Wenn man so will, hat Julia Koschitz das Café King in die Ewigkeit gerettet. Auf dem ehemaligen Gelände der hübsch schmucklosen Kneipe an der Müllerstraße im Glockenbachviertel, wo München schon immer Berlin näher sein wollte als anderswo, entsteht derzeit eine luxuriöse Wohnanlage. Als Ralf Westhoffs Film Der letzte schöne Herbsttag Ende 2010 in die Kinos kam und Julia Koschitz als Claire im King einen jungen Mann in die Flucht schlug - indem sie die Bestellung einer Latte Macchiato so wunderschön kompliziert machte - da existierte das Café schon nur noch auf der Leinwand.
Die Schauspielerin Julia Koschitz, 37, hat in den vergangenen Jahren sehr viele sehr komplizierte Frauen gespielt. In Franz Xaver Bogners BR-Serie München 7, die gerade im ARD-Vorabendprogramm fortgeführt wird, spielt sie eine ambitionierte Jungpolizistin, die ihrem weniger ambitionierten Freund auf die Nerven geht; im Kino ist sie gerade in der Daniel-Kehlmann-Verfilmung Ruhm als entnervte Lebensgefährtin eines Dichters zu sehen.
Eine ihrer Figuren war nicht nur kompliziert, sondern auch depressiv: In Der letzte schöne Tag (ARD) - dessen Titel nur zufällig an Ralf Westhoffs Beziehungskomödie erinnert - nimmt sich ihre Figur Sybille nach ein paar Minuten das Leben. Ihr bleiben wenige Rückblenden, um die Verzweiflung dieser Frau plausibel zu machen. Dass ihr das in der kleinen Rolle gelang, ist eine große Leistung im deutschen Fernsehen gewesen.
Es ist früher Abend, noch wird es in München um diese Zeit gerade dunkel, und Julia Koschitz hat den Treffpunkt im Westend nicht gleich gefunden. Als sie sich, wegen der wenigen Minuten Verspätung entschuldigend lächelnd, auf eines der hübschen, vor allem aber eher unbequemen Holzstühlchen fallen lässt, wirkt sie ein bisschen außer Atem. Sie bestellt Mineralwasser mit Zitronensaft, was nicht weiter erwähnenswert wäre, wenn sie sich nicht so darüber freuen würde, dass es das hier auch gibt. Für sie ist das ein bisschen Heimat in München. Aber dazu später.
Mehr als nur "Glücksfälle"
Julia Koschitz ist keine Newcomerin, 2004 drehte sie die ersten Episoden von München 7, Ralf Westhoff besetzte sie in seinem bezaubernden Speed-Dating-Film Shoppen, und in der RTL-Serie Doctor's Diary spielte sie eine Ärztin. Wenn sie nun aber derzeit im Kino und im Vorabendprogramm zu sehen ist, und vor wenigen Wochen im Tatort aus Konstanz, wenn die ARD jetzt das Drama Uns trennt das Leben zeigt, dann kommen einem zwei Gedanken: Julia Koschitz hat es sich unter den deutschen Schauspielerinnen in der allerersten Reihe eingerichtet. Und sie hat ein ziemlich gutes Gespür dafür, mit welchen Projekten sie das erreichen kann. Ein echter Fehlgriff war in den vergangenen Jahren jedenfalls keiner dabei.
Sie sagt, das seien auch "Glücksfälle" gewesen, und irgendwie passt das zu ihr, diese Art, sich den Erfolg nicht wirklich selber zuzuschreiben. Julia Koschitz, zierlich, dunkelhaarig und dunkel gekleidet, wirkt jünger als sie ist, weil sie zurückhaltend spricht, aber auch, weil sie - kurzhaarig und kaum geschminkt - sehr mädchenhaft aussieht. In Der letzte schöne Herbsttag spielte sie vor zwei Jahren eine Studentin, die gerade ihre Zwischenprüfung bestanden hatte; man hat ihr das problemlos abgenommen.
Nur Glück ist es wohl nicht, wenn ein Darsteller dadurch auffällt, dass er in vielen guten, besonderen Filmen mitspielt. Auch guter Geschmack, Erfahrung und ein Qualitätsempfinden helfen. Julia Koschitz sagt: "Ich versuche, mir jedes Drehbuch als fertigen Film vorzustellen". Wenn sie zwei Drehbücher vor sich habe, "eines mit einer spannenden und eines mit einer eher unspektakulären Rolle", sie allerdings das Gefühl habe, dass der zweite der bessere Film werden könne, "dann neige ich grundsätzlich eher dazu, mir Projekte auszusuchen, an die ich insgesamt glaube". Vielleicht ist es auch eine Frage der eigenen Offenheit: "Ich lese alles, was kommt, weil ich kaum etwas per se ausschließen würde, kein Genre, keinen Sender." So hat sie an vielen verschiedenen Stellen etwas für sich gefunden.
Am kommenden Mittwoch läuft in der ARD Uns trennt das Leben, ein Drama, mit dem der Regisseur Alexander Dierbach seine Ausbildung an der Münchner Filmhochschule abschloss und das, so sagt es Koschitz, "überraschenderweise den Weg ins Hauptabendprogramm geschafft" habe. Als sie das Projekt zusagte, war bei der ARD noch geplant, den Film im Nachtprogramm zu zeigen. Den prominenten Sendeplatz habe man, erzählt der Regisseur, erst Ende vergangenen Jahres bekommen. Warum? Julia Koschitz war das egal, sie habe, sagt Dierbach, beim Erstgespräch nicht einmal gefragt, ob das ein Fernseh- oder ein Kinofilm werden soll oder welche Gage man zahlen könne. Sie habe einfach gesagt, dass sie diese Rolle gerne spielen würde.
Uns trennt das Leben ist so ein besonderer Film, weil er eine komplizierte und emotionale Geschichte ganz unspektakulär erzählt. Ein kleiner Junge (Jannik Brengel) hat ein kleines Mädchen umgebracht. Einfach so - und natürlich auch wieder nicht. Julia Koschitz ist die Kinderpsychiaterin Nora, die David nach der Tat behandeln soll. Sie wird zur Schnittstelle aus drei Geschichten: die des Jungen, die der unterschiedlich und doch gleichermaßen verzweifelten Eltern (Davids Mutter wird gespielt von Anneke Kim Sarnau) und die ihrer eigenen Beziehung, die durch den Fall ins Trudeln gerät. Auch Nora ist wieder einmal nicht unkompliziert.
In Rückblenden wird der Fall dieses kleinen Jungen erarbeitet, seine Ängste, sein Motiv. Manche Erklärung, manch hergestellter Zusammenhang mag einfach erscheinen - aber man hat schon genug TV-Dramen über traumatisierte Kinder so furchtbar in die Hose gehen sehen, um zu wissen, dass Alexander Dierbach ein sehenswerter Film gelungen ist.
Uns trennt das Leben spielt in München, und überhaupt hat diese Stadt im Kameraleben von Julia Koschitz bisher ziemlich viel Platz eingenommen. München 7 war ihr erstes großes TV-Engagement, Shoppen und Der letzte schöne Herbsttag spielen nicht nur in, sondern auch mit dieser Stadt und den Menschen, die man dort so treffen kann.
"Kino ist zwar wunderschön, die Realisierung aber wackelig"
Koschitz lebt seit zehn Jahren in München. Sie sagt, sie sei sesshafter, als sie früher zu sein glaubte. Wenn sie von ihrer Familie erzählt, erklärt sich der Gedanke. Geboren wurde Julia Koschitz in Brüssel mit österreichischer Nationalität, ihre Familie stammt aus Wien. Als sie fünf Jahre alt war, zogen ihre Eltern mit ihr und ihrem Bruder nach Frankfurt. Ausgebildet wurde sie am Franz-Schubert-Konservatorium in Wien, was als eine Art späte Begegnung mit der Heimat ihrer Eltern verstanden werden darf. Das Mineralwasser mit Zitrone jedenfalls, das trinkt man dort.
Ihre ersten Berufsjahre verbrachte Koschitz an unterschiedlichen Bühnen in kleineren Städten, in Coburg, Regensburg. Als ihr im Laufe der Zeit immer öfter Filmprojekte angeboten wurden, habe sie das Gefühl gehabt, "Prioritäten setzen zu müssen". Vor zweieinhalb Jahren stand sie zum vorerst letzten Mal auf der Bühne, was natürlich auch heißt, dass sie auf ein regelmäßiges Einkommen verzichtet. "Die Freiheit, ohne ein festes Engagement aus unterschiedlichen Projekten aussuchen zu können, ist wunderbar, aber man büßt sie eben mit finanzieller wie künstlerischer Unsicherheit", sagt sie. Das sorge nicht unbedingt für inneres Gleichgewicht.
Aber gerade läuft es gut. Ihr nächstes Engagement ist in einem Fernsehfilm mit Barbara Auer, inszeniert von Johannes Fabrick, der auch schon bei Der letzte schöne Tag Regie führte. Danach, sagt sie, seien diverse Kinoprojekte im Gespräch, aber mit früher Freude sei sie vorsichtig geworden: "Kino ist zwar wunderschön, aber was die Realisierung betrifft, auch ziemlich wackelig".
Noch ist sie ja im Kino zu sehen, als Elisabeth in Ruhm, aber tatsächlich war etwas Zeit vergangen, seit ihrem letzen Kinofilm, seit sie sich als Claire im Café King nicht mit einer Latte Macchiato anmachen lassen wollte. Der Typ, der diese liebeskummerkranke Claire an der Bar ansprach, fragte: "Glaubst du an Romantik?" Claire neigte ihren Kopf zur Seite und begann laut zu schnarchen. So furchtbar kompliziert war das aber auch wieder nicht.