Süddeutsche Zeitung

Nachruf:Die Mausherrin

Lesezeit: 2 min

Zum Tod der Grafikerin und Bildhauerin Isolde Schmitt-Menzel, die vor mehr als 50 Jahren für das Kinderfernsehen des WDR die Maus erfand - und damit auch die Erwachsenen glücklich machte.

Von Holger Gertz

Eigentlich hätte auch diese Maus grau sein sollen. Als die Grafikerin Isolde Schmitt-Menzel in den frühen Siebzigern den Auftrag bekam, eine Mäuse-Geschichte der damals sehr populären Autorin Ursula Wölfel zu illustrieren, war die Farbgebung eigentlich klar. Mäuse sind grau. Aber zur künstlerischen Freiheit gehört, Mäusen ein frisches Hemd anzuziehen, und so wurden die Mäuse von Isolde Schmitt-Menzel bunt, es gab auch gelbe und braune, aber eine war orange, das war die Hauptmaus. Orange war die Farbe ihrer Zeit, in den frühen Siebzigern waren Lampenschirme orange und Aschenbecher und Cremedosen und der Münchner Konsumtempel Schwabylon und sogar die Spiegel-Kantine, in der die Großreporter sich für weitere Heldengeschichten stärkten. Allerdings hat nur Schmitt-Menzel einleuchtend erklärt, was es mit dieser Farbe auf sich hat: "Gelb steht ja für Intelligenz. Und Rot ist Energie. Die zwei Sachen zusammen in meiner Maus war mein Bestreben, denn ich bin genauso."

Niemand konnte klüger mit den Wimpern klimpern

Der Leiter des WDR Kinderfernsehens, Gert K. Müntefering, hatte die Künstlerin damals gebeten, sich kleine Geschichten mit dieser Maus auszudenken, Storyboards, animiert wurde alles von Friedrich Streich, und so kam die Maus ins Fernsehen, sonntagmorgens im Kinderprogramm. Die Maus-Sequenzen waren das sogenannte Trennelement zwischen den präsentierten Lachgeschichten und Sachgeschichten, man unterschied damals nicht nur in der Popkultur zwischen U und E. Die ersten rund hundert Maus-Spots wurden von Isolde Schmitt-Menzel wesentlich geprägt, Premiere war im März 1971. Es ging (Lachgeschichte) darum, wie man mit einem Tintenfisch Freundschaft schließen kann. Und (Sachgeschichte) wie Edelstahllöffel hergestellt werden. Dazwischen stieß die Maus, in ihrem allerersten Beitrag, schmerzhaft mit der Nase an den Rand des Fernsehbildes, sie musste die Grenzen ihres neuen Lebensraums schließlich austesten und kennenlernen. Aber ihren Schwanz, der sich abstöpseln ließ, wenn die Situation es erforderte, setzte sie schon damals virtuos ein. Hilflos an einem Luftballon hängend, nahm sie so lange Schwung, bis die Schwanzspitze den Ballon zum Platzen brachte, da hatte sie dann wieder festen Grund unter den Füßen.

Es gab zwischenzeitlich Auseinandersetzungen mit dem Sender, es ging um Verwertungsrechte und damit auch um Geld, später wurde der Ton wieder versöhnlicher. Isolde Schmitt-Menzels Maus hat sich weiterentwickelt, bald hatte sie das kennzeichnende Wimpernklimpern drauf, das Geräusch dafür wurde mit Kastagnetten gemacht. Bald kam der schnaufende und trompetende Elefant dazu, auch der hatte sich von der natürlichen Elefantenfarbe emanzipiert und beeindruckte mit sattem Blau. Schmitt-Menzel war da längst wieder die angesehene bildende Künstlerin, die sie schon vorher gewesen war, in einem ihrer seltenen TV-Interviews sagte sie schon 1996: "Ich hab auch Pferde und Katzen gemacht, nicht bloß Mäuse." Niemand will schließlich auf ein Nagetier reduziert werden. Aber es ist eine bleibende Leistung, das verplapperte und selbstdarstellerische Medium Fernsehen mit einer Maus bereichert zu haben, die niemals auch nur ein einziges Wort gesagt hat.

Am 4. September ist die Bildhauerin und Grafikerin Isolde Schmitt-Menzel gestorben, sie wurde 92 Jahre alt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5655203
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.