Schauspieler Vadim Glowna wird 70:Eher der "Gründgens-Typ"

Das Gesicht kennt man: Vadim Glowna spielt in "Tatort", "Traumschiff", aber auch im "Faust". Die großen Rollen bekam er nie. Doch ging der Gründgens-Schüler wunderbar konsequent seinen Weg. Der Schauspieler, Regisseur und Geschichtenerzähler wird 70 Jahre alt.

Christopher Keil

Was man mit Vadim Glowna gut kann? Schweigen zum Beispiel, obwohl er ja ein guter Geschichtenerzähler ist und er das selbst auch denkt, andernfalls hätte er seine Memoiren nicht so anspielungsreich Der Geschichtenerzähler genannt.

Kinostarts 'Mein Name ist Bach'

Erfolg bei den Frauen oder viel Applaus - das war ihm nie das Wichtigste. Vadim Glowna in "Mein Name ist Bach" neben Jürgen Vogel als Friedrich II.

(Foto: dpa)

Glowna schweigt also. Er schaut auf seine weiße Teekanne. Er könnte zwei gerahmte Zeichnungen an der holzvertäfelten Wand gegenüber studieren oder die sakralen und esoterischen Muster eines Wandteppichs. Er könnte sich fragen, ob ein taubenblau gepolstertes Sofa in sein Wohnzimmer passt. So ein Sofa steht vor ihm. Es sieht aber nicht so aus, als ob er gerade über Sofas nachdenkt. Er schaut auf. Hin und wieder hustet er. Raucht er? Nein. Also ist es eine Erkältung, jedenfalls kein Ausdruck von Verlegenheit.

Draußen putzt sich der Kudamm für einen der letzten Spätsommertage in Berlin heraus. Drinnen ist es wie in allen Hotelbars: gedämpft und abgedunkelt, in der Ferne Stimmen und das Grundrauschen der Dienstleistungen am Empfang. Glowna wohnt um die Ecke. Er denkt jetzt über Gründgens nach. Über Gustaf Gründgens und Heinrich George. Er sagt: "Bei Gründgens wurde nicht ,Heil Hitler' gesagt." Das ist ein Satz, den man erst einmal anschweigt. Glowna schaut auf seinen Tee, der gelblich in der Tasse schimmert. Es ist Grüner Tee.

Mit fast 20 hat Glowna bei Gustaf Gründgens am Hamburger Schauspielhaus begonnen, Theater zu spielen. Gründgens war während der Nazi-Zeit Günstling des Reichmarschalls Göring. Wie war Gründgens, 1961? "Kühl, einsam, eigentlich nirgends privat, sehr aufmerksam. Er war im Theater zu Hause."

Vadim Glowna ist mittlerweile an 180 Filmen beteiligt. "Vielleicht sind zehn sehr wichtig und eindrucksvoll gewesen", sagt er. Er hat in München, Hamburg und Berlin Theater gespielt. Würde es ihn freuen, wenn man sagt: Glowna ist im Film und im Theater zu Hause. Wahrscheinlich. Denn es stimmt. An diesem Montag wird er nun 70 Jahre alt, und er dreht gerade mit dem 72-jährigen Rudolf Thome in Apulien fürs Kino. Er spielt einen Regisseur um die 60, der seiner Tochter hilft, ihren ersten Film zu machen. Der Titel: Ins Blaue. Thome hat tatsächlich eine Tochter, die Regie führen möchte, "und ich spiele natürlich ihn", sagt Glowna, allerdings lächelnd.

"Klaus Mann lügt"

Man hört ihm ganz gerne zu, das haben schon viele festgestellt - besonders viele Frauen, die wie verzaubert sind, wenn er über die "Peinlichkeit von Erektionen" spricht. Möglicherweise geht der Zauber vom Klang seiner Stimme aus.

Nie die großen Rollen

Seine Stimme hat einen nasalen, traurigen Klang. Sie unterstützt dabei auf natürliche Weise, was er spielt. Sie ist sein fünftes Element. Sie macht das Böse böser und das Gute besser, und das Normale klingt normal.

Vadim Glowna ist ein Vielspieler. Traumschiff und Oscar-Röhler-Kino, Tatorte, Polizeirufe. Er ist immer engagiert, wenn Literatur verfilmt wird. Böll (Gruppenbild mit Dame), Walser (Ein fliehendes Pferd), Frisch (Blaubart) oder Feuchtwanger (Exil). Die großen Rollen sind es nicht. Es macht ihm keine Probleme, das auch so auszusprechen.

Wurde eigentlich über früher gesprochen, damals, 1961 bei Gründgens in Hamburg? Nein, "das Thema wurde umgangen." Schweigen. "Aber "Klaus Mann lügt".

Klaus Mann hat seinen einst geliebten Freund Gustaf Gründgens literarisch als höfischen Nazi-Opportunisten Hendrik Höfgen auftreten lassen. Manns Roman Mephisto (das war ja die Lebensrolle für Gründgens) sei "ein Rachebuch", sagt Glowna: "Brillant geschrieben, und vieles erscheint glaubwürdig. Ein bisschen wird auch stimmen. Aber es gab nicht nur den Gründgens, den Klaus Mann vermittelt. Gründgens hatte andere Seiten."

Glownas Familie stammt aus Polen. Sein Großvater war ein Franzose polnischer Herkunft. Seine Mutter gefiel der russische Name: Vadim. Glowna wurde in Schleswig-Holstein geboren, in Eutin, er wuchs in Hamburg auf. Sein Siefvater fuhr zur See, später flog er als Kapitän für die Lufthansa. Glowna wusste früh, dass er Schauspieler werden wollte. Kein akademisches Studium, stattdessen Leben, oft auf der Straße. Er wurde geschlagen, schlug wohl auch selbst zu. Einmal brach die Nase. Seither steht sie ihm gut.

Gründgens mochte ihn. Der Junge durfte beim Alten in den Proben sitzen, ganz hinten. Er bekam kleine Rollen, die erste in Faust II (Später wird Glowna in einer gefassten Art von Erschütterung schildern, wie er an der Düsseldorfer Kunstakademie, wo er eine Professur für Film und Regie hatte, über Faust und Faust II sprach, und ein Student rief: ,Was, die haben ein Remake gemacht?').

Ein erfahrener Schauspieler, den Gründgens rechtzeitig in die Emigration geschickt hatte und der 1961 nach Deutschland zurückgekehrt und wieder bei Gründgens im Ensemble war, fragte eines Tages: "Herr Glowna, was für eine Art von Schauspieler wollen Sie werden? Wollen Sie werden wie Quadflieg, ein schöner Mann, beeindruckend, Schlag bei den Frauen, viel Applaus? Oder wollen Sie werden wie Gründgens?'" Das, sagt Glowna, habe "so ein bisschen die Richtung vorgegeben".

Wahrheiten über das deutsche Fernsehen

Die Richtung war in den 70ern und 80er auch ein bisschen Paris, ein bisschen Los Angeles. Glowna spricht gut Französisch und Englisch so akzentuiert, dass er in französischen und englischsprachigen Filmen spielte. Aber er war dann doch nicht der Franzose für die Franzosen oder der Amerikaner für die Amerikaner. Er war auch nie einer für die Komödie. Er mag Komödie. Im Theater, sagt er, "kann ich auch komisch sein". Aber die komischen Rollen kriegte er im Film nicht, was er, sagt er, "richtig" findet. Wird man nicht in Deutschland vor allem mit Komödien populär?

Manchmal mehr Erfolg im Ausland

Es gibt während des Gesprächs einen Bezug zur Qualität des deutschen Fernsehens. Ein Bezug, der nicht mehr als zehn Sätze groß ist und nicht mehr Zeit verbraucht als zwei Minuten, Schweigen inklusive. Glowna, der mehr als zwanzig Jahre mit der Schauspielerin Vera Tschechowa verheiratet war, der viel mehr Regie führt, als einem das klar ist, der auch viel erfolgreicher ist, als einem das bekannt ist, sagt: "Es gibt einen Spruch: Im Ausland werden Filme von Regisseuren gemacht, in Deutschland von Redakteuren. Da steckt viel Wahrheit drin."

Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Den Eindruck hat man schnell, dass er meint, was er sagt und überlegt, bevor er redet. Er hat keine Botschaften. Vielleicht ist das seine Taktik. Er hat seine Wahrheiten und Geschichten. Eine Wahrheit ist, dass sein bislang letzter Film, Das Haus der schlafenden Schönen, in Deutschland nicht ankam, aber in New York ein halbes Jahr lief. Glowna hat ihn ohne Sender finanziert, schrieb das Drehbuch und führte Regie: "Es geht ums Sterben". Eigentlich auch ein deutsches Thema.

Es gab viele deutsche Themen für Glowna. 1977 lernte er Sam Peckinpah kennen, der Steiner, das Eiserne Kreuz im damaligen Jugoslawien inszenierte und später väterlicher Freund wurde. Der Kriegsfilm zeigt deutsche Soldaten an der Front, die nicht mehr an Hitlers Führung glaubten und nur noch ums Überleben kämpften.

Betrunken beim Vorsprechen

Glowna ging nüchtern ins Vorsprechen im Münchner Hotel Königshof, kam betrunken heraus mit der Zusage für eine kleine Rolle, die er bald umschrieb - um sie größer zu machen. Peckinpah sei, als ihm das neue Skript vorgelegt wurde, "explodiert wie eine Sonne". Doch die Wut war gespielt, ihm gefielen die Änderungen der Szenen. Er drehte schließlich alles so, wie Glowna es sich ausgedacht hatte. Einzige Bedingung: "Don't tell anybody."

Peckinpah, der drei Flaschen Schnaps am Tag leerte, angeblich nie Steuern bezahlte, nachts die Cutter in den Schnitt bestellte, starb 1984: mit 59 Jahren. "Er sah aus wie 75", sagt Glowna, "aber ich habe ihn nie lallen gehört, er behielt seinen scharfen Blick für alles."

Vadim Glowna schaut von sich aus selten zurück. Sagt er. Es gebe Pläne, Drehbücher. Und es gibt neue Erkenntnisse. Er habe festgestellt, dass nachts, nach 24 Uhr, gute Filme im Fernsehen laufen. Das stimmt. Doch ist er wirklich ein Gründgens-Typ?

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