Schlagerfestival von Sanremo:Italien ist gerettet

Schlagerfestival von Sanremo: Glamour und Glitzer versprühen die Künstler und Moderator Amadeus auf der Bühne des Ariston nur für die Kameras.

Glamour und Glitzer versprühen die Künstler und Moderator Amadeus auf der Bühne des Ariston nur für die Kameras.

(Foto: mauritius images)

Nun also doch: Das Schlagerfestival von Sanremo findet trotz Corona statt. Die mögliche Absage wurde verhandelt wie eine Staatsaffäre, parallel zur Regierungskrise.

Von Oliver Meiler, Rom

Die Blumen für die Künstler kommen angefahren, auf einem Bühnenwagen, wahrscheinlich auf Schienen. Die Prämien auch. Küssen, sich umarmen, sich gegenseitig ins Gesicht singen und hauchen - geht natürlich nicht. Ins alte Teatro Ariston wird auch kein Publikum eingelassen. Fotografen? Nur zwanzig. Nichts wird sein wie sonst, aber immerhin: Das Festival von Sanremo, der popkulturelle Höhepunkt jedes italienischen Kalenderjahres seit 1951, diese Massenverschmachtung, findet statt. Trotz Corona. Fünf Fernsehabende auf Rai Uno, vom 2. bis 6. März, jeweils fünf Stunden bis zwei Uhr morgens.

Erwartbare Einschaltquote: 60 Prozent, mindestens. "Sanremo è Sanremo", sagen die Italiener. Die Provinzstadt ganz im Norden der ligurischen Riviera ist auch in diesem Jahr eine Woche lang das Zentrum des Landes. Als Blase zwar, wie vakuumiert, aber gerettet.

Die wissenschaftliche Taskforce der italienischen Regierung in der Pandemie hat dem Begehren der Organisatoren nach langer Prüfung stattgegeben. Über Wochen wurde gebangt und gerungen, parallel zur Regierungskrise. Die Zeitungen begleiteten die Zeit mit Debatten über Für und Wider, als würde mit Sanremo auch die Zukunft des Landes verhandelt. Es wurde über alternative Austragungsorte diskutiert, weil das Ariston zwar schmuck ist mit dem ganzen Retrogroove, den es verströmt, aber auch klein und eng und deshalb ziemlich ungeeignet für ein Event unter Extrembedingungen. Im Gespräch war mal die Verlegung auf ein Kreuzfahrtschiff. Oder ins Forum di Assago, eine Basketball- und Konzerthalle bei Mailand. Aber da wäre wohl aller Charme verflogen.

Wer im Ariston auftritt, dem gehören die Radios, die Charts und die Klatschpresse

Natürlich fanden viele, es sei nicht fair, wenn man den Italienern nach all der Schwere auch noch diese leichte Zeit wegnehme, Schlager und Raps, den Gossip um die singenden Lieblinge, die Skandale und Skandälchen, von denen noch jedes Festival lebte. Notfalls wurden auch mal schnell einige erfunden, wenn das Interesse am Künstlerischen zu erlahmen drohte. Die Stars und die Musikproduzenten erinnerten daran, dass ihr Sektor ganz arg gelitten habe im vergangenen Jahr: keine Konzerte, keine öffentlichen Auftritte. Okay, die modernen Technologien haben geholfen, trotz allem Musik unter die Leute zu bringen. Aber "Sanremo è Sanremo", ein formidables Karrieresprungbrett, vielleicht sogar ein unverzichtbares für italienische Künstler. Wer im Ariston auftritt, dem gehören die Radios, die Charts, die Klatschpresse.

Man erinnert dabei gerne an die gloriosen Ursprünge. Unvergessen bleibt, wie Domenico Modugno 1958 sein "Nel blu dipinto di blu" uraufführte, schmaler Schnurrbart, die Arme weit offen: "Volare, oh, oh, cantare oh, oh, nel blu dipinto di blu, felice di stare lassù". Modugno sollte zunächst gar nicht eingeladen werden, dann stürmte "Volare" die ganze Welt, ein Phänomen. Den Sound, den man im Kopf hat, wenn man an Italien denkt: Wahrscheinlich prägte ihn kein Lied mehr als dieses. Wenigstens für einige Generationen.

Domenico Modugno

Schmaler Schnurrbart, die Arme weit offen: Domenico Modugno führt 1958 "Volare" in Sanremo auf.

(Foto: Keystone/Getty Images)

Nun also müssen sie Glitter und Glamour in Vakuum verpacken. Das Staatsfernsehen hat der Taskforce ein 75-seitiges Sicherheitsprotokoll unterbreitet, jede Bewegung ist darin geregelt, es ist ein Papier für die Nachwelt, ein Zeitdokument. Coronatests alle 72 Stunden. Mindestabstand auf der Bühne: zwei Meter, außer zwischen Mitgliedern derselben Band, da sind es eineinhalb Meter. Ansingen darf man sich nur aus der Distanz, was das Knistern gemischter Duette doch einigermaßen verhindert. Zum Theatersaal führen separate Korridore für Musiker des Orchesters, Künstler und für das Moderatorenduo Amadeus und Fiorello. Die Schutzmasken? FFP2 für alle, rigoros. Die Stars dürfen chirurgische tragen, allerdings nur von der Garderobe bis zur Bühne, damit die Schminke nicht verschmiert.

Bleibt die Sorge vor den Fans draußen vor dem Ariston, ob sich die wohl disziplinieren lassen? Früher stolzierten die Künstler vor und nach ihrem Auftritt auf dem Laufsteg, der passerella, ließen Fotos mit sich machen und dinierten dann in den Restaurants von Sanremo. Greif- und nahbar. Diesmal wird es keine passerella geben. Und die Autos, die sie vom Hotel zum Theater bringen, werden verdunkelte Scheiben haben.

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