Sängerin Helene Fischer:Fräulein Zuckerguss

Verknallte Pärchen, tätowierte Typen, pubertierende Mädchen - sie alle lieben die Sängerin und Moderatorin Helene Fischer. Jetzt will auch das deutsche Schlagerfernsehen von ihr gerettet werden. Eine Begegnung.

Von Katharina Riehl

Es war ein Samstag im Mai 2005, als im Ersten Deutschen Fernsehen gleich zwei sehr nachhaltige Beziehungen gestiftet wurden. Bei einer Show, die sinnigerweise den Titel Hochzeitsfest der Volksmusik trug, trat zum ersten Mal eine sehr junge, sehr schöne blonde Frau vor das öffentlich-rechtliche Schlagerpublikum. Sie trug ein orangefarbenes Kleid mit Glitzer und Flatter und sang dem Moderator im weißen Anzug ungarisch angehauchte Liebesweisen ins Ohr. Die beiden, Helene Fischer und Florian Silbereisen, wurden Jahre später ein Paar. Und eine zweite Beziehung ist Helene Fischer mit dem deutschen Fernsehen eingegangen.

Helene Fischer, gerade mal 29, ist seit jenem Fernsehauftritt höchstwahrscheinlich das beste, was der deutschen Schlagerbranche jemals hätte passieren können. Sie füllt auf Tourneen riesige Hallen, schafft es auf Platz eins der Charts, gewinnt Echos und Goldene Hennen. Und sie bekam eine eigene Fernsehgala, die Helene Fischer Show, die vor Kurzem das ZDF der ARD abgejagt hat. Ein Wunder ist das nicht. Auf Helene Fischer, die Lieder singt von Liebe, die wichtiger sei als eine Villa, und von Nächten, die niemals enden sollen, ruhen die Hoffnungen einer Branche, die sich ein paar sehr grundsätzliche Zukunftsfragen stellt.

Klein, zierlich, sehr hübsch

Helene Fischer zu sprechen, ist nicht ganz einfach, die vielen Termine, die vielen Anfragen. An einem regnerischen Tag im September, ein paar Tage bevor ihr neues Album erscheint, gibt es dann eine Audienz für Journalisten, mehrere hintereinander. Im 22. Stock des Berliner Waldorf Astoria, mit einem irren Ausblick über die Hauptstadt, sitzt Helene Fischer mit ihrem Manager am mit Obststückchen gedeckten Tisch, ihren Gast führt sie von dort zu zwei Stühlen an der Fensterfront. Sie ist klein, zierlich, sehr hübsch, sie wirkt viel älter als sie ist. Sie trägt schwarze Lederjacke und angerissene Jeans, ist weder besonders freundlich noch jemals irgendwie unfreundlich, sondern extrem professionell.

Mit der Aussage vom großen Glück für die Branche wisse sie oft nicht, wie sie umgehen solle, sagt sie. "Ich werde ja sehr oft damit konfrontiert. Manchmal ist dann auch von Revolution die Rede, ich denke da gar nicht so oft drüber nach, ich mache einfach mein Ding und versuche mich weiterzuentwickeln." Revolution also, oder eben nicht. Aber auf jeden Fall mit Zuckerguss.

Die Lebensgeschichte der Helene Fischer passt ganz hervorragend in eine Welt, die wunderschöne Träume an ihr Publikum verkauft. 1984 kam sie als Tochter eines russlanddeutschen Ehepaares in Sibirien zur Welt, als Kind zog sie mit ihrer Familie nach Rheinland-Pfalz. Sie machte nach der Realschule eine Musicalausbildung, und ihre Mutter nahm die weitere Karriereplanung in die Hand. Dann wurde sie reich und berühmt.

Perfekter Mainstream mit einem Strahlen

Im Fernsehen sah sie eine Einblendung, laut der die ehemalige Schlagersängerin Kristina Bach das Schlagersternchen Michelle entdeckt habe. Die Mutter schickte Bach eine Demo-CD ihrer Tochter, die Aufnahme landete auf dem Schreibtisch von Helene Fischers heutigem Manager Uwe Kanthak, der damals noch mit Kristina Bach verheiratet war. Helene Fischer sagt, sie habe davon gar nicht so viel mitbekommen. "Ich wusste nur, dass die anderen Plattenfirmen und Produzenten, an die das Demoband auch geschickt worden war, sich alle entweder gar nicht gemeldet oder abgesagt haben." Vermutlich landen sehr viele CDs junger, hübscher Gesangstalente bei Plattenfirmen und Produzenten. Hier hätten sie mal lieber reingehört.

Der Rest jedenfalls ist eine Erfolgsgeschichte, und sie verrät viel über das Geschäft, in der sie spielt. Uwe Kanthak, den Helene Fischer im Waldorf Astoria nach ein paar Minuten aus dem Zimmer wirft, weil er "das alles schon so oft gehört" habe, traf sich mit dem Mädchen, das auf ihrem Demoband "The Power of Love" gesungen hatte. Er schlug ihr vor, es mit Schlagern zu versuchen. Ein kleines bisschen kariert schaut Helene Fischer schon, wenn man sie fragt, ob Uwe Kanthak sie also erfunden habe. Sie sagt: "Er hat mich eingeführt in die Welt des Schlagers, aber ich habe mir am Anfang sehr viel selbst erarbeitet." Aber, sagt sie "das stimmt schon: Helene Fischer als Schlagersängerin, das war seine Idee". Wenn man so will: ein perfektes Produkt.

Auf der Bühne unschlagbar charmant

Es gab in diesem Frühjahr einen sehr hübschen Dokumentarfilm in der ARD, der das Phänomen Helene Fischer erklären wollte. Die Kamera begleitete sie bei ihrer Tournee und zeigte eine Frau, die von ihrer Bühne aus jeden einzelnen zu erreichen schien, als sänge sie ihm persönlich etwas vor. In die Hallen drängten Paare zwischen 25 und 65 und Typen mit Tattoos und schweren Lederjacken, einem kleinen Mädchen kullerte eine Träne die Wange hinunter. Sie strahlt das vielleicht nicht aus, wenn man ihr so gegenüber sitzt an einem Frage-Antwort-Tag. Aber auf der Bühne hat Helene Fischer, die ihre sanften Sehnsuchtslieder singt, Musicalstücke oder Lady Gaga, die tanzt, sich immer wieder umzieht, unschlagbaren Charme. Der perfekte Mainstream wird mit einem Strahlen verkauft. "Auf meinen Konzerten kommen Menschen zusammen, die man sonst nie zusammen bei einer Veranstaltung sehen würde", sagt Helene Fischer.

Der deutsche Schlager und vielleicht noch mehr das deutsche Schlagerfernsehen gelten als Unterhaltung für Alte oder irgendwie Hängengebliebene, als anachronistisches TV-Relikt, mit dem ARD und ZDF ihre treueste, weil älteste Zielgruppe beglücken. Eine Show wie der Musikantenstadl in der ARD hat 1992 noch 10,5 Millionen Zuschauer erreicht, heute sind es noch 4,6. Und 4,2 Millionen dieser Zuschauer sind älter als 50. Im ZDF bei Willkommen bei Carmen Nebel ist die Altersstruktur ähnlich. Helene Fischer, die Generationenvermittlerin, brachte in ihrer Show 2012 immerhin fast eine Million Menschen unter 50 dazu, den Fernseher anzuschalten.

Blindgänger unter den Meldungen

Sie könnte ein Genre verjüngen, das als unverjüngbar gilt. Carmen Nebel jedenfalls moderiert beim ZDF künftig seltener; Helene Fischer zeichnet in ein paar Wochen ihre erste Weihnachtsshow für Mainz auf. Aber sie sagt: "Ich habe auch gemerkt, dass mir das reine Moderieren nicht ganz so viel Spaß macht wie das Singen oder wie auf der Bühne zu stehen." Das Fernsehen wird um sie kämpfen müssen.

Und dann gab es da noch einen Blindgänger unter den Meldungen, der den Hype um Helene Fischer greifbar werden lässt. Irgendwann im Sommer gab es das Gerücht, sie könnte Cindy aus Marzahn als Wetten, dass . . ?-Co-Moderatorin ersetzen, und so unplausibel erschien das plötzlich gar nicht. In einer Woche, bei Markus Lanz erster Show nach der Sommerpause, tritt Helene Fischer tatsächlich auf. Sie singt ein Lied von ihrem neuen Album.

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