Seidl: Satire-Bewerbung als ZDF-Intendant:Ich bin der Kandidat

Veronica Ferres will er im ZDF nicht mehr sehen, ebenso wenig Rosamunde-Pilcher-Schnulzen: "FAS"-Feuilletonchef Claudius Seidl bewarb sich in einer Glosse für den Posten des ZDF-Intendanten. Seine Vorschläge gefallen vielen: Auf Facebook fand er ebenso Unterstützer wie unter Kollegen.

Hannah Beitzer

Die Wahl des ZDF-Intendanten wird von Kritikern gerne mal als Einheitswahl nach DDR-Manier bezeichnet. Ein Fernsehrat, der zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus Parteienvertretern besteht, bestimmt den Programmchef des ZDF - das nächste Mal am 17. Juni, wenn ein Nachfolger für Intendant Markus Schächter ermittelt wird.

Claudius Seidl als ZDF-Intendant

"Ich bin dieser Gegenkandidat." In einer Glosse empfahl sich "FAS"-Feuilletonchef Claudius Seidl als ZDF-Intendant. Und brachte gleich einige Änderungsvorschläge im Programm an.

(Foto: screenshot: sde)

Aussichtsreichster Kandidat ist Thomas Bellut, der seit 2002 Programmdirektor beim ZDF ist. Gegenkandidaten: Fehlanzeige - bis Claudius Seidl kam. Der Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung verkündete in einer Glosse, er sei der Gegenkandidat.

Was er über den öffentlich-rechtlichen Sender schrieb, war wenig schmeichelhaft: Er produziere "den gleichen Mist wie die kommerziellen Sender" - womit die Begründung für die Gebühren hinfällig sei. "Ich habe früher fast täglich ferngesehen, gerne auch mal das ZDF; heute schaue ich gar nicht mehr fern, und beides, glaube ich, macht mich zum idealen Repräsentanten des Publikums", begründet Seidl seine Kandidatur.

Seidls Vorschläge zur Programmveränderung: Es soll im Öffentlich-Rechtlichen nichts mehr laufen, was es auch auf den Privatsendern gibt - die dafür keine Gebühren brauchen: die Champions League, Zweiteiler mit Veronica Ferres oder Christine Neubauer, die Nachmittagssoaps, die Kochshows, die Arztserien, Rosamunde Pilcher, Inga Lindström - "und natürlich die Guido-Knopp-Dokumentationen, obwohl es so etwas nirgendwo sonst gibt. Zum Glück." Wenn es nach Seidl ginge, gäbe es stattdessen zum Beispiel die amerikanische Kult-Serie "Mad Men" im Hauptprogramm.

Mit seiner Scherz-Bewerbung traf Claudius Seidl einen Nerv. Bald gab es eine Facebook-Seite: "Claudius Seidl als ZDF-Intendant". Die gefällt inzwischen mehr als 1800 Usern. Mit dem Erfolg von "Joachim Gauck als Bundespräsident" (fast 37.000 Unterstützer) oder gar "Wir wollen Karl-Theodor zu Guttenberg zurück" (etwa 600.000 Unterstützer) lässt sich das zwar nicht vergleichen - dafür bleiben die Macher der Seite (zu denen Seidl nach eigenen Angaben nicht gehört) dem satirischen Stil ihres Vorbilds treu.

Sie schlagen zum Beispiel den Fernsehräten vor, warum sie Claudius Seidl wählen sollten. Das klingt etwa so: "Warum sollte Erika Steinbach Claudius Seidl wählen? Seidl ist Vertriebenenkind, Freund offener Worte, bereit auszuteilen, gerne gegen 68er oder Günter Grass und ein resoluter Gegner autoritärer Regime. Auch ihm ist die evangelische Kirche oft zu lasch", heißt es dort. Die Fans fragen etwas knapper: "Gibt's dann auch Pornos?", oder "Wer ist Thomas Bellut?".

Der "Titanic-Intendant"

Claudius Seidl selbst postet auch immer wieder auf die Seite. Er werde zum Beispiel gefragt, ob es in Zukunft nur noch amerikanische und französische Serien im ZDF geben solle. "Nein", schreibt er, "aber wäre es nicht schön, wenn so etwas wie 'Im Angesicht des Verbrechens' der Standard wäre. Und nicht irgend so ein Schwachsinn wie der 'Bergdoktor'." Das hört sich beinahe ernst an, wie auch einige Posts von Nutzern. "Warum wurde eigentlich das Kinderprogramm komplett in die Spartenkanäle verbannt?" fragt etwa eine Userin. "Selbst bei den Sozialversicherungen kann man wählen, aber bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht?! Kann ja wohl nicht sein!", ärgert sich ein anderer Seidl-Fan.

Auch in etablierten Medien finden sich mehr und mehr Unterstützer für Claudius Seidl. "Das Duell" titelte die Berliner Zeitung, die Welt kürte Seidl zum "Titanic-Intendanten" - sie fühlt sich an eine Aktion des Satire-Magazins im Wahljahr 2005 erinnert. Damals hatten einige Redakteure eine Partei gegründet, abstruse Wahlslogans formuliert und sogar einige Stimmen bekommen. Die Abendzeitung interviewte Claudius Seidl zu seiner Kandidatur. Und Georg Dietz kommentiert auf Spiegel Online: "Ich bin für den arabischen Frühling im deutschen Fernsehen."

Das ZDF ist von alldem naturgemäß nicht besonders begeistert. Vor allem den Vorwurf der Intransparenz will man sich nicht gefallen lassen. Man habe die Intendantenstelle von Mitte Februar an vier Wochen auf der Internetseite des Senders ausgeschrieben. Von Claudius Seidl habe man keine Bewerbung erhalten.

Der erzählt die ganze Sache etwas anders: Er habe zu dieser Zeit beim Sender angerufen und sich nach den nötigen Qualifikationen für die Stelle erkundigt - "aus Interesse". Niemand habe ihm den Ansprechpartner für die Bewerbung nennen können. "Ich habe die ganze Sache sofort wieder vergessen, bis dann eine Meldung kam, es gäbe keine Gegenkandidaten für die Intendantenwahl", sagt er, "dann habe ich die Glosse geschrieben." Dass seine Satire so weite Kreise ziehen würde, habe er zu diesem Zeitpunkt nicht gedacht. "Inzwischen sagen immer mehr Leute zu mir: Du musst das machen", erzählt er.

Möglich wäre es: Die Fernsehräte können noch bis zur Wahl neue Kandidaten vorschlagen. Aber denkt Seidl ernsthaft darüber nach? Oder ist es doch nur Spaß? "Mir ist es in der Sache ernst. Der Spaß ist ein Nebeneffekt", sagt er. "Die Sache", das ist für ihn die Kritik an der Programmpolitik des ZDF. "Es geht mir hier nicht um eine elitäre Qualitätsdebatte." Qualitätsempfinden hat schließlich mit persönlichem Geschmack zu tun. "Ich schaue zum Beispiel selbst wahnsinnig gern die Champions League", sagt Claudius Seidl, "aber warum muss das ZDF sie mit meinen Gebühren kaufen, wenn Sat1 sie ohne Gebühren sendet?"

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