Schmähgedicht:Gerichtsentscheid gegen Böhmermann beleidigt deutschen Humor

Strafjustizgebäude Hamburg

Landgericht Hamburg: Beharrliche Leugnung des Kontextes.

(Foto: dpa)

Das Hamburger Landgericht, das Jan Böhmermann einen partiellen Maulkorb verpasst hat, beweist mit der Entscheidung fehlenden Durchblick. Die Kulturtechniken der Moderne sind den Richtern offenbar fremd.

Kommentar von Andrian Kreye

Die erste gerichtliche Entscheidung im Fall Böhmermann ist eine Beleidigung für alle, die jemals ihr Leben für die Meinungsfreiheit riskiert haben. Oder riskieren. Denn die Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, das über Jahrhunderte erkämpft wurde. Das darf nicht zur Verhandlungsmasse werden. Schon gar nicht für die Politik, denn um die geht es ja letztendlich.

Das Hamburger Landgericht hat jedenfalls am Dienstag per einstweiliger Verfügung entschieden, dass Jan Böhmermann einige Passagen aus dem Gedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nicht mehr vortragen darf.

Das aber ist auch eine Beleidigung des deutschen Humors, der sein Larvenstadium der Büttenreden und Tusch-Pointen spätestens mit Gerhard Polts "Fast wia im richtigen Leben" Ende der Siebzigerjahre hinter sich gelassen hat.

Sicherlich ist Jan Böhmermann kein Fall für Amnesty International. Selbst wenn die Staatsanwaltschaft Mainz nach ihren Untersuchungen mit einer strafrechtlichen Klage durchkäme, drohte ihm wohl höchstens eine Geldstrafe.

Das kann man nicht mit beispielsweise den Prügeln auf einer chinesischen Polizeiwache vergleichen, die der Dissidentenkünstler Ai Weiwei bekam. Oder mit den Peitschenhieben für den saudischen Blogger Raif Badawi. Oder mit dem Todesurteil wegen Gotteslästerung für die pakistanische Landarbeiterin Asia Bibi.

Es geht um das Grundrecht der Meinungsfreiheit

Auch gibt es kein Grundrecht auf Beleidigung. Aber es kann hier nicht darum gehen, Härtefälle zu vergleichen, oder Grund- gegen Persönlichkeitsrechte auszuspielen. Schon gar nicht, wenn der Beleidigte ein Staatschef mit autokratischen Tendenzen ist, der die Meinungsfreiheit im eigenen Land rigoros beschneidet, egal ob er missliebige Journalisten mit Terrorgesetzen verfolgt, oder die Immunität seiner Parlamentsabgeordneten aufhebt. Es kann auch nicht darum gehen, über Geschmacksfragen gerichtlich zu urteilen. Es geht um das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Das ist eigentlich nicht verhandelbar.

Nun hat das Hamburger Landgericht zwar eingeräumt, dass es sich bei dem Gedicht zwar grundsätzlich um Kunst und Satire handelt. Aber das gelte nicht für die nun verbotenen Passagen. Das zeigt aber, dass das Landgericht Hamburg Böhmermanns Sendung Neo Magazin Royale vom 31. März nicht verstanden hat.

Womit man wieder beim Humor- und damit auch dem Kulturbegriff wäre. Denn das Gedicht über Erdoğan sollte nie für sich selbst stehen. Es stand im Kontext einer satirischen Auslotung der Meinungsfreiheit. Die wiederum war eine Antwort auf die Übergriffe der türkischen Regierung nach einem Erdoğan-Sketch in der satirischen NDR-Sendung Extra 3.

"Je höher man in den Instanzen kommt, desto größer ist in der Regel das Verständnis"

Man kann dieses Gedicht nicht aus diesem Kontext reißen. Das wäre grobe Verzerrung. Denn Kontext ist in der Kultur der Moderne schon seit über hundert Jahren die Grundlage von Kunst, Literatur, Pop und vor allem der Satire.

So aber erinnert die einstweilige Verfügung aus Hamburg an ein Gerichtsurteil in Oklahoma von 1997, das Volker Schlöndorffs oskargekrönte Verfilmung des Günter Grass-Romans "Die Blechtrommel" zur Kinderpornografie erklärte, worauf sämtliche Videokassetten im Bundesstaat beschlagnahmt wurden.

Auch da beschränkte sich das Urteil auf zwei kurze Szenen, die ohne den Kontext des Films anstößig wirken konnten.

Natürlich gibt es Hoffnung. Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland nicht grundsätzlich gefährdet. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Bundesrepublik auf Platz 16 (von 180, und immerhin 25 Plätze vor dem Mutterland der Meinungsfreiheit USA).

Die Verfügung ist ja auch nur einstweilig und mit jeder neuen Instanz wird die Wahrscheinlichkeit größer, dass die Richter kulturelle Techniken wie Kontext und Satire begreifen. Das bestätigte Jan Böhmermanns Verleger Helge Malchow kürzlich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Und der hat mit seinen Prozessen für Autoren wie Heiner Müller, Brett Easton Ellis und Maxim Biller mehr Erfahrung im Kampf für die Meinungsfreiheit, als jeder andere Verleger in diesem Lande.

Auf die Frage, wie schwierig es in Deutschland sei, Kunsturteile durchzusetzen, sagte er: "Das ist von Fall zu Fall verschieden. Die Richter gucken einen schon oft an wie ein exotisches Tier, und dann muss man wirklich erklären, was ein Roman ist und warum ein Roman zum Beispiel in Hamburg spielt und nicht in Dortmund, und dass so etwas ästhetische Entscheidungen von Künstlern sind. Aber je höher man in den Instanzen kommt, desto größer ist in der Regel das Verständnis. Gerade was Kontextfragen betrifft."

Diesen Weg wollen Jan Böhmermann und sein Anwalt Christian Schertz nun auch gehen. Am Mittwoch verkündeten Sie, dass man Erdoğan per Gericht eine Frist von vier Wochen setzen lassen werde.

Bis dahin muss der türkische Präsident eine Hauptsacheklage erheben, mit der er als Kläger aus der einstweiligen Verfügung eine Verwirklichung seines Anspruchs durchsetzen kann. Falls er das versäumt, verfällt die Verfügung. Schertz sagte der Deutschen Presseagentur, er wolle zur Not bis zum Bundesverfassungsgericht gehen.

Wiederholte Machtbeweise Erdoğans

Die beharrliche Leugnung des Kontextes zeigt, dass es im Fall Böhmermann weniger um Recht und Gesetz, als um Politik geht. Man darf es sich mit Erdoğan derzeit eben nicht verderben, weil Deutschland und Europa in der Flüchtlingskrise auf ihn angewiesen sind. Das nutzt er nun wiederholt für Machtbeweise, deren Botschaft auch eher nach Russland und in die arabische Welt gerichtet sind, denen er so zeigen kann, wie er dem Westen die Stirn bietet. Denn geopolitisch sind Russland und die arabische Welt für Erdoğan derzeit sehr viel wichtiger und nützlicher als Europa.

Deutschland reagiert auf diese Übergriffe zunehmend hilf- und planlos. Das Herumlavieren im Fall Böhmermann ist nicht die Sprache der Justiz, sondern der Politik: Die Kanzlerin, die einerseits die staatsanwaltliche Untersuchung wollte, andererseits verkündete, man werde den fraglichen Paragraf der Majestäts- und Präsidentenbeleidigung abschaffen. Und nun das Hamburger Landgericht, das nur Teile des Gedichts beanstanden will. Aber ein bisschen verbieten geht eben nicht.

Will man wirklich eine gerichtliche Einschränkung erzwingen, dann müsste man eigentlich anordnen, dass das Gedicht ausschließlich im Kontext der gesamten Sendung beurteilt werden darf. Das gälte auch für Erdoğan, für Hamburger Richter, für Diplomaten aus Berlin und Ankara und auch für die Kanzlerin.

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