500. Sendung "Maybrit Illner":"Die Logik von Talkshows verträgt sich nicht mit Politik"

Viel Lärm um nichts oder ein Beitrag zur politischen Meinungsbildung? Ob bei Jauch, Plasberg oder Maischberger: Jeden Abend wird im Fernsehen über Politik und Gesellschaft getalkt. Zur 500. Sendung von "Maybrit Illner" erklärt der Politikwissenschaftler Christoph Bieber, warum immer nur die Gleichen auf den Stühlen sitzen und Talkshows kein Ersatzparlament sind.

Christopher Pramstaller

Sie war der Gegenentwurf des ZDF zu Sabine Christiansen: Im Oktober 1999 trat Maybritt Illner erstmals am Donnerstagabend zum Gespräch über politische Standpunkte an, heute wird sie zum 500. Mal ausgestrahlt. Seither ist die Sendung mehrmals umgestellt worden: Neben einem anderen Titel (von Berlin Mitte zu Maybritt Illner), unterschiedlichen Studios und Kulissen sowie modernerer Technik (Monitorwand, Youtube) hat sich auch der Ansatz des Talks verändert. Ging es am Anfang vor allem um politische Kontroversen, so fokussiert sich Maybritt Illner inzwischen vor allem auf die Frage, was Poltik für die Menschen bedeutet. Doch wie haben sich Talkshows generell in den zwölf Jahren des Bestehens von Illners Show verändert? Dies erklärt der Politikwissenschaftler Christoph Bieber im Gespräch mit sueddeutsche.de.

Maybrit Illner

Kristina Schröder und Michael Rogowski sind zwei der Dauergäste in den Polit-Talks - auch bei Maybritt Illner. Wer Themen personalisieren kann, ist klar im Vorteil.

(Foto: Svea Pietschmann)

sueddeutsche.de: Herr Bieber, jede Woche wird im Fernsehen über Politik getalkt - und Illner, Jauch, Plasberg und Co. stehen nicht selten in der Kritik. Kann denn in einer Demokratie zu viel über Politik gesprochen werden?

Christoph Bieber: Wenn intensiv über Sachfragen gesprochen wird, dann ist das Reden über Politik natürlich nie eine schlechte Sache - und davon kann es auch kaum genug geben. Worauf es aber vor allem ankommt, ist die richtige Form der Diskussion am richtigen Ort.

sueddeutsche.de: Nun gibt es seit September allein im Ersten fünf politische Talkshows, das ZDF und andere Sender haben ähnliche Formate. Da müssten in der politischen Meinungsbildung eigentlich paradiesische Zustände herrschen.

Bieber: Bei aller Kritik, die man an den Talkshows üben kann: Da ist tatsächlich ein Ort entstanden, wo Politiker ausführlicher zu Wort kommen, als dies beispielsweise in den Nachrichten der Fall ist. Dort ist alles so massiv verdichtet, dass es für Politiker schwer ist, Gehör zu finden.

sueddeutsche.de: ... zumal nach Medienanalysen selbst beim Spitzenreiter Tagesschau nur noch 48 Prozent der Sendezeit originär politisch sind.

Bieber: Größere Zusammenhänge benötigen mehr Redezeit und ausführlichere Erklärungen als es in einem kurzen Nachrichtenbeitrag der Fall sein kann. Dafür sind Talkshows gut. Ein praktisches Problem ergibt sich aber schnell: Die Logik des Fernsehens und seine Dramaturgie vertragen sich nicht allzu gut mit der Zeit, die Politik benötigt.

sueddeutsche.de: Weil die Talkshows vor allem auch eines sind: Show?

Bieber: Das ist sicherlich der entscheidende Kritikpunkt - und das gleich auf mehreren Ebenen. Erstens funktioniert nicht jeder Politiker in einer Talkshow. Telegen muss er sein, unterhalten und auch noch gut in der eigentlichen Diskussion funktionieren. Das ist ziemlich viel verlangt und engt die Auswahl erheblich ein. Viel gravierender ist aber, dass es Themen gibt, die gar nicht auf die Agenda kommen können, weil sie der Entertainisierung nicht folgen können, zu sehr an Zahlen orientiert sind oder noch nicht personalisiert sind. Die Netzneutralität ist ein Beispiel. Hier wird Vorwissen benötigt und die Sachverständigen der Parteien bei diesem Thema haben als Hinterbänkler keinen Zugang zu den Talkshows. Das wird in den Politik-Talks zu sperrig und am Ende würde die Quote nicht stimmen.

Polit-Talks beeinflussen die Berichterstattung

sueddeutsche.de: Politiker suchen die Talkshow-Bühne nicht umsonst auf. Sie sind Profis der Inszenierung und wollen Meinung machen. Inwieweit findet hier eine politische Einflussnahme statt?

Christoph Bieber

Christoph Bieber ist Stiftungsprofessor für Ethik in Politikmanagement und Gesellschaft an der Universität Duisburg-Essen. Er forscht zum Zusammenspiel von Politik und Medien.

(Foto: oh)

Bieber: In prominenter Form wird für politische Ziele geworben und und manche Talkshows leisten sich Schein-Plebiszite in Gestalt von Publikumsbefragungen. Diese sind die zwar nicht repräsentativ, erwecken aber den Anschein der Volksbefragung. Hier kann durchaus politische Einflussnahme stattfinden.

sueddeutsche.de: Die Talkshow als Ersatzparlament?

Bieber: Genau das sollte sie nicht sein, auch wenn sie manchmal den Anschein erweckt. Eine Talkshow hat keine Legitimation Debatten auszutragen, die Stimmung machen pro oder contra einer parlamentarischen Entscheidung. Wenn tatsächlich Einfluss auf die Parlamente ausgeübt wird, dann ist das unter demokratischen Gesichtspunkten eindeutig negativ zu sehen. Die Talkshow ist kein Parlament und sollte das auch nicht sein. Meinungsbildung ja, Einflussnahme nein.

sueddeutsche.de: Gestaltet sich Politik denn heute anders, weil es die Polit-Talks gibt?

Bieber: Sicherlich verändern sich die Politik und die öffentliche Meinungsbildung. Die Polit-Talks sind ein Teil dieser Veränderung. Sie sind aber nicht der einzige Faktor. Genauso wichtig sind sicherlich Interviews in den Morgenmagazinen, die die Berichterstattung des Tages beeinflussen. Ich denke aber ohnehin, dass man es andersherum sehen muss: Die Talkshows sind entstanden, weil sich die Medien und die Meinungsbildung verändert haben, nicht umgekehrt.

sueddeutsche.de: Aber es entsteht der Eindruck, als ob die Polit-Talks das Tagesgeschäft und auch die Meinungsbildung erheblich beeinflussen.

Bieber: Die Bühne kann definitiv dafür genutzt werden um Debatten vorzustrukturieren. Es werden Testballons losgelassen, um zu schauen, wie die öffentliche Reaktion ist oder politische Schritte vorbereitet. So wird sicherlich Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung ausgeübt. Nimmt man das Beispiel Günther Jauch, dann kann man klar sagen, dass die Abgeordneten das, was dort am Sonntagabend geredet wird, mit in die Woche nehmen. So etwas kann natürlich Auswirkungen auf die Debatten der Parlamentswoche haben.

Produzenten entscheiden, wer spricht

500 Mal Maybrit Illner

Während sich in den ARD-Talkshows einiges veränderte, hat Illner in aller Ruhe und stets auch mit einem etwas spöttischen Lächeln weitergemacht.

(Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Auf den Stühlen finden sich nur allzu oft die immer gleichen Politiker, Lobbyisten und sogenannte Experten wieder. Da tut sich doch eine Schieflage auf.

Bieber: In den letzten Jahren gibt es einen Trend in den Talkshows, der eine Gefahr darstellt: die Verschiebung von der redaktionellen hin zur Produzentenebene. Die Sendungen werden nicht mehr von, sondern für die öffentlich-rechtlichen Sender produziert. Oft haben die Moderatoren ja gleich die entsprechende Produktionsfirma im Hintergrund.

sueddeutsche.de: Günther Jauch beispielsweise mit seiner eigenen Produktionsfirma "i&U TV".

Christoph Bieber: Während die Redaktionen der öffentlich-rechtlichen Sender recht unabhängig arbeiten und die Gäste nach Proporz auswählen können, schaut der Produzent viel stärker auf die Quote. Er oder sie ist oft nicht mehr nur Moderator, sondern gleichzeitig Veranstalter der Runde und hat erheblichen Einfluss auf die Auswahl von Themen und Gästen. Wenn hier Netzwerke anfangen zu greifen, findet eine Verschiebung statt, die sehr kritisch zu betrachten ist. Vorsichtig formuliert kann man sagen, dass Talkshows die Bildung von Kartellen fördern, die entscheiden, wer wo spricht.

sueddeutsche.de: Lässt sich dagegen ansteuern?

Bieber: Die Macher müssen ein Auge darauf haben. Die Verantwortung liegt ganz bei ihnen. Für Politiker ist es sinnvoll die Bühne zu suchen und die Zeit dort zu nutzen. Ein selbstauferlegter Verzicht würde sie im Vergleich zur politischen Konkurrenz benachteiligen. Ihnen ist sicherlich kein Vorwurf zu machen.

sueddeutsche.de: Haben sich die Polit-Talks auch abseits der Produktionsebene verändert?

Bieber: Sowohl das Format als auch die Themen haben sich verändert. Reine Talkformate, wie vor zehn oder 15 Jahren, gehen zurück. Dafür halten immer mehr Entertainment-Elemente Einzug, die auflockern sollen. Kleine Einspieler sind ein Beispiel. Doch auch thematisch gibt es große Veränderungen: weg vom Politischen, hin zu Gesellschaftsthemen. Man muss sich ehrlich fragen, ob am Sonntagabend nach dem Tatort eine rein politische Talkshow überhaupt noch funktionieren würde oder ein Gesellschafts-Talk beim Publikum nicht besser ankommt.

sueddeutsche.de: Geht es denn auch besser? Gibt es Formate die mehr können als das, was wir im Moment präsentiert bekommen?

Bieber: Ein Herunterbrechen der politischen Sachverhalte auf Talkshow-Niveau ist völlig legitim. Was man aber nicht vergessen darf: Reine Redeformate wie die Schlichtungsgespräche bei Stuttgart21 oder die Anhörung von Joschka Fischer im Untersuchungsausschuss haben einen hohen Eigenwert für die politische Öffentlichkeit - auch wenn sie keine hohen Quoten erzielen. Das geht aber auch, wie man bei den TV-Duellen im Vorfeld von Bundes- oder Landtagswahlen sehen kann. Hier werden Quoten erreicht, von denen die Talkshow-Macher nur träumen können.

Christoph Bieber, 41, ist Stiftungsprofessor für Ethik in Politikmanagement und Gesellschaft an der Universität Duisburg-Essen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt das Zusammenspiel von Politik und Medien, insbesondere der so genannten neuen Medien und des Internets auf die Demokratie und politische Prozesse.

Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Fassung des Textes wurde fälschlicherweise behauptet, die "Doc.station Medienproduktion", deren Gesellschafter "ZDF Enterprises" ist, würde mit freien Redakteuren für die Sendung Maybrit Illner arbeiten. "Doc.station Medienproduktion" unterstützt Maybrit Illner jedoch lediglich mit technischen Beistellungen und nimmt keinen redaktionellen Einfluss auf die Sendung.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: