Süddeutsche Zeitung

Schuldrama "Die Lehrerin" auf Arte:Nach dem Schuss der Schockzustand

Wenn ein Schüler Amok läuft: Eine Pädagogin muss verstörte Teenager trösten - dabei sollte sie lieber selbst einen Therapeuten besuchen. "Die Lehrerin" ist nicht nur wegen der Besetzung ein besonderer Film - sondern auch, weil er sich einfacher Antworten völlig enthält.

Katharina Riehl

Gleich zu Beginn und dann noch einmal gegen Ende des Films steht Andrea mit den Füßen in der Meeresbrandung, und man weiß nicht, ob sie leben will oder tot sein. Sie schaut, in eine dicke Jacke verpackt, auf das Wasser hinaus, und wenn der Psychologe Weininger nicht des Weges käme, ginge das vielleicht nicht gut aus. Vielleicht aber wollte sie auch einfach nur alleine sein.

Die zweideutige Szene am Strand, die Regisseur Tim Trageser als eine Art Rahmen um die Geschichte gleich zweimal zeigt, ist in ihrer Dramaturgie ein gutes Beispiel dafür, wie "Die Lehrerin" gemacht ist: Die Geschichte eines Amokschützen an einer Schule reißt vieles an, erzählt aber das meiste nicht aus. Mögliche Erklärungen für das Geschehene tauchen auf und verschwinden wieder. Was dem Zuschauer bleibt, ist ein Eindruck davon, was es für den Kosmos Schule - für Schüler, Lehrer und Eltern - bedeutet, wenn ein Achtklässler seinen Freunden plötzlich eine Waffe ins Gesicht hält.

Die Handlung setzt ein am ersten Tag nach den Sommerferien. Andrea (Anna Loos), Lehrerin für Biologie und Chemie, tauscht mit ihrer Freundin Katja (Meret Becker) spontan die erste Stunde - so landet Katja in jener achten Klasse, in der wenige Minuten später Schüsse fallen. Der Zuschauer bekommt die Tat nicht zu sehen, er hat nur die Bilder von Teenagern, die in Panik aus dem Klassenzimmer stürzen und sich im ersten Stock verschanzen, um sich auszumalen, was geschehen sein muss. Katja, die Deutschlehrerin, wurde angeschossen und liegt im Koma - die Chancen einer Heilung sind gering.

Der Film konzentriert sich danach vollkommen auf die Perspektive von Andrea, die nach dem Schuss auf die Freundin deren traumatisierte Klasse übernimmt und dabei selbst eher einen Therapeuten besuchen als Kinderseelen trösten sollte. Psychologe Weininger (Axel Prahl), der in der Schule helfen soll, merkt das, aber viel fällt ihm nicht dazu ein.

Man kann so eine Geschichte von Trauer, Schuld und Heilung furchtbar kitschig erzählen, und Die Lehrerin tut das hin und wieder auch. Die Annäherung der Schüler an die Pädagogin beim Bepflanzen eines Schulgartens, das analog zu den Pflänzchen aufkeimende Zusammengehörigkeitsgefühl - diese Szenen sind erwartbar und manchmal sogar ein wenig albern. Trotzdem ist Die Lehrerin nicht nur wegen der starken Besetzung ein besonderer Film: Weil er sich einfacher Antworten völlig enthält. Als der Psychologe Andrea fragt, ob der Schütze in seiner Klasse gemobbt worden sei, antwortet sie zunächst, er sei ein unangenehmer Schüler gewesen. Sie mochte ihn nicht. Und dann: Ja, er sei auch gemobbt worden. Es bleibt eine Leerstelle.

Eine der besten Szenen ist eine Elternversammlung, bei der ein Vater das Kollegium anschreit: Man schütze sein Kind nicht ausreichend, sagt er. Andrea wirft dem keifenden Mann einen irgendwie schönen Satz vor die Füße: Zum Verlust der Freundin und den anderen Spätfolgen komme noch der "Generalverdacht" hinzu, "dass wir Lehrer das irgendwie auch verdient haben". Schön deshalb, weil so viel Frust herausknallt: Und in Listen der unbeliebtesten Berufe schafft es der Lehrer regelmäßig in die Top Ten.

Die Lehrerin: Arte, 20.15 Uhr.

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SZ vom 26.08.2011/cris
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