Süddeutsche Zeitung

Selbstoptimierung beim Arzt:Bestimmt sind Sie noch nicht perfekt

"Anal-Bleaching", "modellierter Venushügel", "Hodenstraffungen": Immer mehr Medien entdecken das Geschäft mit der Schönheit. Würdevoller wird das Leben dadurch allerdings nicht.

Von Gerhard Matzig

Der Mann von heute braucht eigentlich zwei Penisse. Also mindestens. Ein Premium-Glied wäre demnach für den One-Night-Stand zuständig, denn dafür "finden Frauen einen Penis sexy, der länger und vor allem dicker als der Durchschnitt ist". Das zweite Glied, eine Art Standard-Ausführung, wäre dagegen für Langzeit-Partnerschaften zuständig, denn in diesem Fall bevorzugen Frauen "eher ein kleineres Geschlechtsteil".

Was Frauen wollen, je nachdem, und Männer, ebenfalls je nachdem, fürchten: All dies weiß das neue "Better Aging"-Magazin Gala beautify. Die Zeitschrift, 164 Seiten, 7,90 Euro, ist nun erstmals in einer Auflage von 80 000 Exemplaren erschienen. Sie wendet sich an eine zunehmende Leserschaft, "die sich für ästhetische Behandlungen und plastische Chirurgie interessiert". Übrigens ist es sehr schade, dass die plastische Chirurgie noch nicht das Flexi-Glied erfunden hat: Die Technik "Periskoprohr" sollte man nicht allein dem Militär und den U-Booten überlassen, denn auch das Befrieden deutscher Hotel- (One-Night-Stand) und Ehebetten (Langzeit-Projekt) ist ein hehres Ziel.

Es gibt immer mehr Menschen, so das Kalkül beim für Gala beautify zuständigen Verlag Gruner + Jahr, die sich für einen "modellierten Venushügel", "geglättete Dammnarben", eine "Vaginalstraffung" (9000 bis 9500 Euro) oder auch eine "Hodenstraffung" (3000 bis 4000 Euro) begeistern. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa zufolge können sich bereits "mehr als 40 Prozent der Befragten einen ästhetischen Eingriff generell vorstellen". Ohrenanlegen und Botox waren gestern, heute geht es darum: "keine falsche Scham". Das passt natürlich auch unterhalb der Gürtellinie zur Selbstoptimierungs-Ära, die nicht neu ist. Neu ist aber, und der Neuling unter den Gazetten ist ein weiteres Indiz dafür, dass Penisverlängerungen und Brustvergrößerungen nicht mehr als exotisch wahrgenommen werden. In den Worten der Zeitschrift Elle: "Auch das Anal-Bleaching boomt." Beziehungsweise, so ist es auf dem Online-Portal Stylebook zu lesen: "Dem Partner besser gefallen, sich selbst ästhetischer und attraktiver fühlen - mehr und mehr Menschen lassen sich dafür den Anus bleichen." So ist das also.

Die Grenze zwischen "kann man machen" und "echt seltsam"

An diesem Dienstag kontert Burda, München, den Beautify-Vorstoß von Gruner + Jahr, Hamburg. We are beauty heißt das etwa 100 Seiten starke Sonderheft, das drei Magazinen aus dem Hause Burda beiliegen wird, nämlich Elle, Instyle und Harper's Bazaar. Anders als bei Gala beautify geht es weniger um nackte Tatsachen, wie der Schönheitschirurg sie schuf, sondern mehr um "Schönheit von innen". Und, hm, um Nageltrends etwa. Das aber in einer Gesamtauflage von 500 000 Exemplaren. Die Beautyness, ob außen oder innen, ist offenbar ein großes Geschäft. Und ein gesellschaftliches Thema ersten Ranges.

Daher kann man sich am Kiosk Gala beautify mittlerweile auch direkt neben den Bike-Zeitschriften oder einem Produkt wie Running - das Laufmagazin vorstellen. Oder neben der Zeitschrift Mein schöner Garten. Offenbar kann man sich, zumindest im Beautify-Ableger, für einen gelifteten Hintern, die Zehenverlängerung oder die "Microdermabrasion" (letztlich: "frischerer Teint, weniger Falten, mehr Ausstrahlung" - früher hätte man das alternativ mit Farbe, genügend Schlaf oder guter Laune erledigt) genauso interessieren - wie man sich auch für die neue Shimano-Schaltung beim Radfahren, für raffiniert konstruierte Innensohlen beim Joggen oder, im Garten, für den Weidentipi-Bau empfänglich zeigt. Die Schönheit und dazu notwendige Korrekturen sind angekommen in der Mitte der Gesellschaft. Das Thema betrifft Frauen wie Männer, Alte und Junge. Niemand ist gefeit vor der Frage: to bleach or not to bleach?

Der "Traumbusen" wird daher im Bereich "Economic" schon für 2599 Euro angeboten. "Premium" kostet knapp 3000 Euro. "Schönheit soll bezahlbar sein", heißt es beim Deutschen Ärzte-Service, DÄS. Nie zuvor war es so leicht, so günstig und so normal: dieses seltsame Ding mit der Schönheit. "Schöner Busen für jede Frau erschwinglich" - so ist die aktuelle DÄS-Anzeige in der Bild-Zeitung überschrieben. Das Geschäft mit der Ästhetik brummt. Die Preiskonkurrenz - manche Dumpingpreise kann man viertel- oder achtelseriös nennen - war also nur eine Frage der Zeit.

Medial wird das Phänomen aufbereitet in Zeitschriften und TV-Formaten wie I want a famous face: In der kurzlebigen MTV-Show konnten sich junge Erwachsene per Schönheits-OP in ihren Lieblingsstar verwandeln; Medienwächter protestierten. Wobei das Thema auch durch die Talkrunden zieht. Dabei ist die Diskussion tatsächlich schwierig: Was ist schon normal - und was nicht? Friseurbesuch: normal. Nagelstyling: normal. Tattoo: normal. Fitnesscenter: normal. Ohrenanlegen: normal. Dass die Broschüre "Smile to go" beim Zahnarzt ausliegt und sich Zahnärzte umbenennen in Zahnästheten: normal. Warum aber sollte dann eine Nasenkorrektur, die Lidstraffung oder eine Brust-OP nicht mehr normal sein? Oder auch, tja, jetzt wird es schwierig, eine klitzekleine Anus-Korrektur? Wo die Grenze liegt zwischen "kann man machen", "sollte man machen" und "echt seltsam", das wird täglich neu verhandelt. Individuell und gesellschaftlich.

Wobei der Druck zunimmt. Analog zum Wissen um das, was wo wie wann machbar ist. Die neue Postille Gala beautify hört sich deshalb auch irgendwie so an wie der Satz "Simplify your life" (Vereinfache dein Leben). Abgesehen davon, dass man allmählich diese gouvernantenhafte Ändere-dein-Leben-Rhetorik ganz schön satt hat: Es dürfte schwer sein, das Leben einfacher zu machen - und sich gleichzeitig ständig zu beautifyen.

All die Checklisten, Ärzteinfos, Kosten, Trends und Techniken zu Facelift, Botox und Co. (plus "das große ABC der Schönheits-Maßnahmen von Kopf bis Fuß"), die einem aus Gala beautify entgegentreten, sind daher einerseits informativ - und andererseits, wie soll man das jetzt sagen: Schöner, würdevoller, souveräner oder gelassener wird das Leben dadurch eigentlich auch nicht.

Schlauer allerdings macht einen das neue Magazin schon: "Fast jeder zweite Mann ist unzufrieden mit seinem Penis." Ach du Schreck. "Hingegen mögen 85 Prozent der Frauen das Glied ihres Partners so, wie es ist." Na bitte: Wahre Schönheit kommt von innen. Aber auch das ist reiner Stress. Hoffentlich kommt bald der Bad-Body-Style in Mode, damit mal wieder Ruhe ist an der Beautyness-Blödness-Front.

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SZ vom 03.04.2018/luch/rus
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