Süddeutsche Zeitung

Serie:Tinder extrem

Zwischen Kathedrale und SM-Club: In der französischen Science-Fiction Serie "Osmosis" verkuppelt ein Implantat junge Seelenverwandte.

Von Michael Kohl

Im Park läuft Niels seiner Traumfrau über den Weg: Claire, jung, Zeichenmappen unterm Arm. Er versucht sein Glück: "Es ist, als ob ich dich im Traum gesehen habe oder so." - "Flirtest du oft mit Mädchen?" - "Nein, ich habe nie richtig geflirtet." - "Hab ich mir gedacht." Claire lächelt. Im Hintergrund schweigt Rodins Denker-Statue über das ungelenke Liebesgeflüster.

Das Aufeinandertreffen ist nicht zufällig. Denn Niels (gespielt von Manoel Dupont) ist in der französischen Science-Fiction-Serie Osmosis eine der Testpersonen mit einem Implantat, das im Unterbewusstsein die gewünschte Seelenverwandte ermittelt, mit allen menschlichen Social-Media-Profilen abgleicht und die zwei Traumpartner zusammenbringt. Claire (Lena Laprès) ist demnach Niels Seelenverwandte. Fast zu perfekt, um echt zu sein.

Die Serie der Showrunnerin Audrey Fouché ist die dritte französische Eigenproduktion von Netflix und spielt im Paris der nahen Zukunft. Darin fiebern der Veröffentlichung des titelgebenden Verkupplungsprojekts der Neurowissenschaftlerin Esther (Agathe Bonitzer) und ihres Bruders Paul (Hugo Becker) Millionen potenzielle Kunden entgegen. Nur ist die Testphase noch nicht abgeschlossen.

Dieses Szenario steht in einer Tradition von Serien und Filmen, in denen Liebesbeziehungen virtuell generiert werden. In der Black Mirror-Folge "Hang the DJ" werden Paare aufgrund einer errechneten Kompatibilität gematcht. In "Blade Runner 2049" sucht Ryan Gosling als Officer K Trost bei einer holografischen Freundin. Auch in Osmosis erhoffen sich die Charaktere von der Technologie die große Liebe. Die Serie schafft es spielerisch und authentisch, von dieser Suche zu erzählen. Einer Suche, die die Teilnehmer des Programms zu Problemen führt, die weniger an der Technik als in ihnen selbst liegen.

Die frustrierte Ana (Luana Silva) will endlich mehr als Sex. Der in seiner Beziehung ernüchterte Lucas (Stephane Pitti) will mehr als ein romantisches Abendessen. Und der pornosüchtige Niels will mehr als das kontaktlose Ansehen von Brüsten und Hintern, als er auf Claire trifft. Für die Probanden ist das Osmosis-Projekt eine kollektive Reaktion auf ein enttäuschendes Liebesleben. Die ursprüngliche Absicht der Erfinderin Esther ist eine andere: Sie möchte mit der Technologie die Erinnerungen der bettlägerigen Mutter wieder aktivieren. Der Bruder ist bereits von Esther durch ein Elektroteil im Gehirn aus dem Koma wiederbelebt worden.

Die Technik macht Liebe und Leben möglich. Diese Sehnsucht spiegelt sich in den Bildern der Serie wider: Notre Dame und ein romantischer Spaziergang an der Seine wecken Postkartenassoziationen. Das Kontrollzentrum, ein steriles Liebeslabor aus Glaswänden, Neonröhren, Pflanzen und bunten Sofas steht dagegen für den Optimismus eines hippen Start-ups.

Dass Liebe dort zwar technologisch errechnet werden kann, aber ihren Preis hat, zeigen schon die ersten zwei Folgen, die der Presse vorab zugänglich waren. Ana will dem Traummann, einem Fitnesstrainer, der extra für sie "Madame Bovary" liest, gefallen und für ihn abnehmen. Lucas will weder seinen Freund noch den benachbarten Traummann verlieren. Und Niels findet sich wieder im Zwiespalt zwischen sexueller Lust und sozialem Autismus. Osmosis könnte man also als Versuch sehen, die "berührungslose Gesellschaft" zu überwinden, wie sie die Journalistin Elisabeth von Thadden in ihrem gleichnamigen Buch von 2018 beschrieben hat: "Nicht zu nah, nicht zu fern: Es ist ein ewiger Akt der Balance." All die Traumfrauen und -männer in der Serie bedienen dieses Bedürfnis nach dieser Balance. Nur wissen die Testpersonen nicht mit der perfekt generierten Liebe umzugehen.

Das Ende der zweiten Folge spielt schließlich in einem virtuellen SM-Club. Alle tragen schwarz verspiegelte VR-Brillen. Manche tanzen zu elektronischer Musik, manche flirten an der Bar, manche stöhnen in den Kabinen. Alle lieben nebeneinander. Hier gibt es garantiert keine Verletzungen, aber auch keine Nähe. Das Dilemma der fehler- und berührungslosen Liebe bleibt ungelöst.

Osmosis, auf Netflix*

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Quelle:
SZ vom 30.03.2019
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