Harte Bandagen gegen Kreml-kritische Medien:"Putin hat es nicht mehr so leicht wie im Jahr 2000"

Eineinhalb Wochen nur noch, dann wählt Russland einen neuen Präsidenten. Höchste Zeit für den Staat, seine Schwerter zu schärfen und den Druck auf alle kritischen Medien zu erhöhen. Trotz Gängeleien haben sich Oppositions-Medien etabliert. So wie der Sender "Doschd". Er ist für viele Russen zum Symbol für das Verlangen nach Ehrlichkeit, Informationsvielfalt und offener Debatte geworden.

Frank Nienhuysen, Moskau

Die alte Schokoladenfabrik am Ufer der Moskwa, ganz nah am Kreml. Zuckersüße Schwaden zogen von hier aus früher über die Stadt - "Roter Oktober", der geschwungene Schriftzug hängt noch immer an der Backsteinfassade. In einem Trakt des rotfarbigen Ensembles hat sich der Fernsehkanal Doschd (Regen) eingerichtet, und man spürt gleich, hier werden nicht nur Programme gesendet, sondern auch Botschaften.

Harte Bandagen gegen Kreml-kritische Medien: Alles eine Frage der Inszenierung: Wladimir Putin bei einer Veranstaltung im Moskauer Luschniki-Stadion. Mehr als 100.000 Anhänger hatten sich dort versammelt, um einer Rede des Premierministers und Präsidentschaftskandidaten beizuwohnen.

Alles eine Frage der Inszenierung: Wladimir Putin bei einer Veranstaltung im Moskauer Luschniki-Stadion. Mehr als 100.000 Anhänger hatten sich dort versammelt, um einer Rede des Premierministers und Präsidentschaftskandidaten beizuwohnen.

(Foto: AFP)

"Optimistic channel" steht in Pink auf diversen Glaswänden, am Eingang des Studios wacht ein Lenin-Kopf mit offener Schädeldecke, die Stühle sind wahlweise Barhocker, farbige Designermöbel oder Eisenstühle mit Rücklehnen, die in zwei Metern Höhe enden. Doschd will anders sein, moderner, offener als die staatlichen russischen Fernsehsender. Und Doschd ist es auch. Oppositionspolitiker wie Boris Nemzow oder Wladimir Ryschkow, in den staatlichen Medien praktisch ausgesperrt, finden in Doschd eine Gelegenheit, ungeschnitten und live ihre Meinung zu sagen. Das ist nicht innovativ, in Russland aber eine Ausnahme.

Seit fast zwei Jahren gibt es Doschd bereits, im Internet, über Kabel und Satellit, und lange hat die Staatsmacht den Sender einfach senden lassen: ein Spartenkanal, zu klein, zu unbedeutend, um das Informationsmonopol zu gefährden. Aber mit den Protesten im Dezember wuchs auch seine Bedeutung. Für viele Russen ist Doschd zu einem Symbol geworden für das Verlangen nach Ehrlichkeit, Informationsvielfalt und offener Debatte. Laut Sender hat sich die Zahl der Zuschauer seit der Parlamentswahl vor zwei Monaten verzehnfacht - alleine im Netz auf eine Million pro Woche. Die Behörden schauen jetzt genau hin.

Redakteure entlassen, Sendungen verschoben, Gäste ausgeladen

Seit ein paar Tagen interessiert sich auf Betreiben eines Abgeordneten der Regierungspartei "Einiges Russland" die Staatsanwaltschaft für den jungen Sender. Sie verlangt Rechenschaft darüber, wer für Doschd die Video-Übertragung von den Protesten im Dezember finanziert hat. "Das ist ein Signal, dass uns irgendjemand satthat", sagt Chefredakteur Michail Sygar. Es sind nur noch anderthalb Wochen bis zur Präsidentenwahl, der Staat schärft jetzt seine Schwerter.

Tagtäglich rieseln Nachrichten wie diese über die Agenturen: Der Fernsehjournalist Anton Krasowskij hat den Sender NTW aus Protest verlassen, weil seine Kollegen angeblich Auftragsarbeiten gegen ihn anfertigten. Der Musiksender MTV setzte kurzfristig eine Talkshow von Ksenia Sobtschak ab, offenbar, weil für die nächste Folge ein Interview mit dem einflussreichen Blogger und Korruptionsbekämpfer Alexej Nawalnyj geplant war.

Der Chefredakteur des kritischen Radiosenders Echo Moskwy, Alexej Wenediktow, wurde von Gazprom-Media aus dem Aufsichtsrat des Senders entlassen, nachdem er mit Wladimir Putin eine öffentliche Kabale ausgetragen hatte. Und nun überprüften auch noch 130 Inspektoren die Bank des Nowaja Gaseta-Mitherausgebers Alexander Lebedew und froren dessen Konten ein. Die Mitarbeiter der kritischen Zeitung müssen einen Monat auf ihr Gehalt warten. Man kann das alles zeitlichen Zufall nennen. Aber es sieht doch eher nach einem Muster aus.

Ein Hauch von medialem Frühling

Dabei schien der Druck der Straße im Kreml zunächst Wirkung zu zeigen. Präsident Dmitrij Medwedjew kündigte als Ergebnis der Proteste einen öffentlich-rechtlichen Sender an, über dessen Konzept nun diverse Arbeitsgruppen brüten. Eine Art Volksmedium für die Gesellschaft soll er werden, aber bis zum ersten Hohn dauerte es nicht lange. "Wenn das so ist, heißt das dann, dass alle anderen Sender keine Sender für das russische Volk sind?", rief der Fernsehjournalist Leonid Parfjonow Zehntausenden Demonstranten von der Bühne aus zu. Die Menschen lachten.

Putin auf allen Kanälen

Oppositionspolitikern stehen nur kleine TV-Sender zur Verfügung. Putin hingegen ist allgegenwärtig - wie hier auf den Bildschirmen in einem Moskauer Elektronikmarkt.

(Foto: dpa)

Längst verflogen ist der Hauch von medialem Frühling, den viele Russen sich im Dezember erhofften, als selbst die staatlich kontrollierten Sender von den Demonstrationen berichteten. Aber offenbar konnten sie einfach nicht anders.

Inzwischen hat sich die Lage normalisiert, die Staatsmacht kommt wieder wie gewohnt zur Geltung, und die Kritiker müssen sich ihre Nischen suchen. Sogar die Präsidentschaftskandidaten Gennadij Sjuganow und Wladimir Schirinowskij, die seit fast zwei Jahrzehnten Teil des medialen Establishments sind, beklagten sich darüber, dass gleich mehrere TV-Sender Putin zu Diensten seien und ihm zehnmal so viel Sendezeit widmeten wie ihnen. Schriftlich eingereichte Fragen der SZ an den Ersten Kanal zum Wunsch vieler Russen nach mehr Offenheit, die Bitte, eine Antwort zu geben auf die Vorwürfe, Putin werde bevorzugt, blieben bislang unbeantwortet.

"Das Fernsehen stand schon immer unter der Kontrolle der Staatsmacht"

Dosch-Chef Michail Sygar dagegen hat eine Meinung, und er sagt sie auch. "Das Fernsehen stand schon immer unter der Kontrolle der Staatsmacht, und ich sehe keine Anzeichen, dass sie die Medien jetzt loslässt." Sygar, ein junger Mann mit schlabberndem Hemd über der Jeans, ist erst etwa Mitte dreißig und repräsentiert damit sehr gut den Kreis seiner Mitarbeiter, einer neuen Generation mit postsowjetischer Journalistenausbildung.

Ein paar Kollegen haben mir gesagt, etwas verändere sich gerade in Russland, die Medien würden offener. Aber von einer Revolution zu sprechen, halte ich derzeit für unmöglich." Und er zeichnet jetzt auf, warum. Sygar nimmt sich ein Blatt Papier und malt zwei Blöcke, gleichsam die Trümpfe der Macht. Auf der einen Seite die staatliche Mediengesellschaft WGTRK, auf der anderen das Imperium von Jurij Kowaltschuk, dem über seine Holding NMG praktisch alle anderen wesentlichen Fernsehsender gehören. "Er ist ein Freund von Putin", sagt Sygar.

Einige Skeptiker sagten ihm voraus, dass Doschd vielleicht geschlossen werde, wenn die Wahl am 4. März erst vorbei sein wird. Aber das glaubt Sygar nicht, und natürlich darf er das auch nicht glauben. "Die Gesellschaft ist aufgewacht. Putin hat es nicht mehr so leicht wie im Jahr 2000", sagt er. "Es wird einen Dialog geben, oder einen Kampf. Und wir werden ihn beobachten."

Doch auch Doschd ist ein kommerzieller Sender, der Geld verdienen muss. Bis Ende dieses Jahres will er schwarze Zahlen schreiben. Das Interesse der Werbepartner ist gewachsen, am Sender, an dessen Publikum. Aber sie würden auch heute gern wissen, ob es ihn morgen überhaupt noch gibt. Sygar ist sich sicher, und es steht ja auch überall: "Optimistic channel". Aber er sagt: "Es kommt noch eine schwere Zeit."

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