Serie "Tödliche Flucht":Die Gefangenen

Tödliche Flucht

Vergessen von der Welt: die Geflüchtete Abeni (Aïssa Maïga).

(Foto: Spiral Pictures)

"Tödliche Flucht" ist eine schonungslose Serie über eine Nigerianerin, die in der neuen Heimat Dublin stirbt - und eine Geschichte vom Versagen einer gut gemeinten Asylpolitik.

Von Hans Hoff

Am Anfang von Tödliche Flucht fragt Abeni den Sachbearbeiter, wie lange sie und ihre zwei Kinder denn in der örtlichen Erstaufnahmeeinrichtung bleiben müssen, wann sie denn Gewissheit erlangen werden, ob sie zurückgeschickt werden nach Nigeria. Der Mann vom Amt in Dublin zuckt die Schultern und murmelt etwas von ein paar Wochen, Monaten vielleicht. Abeni erzählt vom grausamen Tod ihres Mannes, von übervollen Schlauchbooten. Schnitt.

Acht Jahre später sitzt sie mit ihren Kindern immer noch in der Erstaufnahmeeinrichtung, vergessen von der Welt, immer noch ohne Gewissheit, ob sie bleiben darf.

Ihr Sohn Isaiah ist inzwischen 17, einer, dem die engen Grenzen der Geflüchtetenbehausung naturgemäß rasch zu eng ist. Nachts geht er raus, trinkt auf Partys mehr als in seinem Alter guttut. Seine Mutter geht nachts putzen in einem Bordell. Aber das erfährt man erst sehr viel später in der beklemmenden Serie Tödliche Flucht.

Eine Geschichte vom Versagen einer gut gemeinten Asylpolitik, die Menschen nur verwahrt

Erst einmal fällt ein greller Scheinwerferstrahl auf das vergessene Heim, denn die junge Nigerianerin Esme wird an einer nahen Bushaltestelle aufgefunden. Totgeprügelt. Auf einmal wird für die Behörden interessant, was acht Jahre lang offenbar niemanden gekümmert hat. Auch der Leiter der Einrichtung gerät ins Zwielicht, der es nicht so genau nimmt mit der Verwaltung, der die falschen Kontakte pflegt. Und dann ist da noch ein Algerier, der irgendwie immer vor Ort ist und so ins Visier eines übereifrigen Polizisten gerät - mit fatalen Folgen.

Die sechsteilige Serie lief 2018 viel beachtet im irischen Fernsehen, weil sie ihr Augenmerk eben nicht nur auf die Klärung eines Kriminalfalls durch eine überforderte Inspektorin legt, sondern sich vor allem dem widmet, was die Geflüchteten in ihrer neuen Heimat erleben. Rasch ist da die Rede von Traumatisierungen, die nicht nur von der Flucht herrühren, die auch entstanden sind in einer Welt, die ihre ganz eigenen Gesetze hat und in der sehr viele Menschen Blut an ihren Händen haben, selbst jene, die man anfangs für fast heilig hält.

Regisseur David Caffrey, der auch bei der Erfolgsserie Peaky Blinders inszenieren durfte, lässt sich sehr viel Zeit, um all die Geschichten rund um die Tragik dieser Erstaufnahmeeinrichtung nach den Büchern von Jo Spain und Stuart Carolan stimmungsvoll düster zu erzählen.

Ein bisschen zu oft sieht man die Sonne über Dublin unter- und aufgehen. Ein bisschen zu oft gerät die ziemlich stocksteife Ermittlerin unter den Druck ihres Vorgesetzten, der auf schnelle Ergebnisse dringt, notwendige Unterstützung aber verweigert. Ein bisschen zu oft wird die Kollegenwelt der Ermittlerin als dumpfer Machokosmos gezeichnet. Zwei Folgen weniger hätten der Eindringlichkeit deshalb womöglich genutzt. Andererseits ist es gerade diese Langsamkeit in der Erzählung, die den Schicksalen Zeit gibt, zu wirken.

Sie eröffnet die Möglichkeit, sich auf die Sichtweise der Geflüchteten einzulassen und ihr Gefangensein nicht nur in den beengten Räumen des Heims nachzufühlen, die Welt also aus ihrer Perspektive verstehen zu lernen. Es ist auch eine Geschichte vom Versagen einer gut gemeinten Asylpolitik, die Menschen nur verwahrt, ohne ihnen eine Perspektive zu eröffnen. Dass daraus unmenschliche Verhältnisse entstehen, wollte lange niemand sehen. Dazu muss in dieser Erzählung erst eine junge Frau sterben.

Tödliche Flucht, Arte, drei Folgen in der Nacht zum Freitag 0.05 Uhr, alle Folgen ab Donnerstag in der Arte-Mediathek.

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