem: welche Seite wird die sein, die man als Realität bezeichnet. Gibt es normale Emotionen für diese Menschen? Endlich aufwachen, das ist ihr Wunsch, einem von ihnen singt man das Lied vom Frère Jacques vor, Bruder Jakob, schläfst du noch ... es wird ihn verfolgen.

Die Zikaden müssen in Erinnerungen leben, die sie nie wieder erreichen. Ich werden den Baikalsee vermissen, sagt eine russische Frau, und der Amerikaner, der sie liebt, hat seine eigene Baikal-Vision, in seiner Heimat Ohio, da gibt's einen Wald, der niemals endet.

Treadstone, bei Amazon Prime Video.

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Quelle:
SZ vom 20.01.2020
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