Scheitern von FTD und Frankfurter Rundschau:Gemeinsam sind wir schwach

"Es wollte ja niemand so, es war ja niemand begeistert": Das Scheitern von "Frankfurter Rundschau" und "Financial Times Deutschland" zeigt, dass zusammengelegte Redaktionen in der Zeitungskrise alles nur noch schlimmer machen.

Caspar Busse, Katharina Riehl und Marc Widmann

Es war ein langer Tag im Tobogan, dem Turm des Hamburger Verlagshauses am Baumwall. Von zwölf Uhr mittags bis neun Uhr abends saßen Vorstand und Aufsichtsrat an diesem Mittwoch im Konferenzraum, um über die Zukunft der Gruner+Jahr-Wirtschaftstitel zu entscheiden. Es war eine turnusmäßige Sitzung mit vielen Themen, die Zukunft von Financial Times Deutschland (FTD), Capital, Impulse und Börse Online mit insgesamt 330 Mitarbeitern war das beherrschende Thema. Thomas Rabe, Chef des Bertelsmann-Konzerns, leitete die Sitzung. Am Ende wurde der Beschluss mit großer Mehrheit gefasst: Der Vorstand wurde "ermächtigt, einen Verkauf, Teilschließung oder Schließung der G+J-Wirtschaftsmedien vorzunehmen".

Noch am Donnerstag wurde in Hamburg mit einem möglichen Interessenten für die FTD verhandelt, berichten Insider. Ein Unternehmenssprecher teilte am Abend jedoch mit, die Verkaufsverhandlungen seien abgebrochen worden. Man habe "dem dort dargestellten Fortführungsszenario weder konzeptionell noch wirtschaftlich folgen" können. Damit sei mit einer Schließung der FTD zu rechnen. An diesem Freitag soll die endgültige Entscheidung verkündet werden: Um zehn Uhr wird der Betriebsrat informiert, um elf Uhr die Mitarbeiter. Der Plan ist nun, dass am 7. Dezember eine große Abschiedsausgabe der FTD erscheinen soll.

Mit dem Aus für die FTD und einem Verkauf der Magazintitel Börse Online und Impulse (Capital wird möglicherweise in Berlin weitergeführt) würde in Hamburg nicht nur ein ehrgeiziges Zeitungsprojekt zu Ende gehen. Gescheitert wäre auch ein Konstrukt, mit dem sich Verlage in schwierigen Zeiten finanziellen Spielraum verschaffen wollen - und das jetzt innerhalb von wenigen Tagen sowohl bei der FTD, als auch bei der insolventen Frankfurter Rundschau ein wenig glamouröses Ende findet: die Gemeinschaftsredaktion für mehrere Titel. Die G+J-Manager kamen 2008 auf die Idee, aus vier Redaktionen eine zu machen. Die "Wirtschaftsmedien" entstanden, eine Groß-Redaktion mit 250 Leuten, die von da an drei Magazine und eine Tageszeitung bestücken sollten. Damals wurden gleichzeitig 100 Jobs abgebaut, Synergien hieß das Zauberwort.

Das Anlegermagazin Börse Online, 1987 gegründet und in München gemacht, das Mittelstandsmagazin Impulse, seit 1980 auf dem Markt, das Wirtschaftsheft Capital aus Köln (seit 1962) und die 2000 gegründete Financial Times Deutschland hatten bis dahin nicht viel mehr gemein als das Thema "Wirtschaft". Die Mitarbeiter hatten damals geahnt, dass der Verlag etwas mit den Wirtschaftstiteln vorhatte - nicht aber, dass Gruner + Jahr tatsächlich so hart durchgreifen würde. "Ein Schock" sei die Variante damals gewesen, hört man noch heute. Die Angst war, dass am Ende nur ein "journalistischer Brei" entstehe. Können vier publizistische Produkte ihre Unverwechselbarkeit bewahren, wenn alle Mitarbeiter alle Titel bespielen sollen?

Den Magazinen und der Zeitung zumindest hat es nicht geholfen, das ist an den Auflagenzahlen abzulesen: Die sanken immer weiter. Auch wirtschaftlich war es kein Erfolg, nach wie vor gab es Verluste. Allein die FTD soll seit ihrer Einführung rund 250 Millionen Euro verschlungen haben. "Die Gemeinschaftsredaktion hat das Leben der FTD nur verlängert", erzählen die, die dabei waren. Aber retten konnte das Projekt die Zeitung nicht. Zu groß waren die Reibungsverluste, auch durch viel Bürokratie, zu groß war der Verwässerungseffekt zwischen den Titeln. Qualität und Redaktionsklima haben unter der internen Konkurrenz gelitten. Von "Verteilungskämpfen" ist die Rede. Zu wenige Leute waren für zu viele Publikationen zuständig.

Für die Frankfurter Rundschau und die Berliner Zeitung begann das analoge Experiment 2010. Das Kölner Zeitungshaus Du Mont Schauberg nannte es "Redaktionsgemeinschaft". Den Redakteuren wurde erzählt, es sei eine Ehre, dabei zu sein. In Frankfurt bildeten sie eine zentrale Wirtschaftsredaktion, in Berlin verschmolzen sie die politischen Hauptstadtbüros der beiden Blätter zu einem großen Autorenpool. Plötzlich wurde nicht mehr gekürzt, plötzlich gab es ein großes Team. Entsprechend große Pläne kamen dazu, mehr Recherche, mehr Exklusives, man wollte den überregionalen Blättern ebenbürtig sein. Es wuchs allerdings auch die Koordinierungsarbeit mit den Abnehmern, zu denen auch der Kölner Stadt-Anzeiger und die Mitteldeutsche Zeitung gehören.

"Es wollte ja niemand so"

"Wir hatten das Gefühl, dass wir zu viel über Abstimmungen und Textlängen sprechen, zu wenig über Inhalte", sagt ein Mitarbeiter. Ein weiteres Problem: Viele Redakteure wollten anfangs ihren Platz im Team behaupten und viel schreiben, "jeder wollte zeigen, dass er da ist", sagt ein Redakteur. Viele stürzten sich ins Tagesgeschäft. Die großen Rechercheprojekte, die viel Zeit brauchen, kamen zu kurz, so sehen es zumindest viele im eigenen Haus.

Trotzdem: "Der erste Schritt hat eindeutig besser geklappt als der zweite", sagt ein Mitarbeiter. Der zweite kam im August 2011, als der überregionale Teil der FR quasi nach Berlin umzog. Dort wird seither die Zeitung produziert, in Frankfurt blieben nur noch einige Lokalredakteure und Korrespondenten. Viele Betroffene hadern bis heute mit dem Schritt. Nicht nur, weil die FR einen Teil ihres Profils verloren habe, wie manche beklagen. Das Profil zu verlieren, ist das Schlimmste, was einer Zeitungsmarke passieren kann.

Auch die Stimmung litt, auf beiden Seiten. "Es wollte ja niemand so, es war ja niemand begeistert", sagt ein Mitarbeiter. Die FR-Redakteure nicht, die umziehen mussten. Und die Journalisten der Berliner Zeitung nicht, durch deren Räume plötzlich ein paar Hessen liefen, mit denen sie jetzt gleich zwei Zeitungen produzieren mussten - in unterschiedlichen Formaten. "Da ist ein Riesenapparat mit vielen Reibungsverlusten entstanden", heißt es. Viele Journalisten säßen jetzt den halben Tag in Konferenzen und seien derart mit der Organisation beschäftigt, dass sie kaum noch Lust hätten, die Sitzungen mit inhaltlichen Debatten zu verlängern. Unterschiedliche Gewohnheiten und Diskussionskulturen prallten aufeinander. Man darf sich die Redaktionsgemeinschaft nicht als harmonischen Ort vorstellen.

Wie es mit der Gemeinschaftstruppe nach der Insolvenz der FR weitergeht, ist offen. Bei den Wirtschaftsredaktionen von G + J hat das Projekt Gemeinschaftsredaktion noch einen hässlichen Nebeneffekt: Arbeitsrechtlich lassen sich aus dem Konstrukt offenbar schwer einzelne Redakteure oder Titel herauslösen - die Erwartung in der Redaktion war deshalb zuletzt: ganz oder gar nicht. Für sie wird nun offenbar ein Sozialplan verhandelt. Insgesamt soll das 40 Millionen Euro kosten. Es dürfte die letzte große Summe sein, die der Verlag für seine Wirtschaftsmedien ausgibt.

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