Süddeutsche Zeitung

Pressefreiheit in Ungarn:Weil sie ihren Job machte

Ungarns Staatsfernsehen diffamiert eine österreichische Journalistin.

Von Cathrin Kahlweit

Franziska Tschinderle schaut gewöhnlich kein ungarisches Staatsfernsehen. Hätte die Journalistin des österreichischen Magazins Profil am vergangenen Mittwoch den öffentlich-rechtlichen Sender M1 angeschaltet, hätte sie ihr eigenes Gesicht in einem mehr als dreiminütigen Beitrag gesehen, der sie selbst zum Thema machte: Sie sei, hieß es, eine "Amateurjournalistin", die Europaabgeordnete der Regierungspartei Fidesz "mit Fragen provoziert" habe. Ziel der Österreicherin - und der "europäischen linksliberalen Presse" - sei eine "beispiellose Attacke" gegen die Pläne von Ministerpräsident Viktor Orbán für ein neues Parteienbündnis in Europa. Tschinderle schreibe schon lange über die "sogenannte rechte Gefahr" und berichte negativ über Orbán.

Dass Orbán-Kritiker medial angegriffen werden, kommt in Ungarn regelmäßig vor; die Diffamierung einer jungen ausländischen Reporterin aber, die in den Augen der Regierung unbotmäßige Fragen stellt, ist auch in einem Land, in dem kritische Journalisten und Medien zunehmend mundtot gemacht werden, eine neue Qualität. Was war geschehen?

Tschinderle hatte für einen Report zur neuen europäischen Rechten, an dem sie derzeit gemeinsam mit einer Kollegin arbeitet, auch drei Fragen an die Fidesz-Fraktion in Brüssel gemailt. Der Inhalt: Warum bei dem Treffen von Orbán, dem italienischen Lega-Chef Matteo Salvini und Polens PiS-Premier Mateusz Morawiecki, das unlängst in Budapest stattfand, nicht auch der Front National und die FPÖ dabei waren; was die geplante Allianz erreichen wolle; und wie eine euroskeptische Koalition, die bei Themen wie Türkei, Russland und der Haltung zum Antisemitismus inhaltlich nicht an einem Strang ziehe, zusammengehalten werden solle.

Österreichs Außenminister nennt den Umgang mit Tschinderle "unvertretbar"

Fidesz mochte nicht antworten, denn das seien ja keine echten Fragen. Der Sender M1, Sprachrohr der Regierung Orbán, reagierte dann anstelle der Partei mit einer persönlichen Attacke auf eine Journalistin, die nichts tat als - Fragen zu stellen. Was ihr Job ist. Tschinderle wiederum reagierte auf die Sendung mit einer Solidaritätserklärung für ihre Kollegen jenseits der Grenze: Es gehe hier nicht um sie, ungarische Journalisten müssten Tag für Tag unter solchen Bedingungen arbeiten. Sie werde sich nicht einschüchtern lassen und weiter über den Demokratieabbau im Nachbarland berichten.

Seither gab es zahlreiche Solidaritätserklärungen - von Reporter ohne Grenzen, von ihrem Arbeitgeber, von Journalistenverbänden; alle verwiesen auf den schlechten Zustand der Presse- und Meinungsfreiheit in Ungarn. Der österreichische Außenminister, Alexander Schallenberg, nannte den Umgang mit der Journalistin "unvertretbar" und telefonierte mit seinem ungarischen Kollegen, Péter Szijjártó.

Dessen Reaktion zeigt, dass die Attacke auf Tschinderle im Orbán-Kosmos in einem viel weiteren Zusammenhang gesehen wird. Unlängst hatte Hertha BSC den Torwarttrainer Zsolt Petry wegen eines rassistischen und homophoben Interviews in einer ungarischen Zeitung gefeuert. Der Fall hat in Budapest größte Empörung ausgelöst. Szijjártó schrieb auf Facebook, hier werde die "ganze Heuchelei" sichtbar: Eine liberale Journalistin könne "fake news" verbreiten, aber ein Fußballer werde gefeuert, wenn er sich gegen den "liberalen Mainstream" stelle.

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