Sarah Palin als Kommentatorin:Die Platzpatrone

Sie fordert Krieg gegen Iran und kritisiert die "Elite": Als Kommentatorin lässt Sarah Palin eine Talkbombe nach der anderen fallen. In ihr hat der Sender Fox das gefunden, was er braucht: Show und Rauch.

Jörg Häntzschel

Seit Januar ist Sarah Palin "Kommentatorin" bei Fox News. Doch wer von ihr nun die üblichen Einlassungen zum Afghanistanproblem oder der Haushaltskrise erwartet hatte, für die die "Experten" im Rollenspiel der Politsendungen zuständig sind, der hatte sich getäuscht. Schon bei ihrem ersten Auftritt in der Show von Bill O'Reilly zeichnete sich ab, dass die einzige Expertise, die von ihr erwartet wird, Sarah Palin selbst betrifft.

Sarah Palin, AP

Spricht bei Fox News nur über sich: Neu-Moderatorin Sarah Palin

(Foto: Foto: AP)

Palin mühte sich redlich um vermeintlich scharfsinniges Analysten-Sprech: "Ich erwarte...", "ich sehe voraus", sagte sie. Sie brachte auch Wohlfeil-Vages zu Obama und Nancy Pelosi heraus. Doch 90 Prozent der Zeit sprach sie über sich selbst.

Und genau das war es, was O'Reilly und seine Chefs ganz offensichtlich hören wollten. Man zahlt Palin weniger für ihre politischen Einsichten, sondern für ihre Starrolle in einer neuen Art von politischem Reality-TV.

Im amerikanischen Fernsehen kann man bereits Fetten beim Schlanktanzen, Liliputanern im Alltag, Müttern von Achtlingen beim Windelwickeln, Fünfjährigen bei Misswahlen und reichen Hausfrauen beim Zickenkrieg zusehen. Nach ähnlichem Prinzip breitet Fox News nun Palins politische Karriere als Endloserzählung aus.

Sie will Krieg gegen Iran

Zum einen muss Palin dafür dauerhaft im Mittelpunkt schäumender Kontroversen stehen. Zum anderen ist Suspense nötig: Was sie will, was sie kann, und wohin die politischen Wogen die "Hockey-Mom aus Wasilla" tragen werden? Tja, niemand weiß es, nicht einmal sie selbst.

Schon seit John McCain Palin im Sommer 2008 zur Kandidatin erklärte, hat sie die öffentliche Aufmerksamkeit an ihrer Person mit diesen simplen Mitteln systematisch geschürt. Nun macht sie mit Hilfe der Fox-Regie einfach weiter.

Zu sagen hat sie nicht viel außer ihrem üblichen Mantra: Kritik an den "Eliten", an Steuern und stärkerem Staat. Also bringt sie sich mit wohlplatzierten Provokationen ins Gespräch. Obama solle "Iran den Krieg" erklären, lautete einer dieser Talk-Bomben.

Politischer Irrwitz

Dass das von mangelnder Kenntnis der Verfassung zeugte (fürs Kriegerklären ist der Kongress zuständig) und von politischem Irrwitz - wen kümmerte es? Hauptsache, es wurde tagelang diskutiert. Sogar Dick Cheney wurde aus der Versenkung geholt, um den Vorstoß nach längerem Kopfwiegen höflich als Unfug zu bezeichnen.

Dass ihre Ideen verpuffen wie Platzpatronen, spielt keine Rolle. Im Gegenteil. Bei Palins Klientel steht jeder intelligente Kommentar unter dem Generalverdacht, eine weitere trügerische Finte des "Establishments" zu sein. Von ihren Knallern hingegen bleibt immerhin der verführerische Rauch von Aufruhr und Umsturz in der Luft.

Doch die Aufwieglerpose ist nur eine Facette ihrer öffentlichen Strategie.

Palin, die Märtyrerin

Die andere ist die Rolle der Märtyrerin und Verfolgten. Als durchsickerte, dass Obamas Stabschef Rahm Emanuel im August eine Gruppe liberaler Aktivisten "fucking retards" nannte, heulte Palin im Namen aller "special needs"-Kinder auf und verlangte seinen Kopf. Dass seit einem Vanity-Fair-Artikel jeder weiß, dass Palin ihr Kind mit Down-Syndrom selbst "retard" nennt, dass auch ihr Senderkollege Rush Limbaugh das "R-Wort" regelmäßig benutzt, machte die Debatte nur interessanter.

Kaum begann das Publikum zu ermüden, fand Palin neuen Stoff: Eine Episode der satirischen Cartoon-Serie Family Guy zeigte einen der Protagonisten beim Date mit einer Frau mit Down-Syndrom. Auf die Frage nach ihren Eltern antwortet sie: "Mein Vater ist Buchhalter, und meine Mutter ist die frühere Gouverneurin von Alaska." - "Noch ein Tritt in den Bauch", konterte Palin umgehend auf ihrer Facebook-Seite.

Und dass die Serie bei Fox läuft, der Schwester von Fox News, machte die Sache natürlich noch pikanter. Palin braucht diese fiktiven Angriffe, um ihr Outsider-Image aufrechtzuerhalten. ´

Während McCains verzweifelte Berater vergeblich versuchten, die geltungssüchtige Provinzlerin zur Staatsmännin umzuerziehen, geht sie nun sehr klug den umgekehrten Weg. Ihre rhetorischen Absacker, ihre Ahnungslosigkeit, ihre haltlosen Sprüche: All das wird zum Beweis ihrer Authentizität und Integrität umdeklariert.

Im Kleid einer knallharten Frage lieferte ihr der Fox-News-Mann Bill O'Reilly deshalb eine Steilvorlage, als er feststellte: "Viele halten Sie einfach für nicht sehr klug." Telegen rollte sie die Augen, fassungslos schüttelte sie den Kopf. Übersetzung: Man will mich fertigmachen, nur weil ich die Wahrheit sage. Die nächste gespielt naive Frage lautete denn auch: "Warum haben manche so viel Angst vor Ihnen?"

Doch das eigentliche Thema aller dieser Auftritte ist die Frage, die Palin begleitet wie ihr Schatten: Will sie oder will sie nicht die nächste Präsidentin werden? Jede der Moebiusphrasen aus ihrem Mund wird nach Hinweisen auf ihre Intentionen abgesucht. Jedes Statement wird auf "presidential material" abgeklopft. Jeder neue Schachzug zieht endlose Debatten nach sich: Ist das klug? Was mag es bedeuten?

Ist das nicht ein bisschen viel Aufmerksamkeit für jemanden, der kein Amt hat, keinen Beruf gelernt hat, keine nennenswerte Ausbildung besitzt, und als Politikerin nicht viel mehr vorweisen kann als eine große Zahl unendlich peinlicher YouTube-Videos? Reicht ihre Rede bei der Tea-Party-Convention und die Popularität, die sie seit dem letzten Wahlkampf bei einem kleinen Teil der Wählerschaft genießt, wirklich, um ihr so viel Sendezeit zu schenken? Natürlich nicht.

Dass sie sie dennoch bekommt, liegt daran, dass sie wie kein anderer die Kultur und die Nöte der Nachrichtensender für sich ausnützt. Deren Bedarf an täglich 24 Stunden spannendem Gesprächsstoff hat schon immer zu Verzerrungen geführt. Dann brach der Erfolg von MSNBC das wohlbalancierte Duopol von CNN und Fox auf - und das in einer Zeit, da es politisch gärt wie selten.

In dem erbitterten Rennen, das sich die drei nun täglich liefern, bringt nichts mehr Quotenvorsprung als die dröhnenden "Sonderkommentare" des linken Keith Olberman, die tränenerstickte Apokalyptik des Rechtsaußen Glenn Beck - und ein unerschöpflicher Nachschub von vermeintlichen Aufregern.

Will sie kandidieren?

Keiner bedient diese stets zwischen engagiertem Journalismus, Operette und Armageddon kreisende Newsmaschine geschickter als Palin. Ungebunden durch ein Amt, unbeschwert durch eine eigene politische Geschichte spielt sie mal Wahlkämpferin, mal Jeanne d'Arc; mal Mama von nebenan, dann wieder Revolutionärin. Und weil dieses Verwirrspiel so viel unterhaltsamer ist als Konsistenz und Prinzipientreue, die noch vor kurzem zählten, sehen alle gebannt zu.

Chris Wallace: Könnten Sie sich eine Kandidatur vorstellen?

Palin: Natürlich, sofern es das Richtige ist für das Land und für meine Familie.

Wallace: Sie spielen also mit dem Gedanken?

Palin: Es wäre absurd, das nicht zu tun. Aber ich weiß noch nicht, ob ich den Titel selbst anstrebe oder das Ganze nur als Reporter verfolgen werde.

Wer da wie etliche Kommentatoren von rechts wie links noch monierte, Fox könne doch kaum eine Kandidatin in spe als politische Kommentatorin beschäftigen, der wirkte wie von vorgestern.

Am vergangenen Montag sendete Fox News ein Interview mit Palins 18-jähriger Tochter Bristol. Und wer schneite da plötzlich ins Studio? Sarah! Mit Bristols zwei Monate altem Tripp im Arm: "Ich wollte nur kurz vorbeischauen und hallo sagen." Na, so eine Überraschung! In Zukunft werden solche Höhepunkte häufiger werden: Fox installiert zur Zeit ein Fernsehstudio im Palinschen Haus.

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