Süddeutsche Zeitung

Schleichwerbung:Made in China

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Plötzlich ist das Logo einer Caféketter auf dem Becher oder ein Schriftzug auf einem vorbeifahrenden Bus: Der chinesische Streamingdienst-Anbieter Tencent kopiert jetzt Werbung einfach direkt in Videos. Das Ziel: Adblockern keine Chance geben.

Von Cornelius Dieckmann

Zwei junge Frauen sitzen im Büro beim Mittagessen. Plötzlich wachsen vor ihnen zwei Kaffeebecher aus dem Tisch. Prominent darauf platziert: das Logo einer chinesischen Cafékette. Oder, eine Nummer größer: Ein strahlend weißer Bus fährt die Straße hinunter. Einen Wimpernschlag später ziert das Motiv einer Mitfahrzentrale seine Seitenfläche - Werbung, wo vorher keine war.

Zu sehen ist dieser Etikettenschwindel auf einem Video, das die neue Werbestrategie des chinesischen Streamingdiensts Tencent Video, der knapp 100 Millionen zahlende Abonnenten hat, vorstellt. Der Autor Matthew Brennan postete das Video diese Woche auf Twitter, mit der trockenen Bemerkung: "Werbeblocker müssen in Zukunft eine Schippe drauflegen." Dass längere Filme im Internet, etwa auf Youtube, Werbeunterbrechungen enthalten, hat die Branche längst vom Fernsehen übernommen. Solche Spots lassen sich mithilfe besagter Programme aber leicht blockieren. Findet die Werbung hingegen im Bild selbst statt, kann man sie genauso wenig ausblenden wie jede andere Requisite.

Die Technologie dafür hat Tencent Video bei der Londoner Firma Mirriad eingekauft, die sogenannte "in-video ads" produziert. Dabei wird Werbung zum Beispiel auf ursprünglich leere Hauswände gepflanzt - oder eben auf virtuelle Kaffeebecher. Ganz neu ist diese Art der Produktplatzierung zwar nicht. Vor einigen Jahren war in Wiederholungen der amerikanischen Serie How I Met Your Mother im Hintergrund Werbung für einen Film zu sehen, der bei den Dreharbeiten noch gar nicht existierte. Solcherlei soll jetzt aber noch subtiler geschehen. Und es ist durchaus denkbar, dass das bei den chinesischen Konsumenten gut ankommt, immerhin wird so der Filmfluss nicht gestört.

Unterdessen wächst das kaum noch fassbare Imperium von Tencent. Vor allem mit der App WeChat dringt das Unternehmen in fast jeden Lebensbereich Chinas vor. Mit den Unmengen an Personendaten könnte Tencent zukünftig prinzipiell auch individualisierte Werbung integrieren. Theoretisch sähe dann jeder einen minimal anderen Film, je nach Kaufverhalten.

Das jedoch nur als chinesische Datendystopie abzutun, würde verkennen, dass ähnliche Technologien auch auf hiesigem Rasen gedeihen. In der Fußballbundesliga variiert schon jetzt bei einigen Übertragungen die Bandenwerbung - abhängig davon, ob man ein Spiel in Deutschland, Nordamerika oder in China sieht. Reklame könnte also bald vor allem eines sein: virtuelle Realität.

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Quelle:
SZ vom 18.10.2019
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