Süddeutsche Zeitung

Saarland-Tatort "Eine Handvoll Paradies":Gestohlene Lebenszeit

Devid Striesows zweiter Einsatz im Saarland spielt im Drogenmilieu der Rockerszene. Ein Gruß an Westernparodien à la Tarantino, dachten sich die Macher. Allerdings haben sie kein Gefühl für schrägen Humor und verschleudern quälend peinlich Talente, Namen und die Zeit der Zuschauer.

Von Holger Gertz

Die erste Episode mit Devid Striesow als Kommissar Stellbrink war ein wirrer Ausflug in den Märchenwald, der mit herzlicher Kritik begrüßt wurde. Die User der Website Tatort-Fundus setzten den Fall auf Rang 862 aller jemals gezeigten Folgen, 881 Folgen gibt es insgesamt.

Die neue Geschichte ist eine Western-Parodie, mit Rockern statt Cowboys und Motorrädern anstelle von Pferden. Redakteur Christian Bauer und Regisseur Hannu Salonen wollen beim Saarländischen Rundfunk ja Genre-Krimis entwickeln, aber ihr Gruß an Tarantino entpuppt sich als Reminiszenz an Potato-Fritz, einen Witzwestern aus den Siebzigern. Die Älteren werden sich erinnern: Paul Breitner spielte da mit, der als Fußballer besser war denn als Schauspieler.

Womöglich ist auch Elisabeth Brück eine tolle Fußballspielerin. Im Tatort spielt sie aber Striesows Kollegin Lisa Marx, die immer schwer genervt ist vom verträumten Kommissar, nur fehlen Frau Brück die Mittel, das subtil rüberzubringen. Also erledigt sie es schwer hölzern. Geriffelter Mund, schmale Augen, Sonnenbrille. Lächeln (gequält). Einatmen (betont). Fühlt sich an wie Theater-AG, klingt auch so. Lisa Marx hat eher wenig Text. "Ja, okay", "Is' Backpulver", "Er hat 'n Puff."

So entsteht eine Unwucht im Verhältnis der Kommissare, deren Story schon nach zwei Folgen auserzählt ist. Wohin sollen sie sich denn noch entwickeln? Striesow füllt alle Räume, er quatscht und witzelt. Brück steht dabei, und was tough sein soll, wirkt aufgesetzt und vage. Dabei bräuchte der Instinkttäter Striesow jemanden, der ihn im Zaum hält, bevor er noch total abdreht.

Die Rocker in diesem schlechten Tatort: Karikaturen. So lächerlich grimmig wie die Bösen aus dem Kinderprogramm. Sie werden zum Beispiel "Mutti" genannt und sprechen vom Pullermann, wenn sie übers Gemächt reden. Die Staatsanwältin: eine Karikatur, die Sätze sagt wie die Juristen im Billig-TV: "Wollen sie mein Urteilsvermögen in Frage stellen?" Zu sehen ist auch noch eine quälend peinliche Traumsequenz mit Striesow als tuntigem Rocker. Der große Bart Simpson hat mal den einzig gültigen Kommentar zu solchen Regie-Ideen formuliert: Was immer sie dir geben - nimm weniger davon!

Redakteur Bauer und Regisseur Salonen haben kein Gefühl für schrägen Humor. Sie bräuchten dringend jemanden, der ihnen das mal sagt. Aber von den sehr beliebten Kommissar-Darstellern Gregor Weber und Maximilian Brückner, die sich nicht gescheut haben, was zu sagen, hat man sich ja getrennt beim SR. So, wie es jetzt läuft, verschleudert Striesow sein Talent. Der SR verschleudert seinen Namen, den er sich mit Weber und Brückner gemacht hat. Und der Zuschauer verschleudert Lebenszeit, wenn er sich das ansieht.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

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SZ vom 06.04.2013/kath
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