Schweiz:Schwellenangst

Der Eigentümer verklagt eine Luzerner Journalistin, weil sie für eine Recherche sein von Aktivisten besetztes Haus betreten hat. Deren Kollegen hoffen nun auf ein Urteil im Sinne freier Berichterstattung.

Von Isabel Pfaff

Schweiz: Steine des Anstoßes: Aus dieser Luzerner Villa berichtete Jana Avanzini 2016 über Pläne, das leerstehende Gebäude für Alternativkultur zu öffnen. Eigentümer Jørgen Bodum klagte gegen Hausfriedensbruch.

Steine des Anstoßes: Aus dieser Luzerner Villa berichtete Jana Avanzini 2016 über Pläne, das leerstehende Gebäude für Alternativkultur zu öffnen. Eigentümer Jørgen Bodum klagte gegen Hausfriedensbruch.

(Foto: Isabel Pfaff)

Ein paar Schritte durch den Garten, rein in die Villa mit der Hausnummer 99, Interviews, ein paar Beobachtungen: Mehr war es eigentlich nicht, was Jana Avanzini am 20. April 2016 getan hat. "Was dann kam, habe ich beim besten Willen nicht kommen sehen", sagt die Schweizer Journalistin.

Avanzini, 32, Nasenpiercing, den rechten Arm voller Tätowierungen, sitzt in einem Café in Luzern und wundert sich immer noch. Sie schreibt über Kultur- und Gesellschaftsthemen, bloggt auch übers Elternsein, seit sie 2017 einen Sohn bekommen hat. Ihre Texte zeugen zwar von einer scharfen Zunge, aber in rechtlichen Grauzonen bewegt sie sich damit eigentlich nicht. Und doch muss sich Jana Avanzini diesen Dienstag vor Gericht verantworten. Der Eigentümer der von ihr besuchten Villa hat sie wegen Hausfriedensbruchs verklagt. Nun wird das Luzerner Bezirksgericht entscheiden, was schwerer wiegt: das Hausrecht des Eigentümers oder das öffentliche Interesse an den Geschehnissen in der Villa. Für Avanzini geht es "letztlich darum, wo die Pressefreiheit endet. Darf ich als Journalistin in ein besetztes Haus rein, über das es widersprüchliche Angaben gibt, oder nicht?"

Aktivisten wollen die verlassene Villa von Unternehmer Jørgen Bodum für Alternativkultur öffnen

Dieses Haus ist ein majestätischer Kasten hinter einem schmiedeeisernen Zaun. Als Jana Avanzini das Grundstück im April 2016 betritt, hängen riesige Banner aus den Fenstern, "BELEBT" steht auf einem der Stoffstreifen. Seit elf Tagen leben linke Aktivisten in der Villa. Vorher hatte sie über mehrere Jahre leer gestanden, nun wollen die Besetzer aus ihr einen Ort der Begegnung machen. Ihr Argument: In Luzern gebe es zu wenige Räume für alternative Kultur, gleichzeitig stünden Villen wie diese leer. Die Villa gehört der Bodum Invest AG, deren Besitzer wiederum der schwerreiche Jørgen Bodum ist, Inhaber der gleichnamigen Haushaltswarenfirma. Der Wahlschweizer hat die Villa, die unter Ortsbildschutz steht, 2013 gekauft. In Luzern kursiert ein Gerücht, wonach Bodum das Haus verfallen lassen will, um es dann trotz Schutzstatus abreißen zu dürfen.

Jana Avanzini, damals Redakteurin bei dem Luzerner Onlinemagazin Zentralplus, hat den Auftrag, sich ein Bild von der Besetzung und auch vom Zustand des Hauses zu machen. Ist es tatsächlich so kaputt, dass eine Zwischennutzung, wie sie die Besetzer fordern, nicht in Frage kommt? Oder will der Eigentümer den Zustand der Villa schlechter reden, als er tatsächlich ist? "Auf ein Bier mit Besetzern und Alt-68ern" heißt die Reportage, die am 21. April erscheint. Etwa zur gleichen Zeit geht bei der Luzerner Polizei eine Anzeige der Bodum Invest AG ein - wegen Hausfriedensbruchs. Die Anzeige richtet sich gegen sämtliche Personen, die das Haus unbefugt betreten haben - also auch gegen Jana Avanzini, deren Besuch durch ihren Text zweifelsfrei belegt ist.

Ein Journalistenverband verlieh Jørgen Bodum den Schmähpreis "Goldener Bremsklotz"

Schweiz: „Mich belastet die Sache inzwischen sehr“, sagt Reporterin Jana Avanzini, 32, die viel Unterstützung erfährt.

„Mich belastet die Sache inzwischen sehr“, sagt Reporterin Jana Avanzini, 32, die viel Unterstützung erfährt.

(Foto: Isabel Pfaff)

Zu Beginn glaubt sie noch an einen Irrtum. Per E-Mail versucht sie, Jørgen Bodum zu erklären, dass sie als Journalistin in der Villa war, nicht als Besetzerin. "Keine Reaktion." Avanzini wird vernommen, verweigert aber die Aussage. Exakt ein Jahr nach Erscheinen ihres Artikels erhält sie Post: Die Luzerner Staatsanwaltschaft verurteilt sie wegen Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe in Höhe von 550 Franken. Mit Unterstützung ihrer Redaktion wehrt sich Avanzini gegen das Urteil. Sie erhebt Einspruch, legt ihre Sicht der Dinge dar - mit Erfolg: Das Verfahren sei einzustellen, entscheidet die Staatsanwaltschaft diesmal. Avanzini könne kein Vorsatz nachgewiesen werden, außerdem habe die Berichterstattung im öffentlichen Interesse gelegen, sodass der Grundsatz "Wahrung berechtigter Interessen" erfüllt sei.

Die Freude währt nicht lange. Die Bodum Invest AG zieht das Verfahren weiter. Im Dezember 2018 gibt das Kantonsgericht der Firma Recht und verweist den Fall zurück an die niedrigere Instanz, mit dem Hinweis: Einen so heiklen Fall wie den von Jana Avanzini müsse ein Gericht entscheiden, nicht der Staatsanwalt.

"Erst hat mich gewundert, dass Bodum so weit geht", sagt Jana Avanzini. Inzwischen ist sie überzeugt davon, dass der Unternehmer ein Exempel an ihr statuieren will - auch weil sie es war, die zum ersten Mal über die vielen leer stehenden Villen in der Nachbarschaft berichtet hatte, Monate vor der Besetzung. "Wer mich angreift, den verfolge ich bis zum Schluss - so denkt er wahrscheinlich." Jørgen Bodum will sich auf SZ-Anfrage nicht äußern. Sein Anwalt verweist per Mail auf den Prozess am Dienstag: Dort werde die Bodum Invest AG Stellung nehmen zum Fall und dessen Bedeutung für die Schweizer Medienwelt.

Der Unternehmer beweist in jedem Fall Ausdauer: Mehr als drei Jahre dauert das juristische Tauziehen nun schon. Zu lange für Jana Avanzini. "Mich belastet die Sache inzwischen sehr", sagt sie. Die ständige Unsicherheit, außerdem das berufliche Risiko: Sie arbeitet mittlerweile als freie Journalistin, hat einen Ruf zu verlieren.

Doch Avanzini hat auch Unterstützer. Zentralplus, ihr ehemaliger Arbeitgeber, hilft ihr auch diesmal. Bei einem Crowdfunding für die Gerichtskosten sind bereits mehr als 10 000 Franken zusammengekommen. Auch investigativ.ch, das Schweizer Recherchenetzwerk für Journalisten, stärkt ihr den Rücken. Im Mai verlieh der Verband Jørgen Bodum den Schmähpreis "Goldener Bremsklotz". Avanzini habe genau das getan, was Journalisten tun sollen, heißt es in der Begründung der Jury: "die Öffentlichkeit mit relevanten Informationen aus erster Hand versorgen". Es gehe hier um die Grundsatzfrage, ob Journalisten in zweifelhaften Situationen künftig "am Gartenzaun stehen bleiben müssen". Investigativ.ch fordert eine Ergänzung des Schweizer Strafgesetzes um den bisher außergesetzlichen Grundsatz "Wahrung berechtiger Interessen" für mehr Rechtssicherheit in solchen Fällen.

Avanzini berichtet nicht mehr über Hausbesetzungen in Luzern und auch Kollegen halten sich fern

Auch Dominique Strebel, Medienrechtler und Studienleiter an der Schweizer Journalistenschule MAZ, hält eine juristische Klärung für dringend nötig. Die Schweizer Justiz habe bisher eher streng gegenüber Journalisten geurteilt - sei in einem Fall aber vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte korrigiert worden. Entsprechend unklar ist die Rechtslage. "Ich hoffe, dass das Bezirksgericht hier ein Zeichen für die Medienfreiheit setzt, auch für künftige Fälle", sagt Strebel.

Der zähe Rechtsstreit um Jana Avanzinis Recherche, so viel steht jetzt schon fest, hat die Berichterstattung über Hausbesetzungen in Luzern beeinträchtigt. "Seit der Anzeige halte ich mich von solchen Themen fern", sagt Avanzini. In Luzern habe es später noch andere Besetzungen gegeben, doch sie habe sich gehütet, darüber aus erster Hand zu berichten. Auch Kollegen, die dazu recherchierten, hätten es nur noch aus der Ferne getan. Die Verunsicherung ist so groß, dass sie alle ganz ohne Gerichtsurteil am Gartenzaun Halt machen.

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