Medien in Russland:Überwacht, attackiert, verhaftet

Iwan Golunow, Investigativjournalist aus Russland.

Die Festnahme des bekannten Investigativreporters Iwan Golunow führte zu Protesten - dann wurde er überraschend freigelassen.

(Foto: Alexander Zemlianichenko/AP)
  • Die Freiräume für Journalisten in Russland werden immer kleiner, neue Gesetze erhöhen den Druck. Ins Visier geraten dabei nicht nur Kreml-Kritiker.
  • Erstaunlich viele unabhängige Reporter lassen sich davon aber nicht aufhalten: sie suchen neue Wege - und machen weiter.
  • Der Investigativjournalist Iwan Golunow war im Sommer falsch beschuldigt und nach Protesten freigelassen worden. Heute ist er manchmal fast froh über den Wirbel um seinen Fall.

Von Silke Bigalke

Sie arbeiten hinter einer dünnen Holzwand. Um etwas Ruhe zu haben in diesem Großraumbüro. Coworking in Moskau sieht aus wie überall, Sitzinseln, Caffè-Latte-Ecke und in der Mitte ein Pingpong-Tisch. Hinter der Wand haben sich die Korrespondenten von Meduza in einen fensterlosen Raum geflüchtet. Die russische Internetzeitung hat ihren Sitz eigentlich in Lettland, sicherheitshalber. Die Moskauer Mitarbeiter trafen sich manchmal versteckt in der Wohnung eines Freundes. Doch die hat der russische Geheimdienst im Sommer gefilzt. Kurz zuvor hatte die Polizei den Meduza-Reporter Iwan Golunow festgenommen.

Iwan Golunow kommt ins Büro, er trägt einen cremefarbenen Mantel und eine Sonnenbrille auf der Nase; in der Hand hält er einen Becher. Der 36-Jährige ist seit seiner Festnahme noch prominenter. Der Rummel war ihm von Anfang an unangenehm, erzählen Kollegen. Seine Arbeit, erzählt Golunow jetzt, fällt ihm schwerer als zuvor. Die Leute misstrauen dem Journalisten, vermuten hinter jeder Frage einen Trick. Wenn er wissen möchte, wie spät es ist, krempeln nun manche die Ärmel runter, damit er ihre teuren Uhren nicht sieht.

Golunow ist manchmal fast froh um seine Festnahme: Vielleicht werden andere so geschützt

Seine Bekanntheit ist nicht das größte Hindernis. Iwan Golunow kann sich bis heute nicht frei bewegen. Denn nun wird gegen diejenigen ermittelt, die ihm im Sommer Drogen untergeschoben haben. Als Zeuge muss er sich an besondere Sicherheitsmaßnahmen halten, über die er nicht reden darf. Klar ist, dass er überwacht wird. Für jemanden, der seine Themen häufig auf der Straße findet, ist das ein Problem: "Weil ich nicht frei unterwegs sein darf, verstehe und sehe ich weniger, was passiert", sagt er.

Die Freiräume für russische Journalisten werden zusehends kleiner. Die unabhängige Berichterstattung verschwindet deswegen aber nicht, sie sucht sich neue Wege. Es gibt sie noch, die Nowaja Gaseta mit ihren regierungskritischen Recherchen, es gibt den TV-Sender Doschd, der inzwischen ins Internet ausweichen musste. Auch Meduza erscheint ausschließlich im Netz. Dort nimmt die Zahl kritischer Medien zu. Gleichzeitig erhöht sich auch auf sie der Druck. Im Sommer recherchierte Iwan Golunow für Meduza über das korrupte Moskauer Beerdigungsgeschäft und brachte beteiligte Geheimdienstler gegen sich auf. Jemand schmuggelte Drogen in seinen Rucksack und in seine Wohnung. Er sollte für mehrere Jahre wegen Rauschgifthandels im Knast verschwinden. Die Vorwürfe waren absurd, in Russland und im Ausland gab es Proteste. Nach wenigen Tagen kam Golunow überraschend frei.

Sein Fall ist besonders - einerseits. Denn Iwan Golunow ist niemand, der durch Kremlkritik auffällt. Zwar deckt er immer wieder korrupte Geschäfte auf, aber er kommentiert nicht. Deswegen gilt Golunow vielen als Unparteiischer in einem Land, in dem die Grenzen zwischen kritischem Journalismus und Opposition oft verschwimmen. "Jetzt holen sie uns, die normalen Journalisten, die sich an alle journalistischen Regeln halten." So hat ein Reporter vom Portal Mediazona beschrieben, was vielen durch den Kopf ging, als die Polizei ausgerechnet Golunow einsperrte.

Andererseits aber ist der Fall beispielhaft für die Situation kritischer Journalisten in Russland. Sie müssen sich nicht mit dem Kreml anlegen, um ihre Freiheit, ihr Einkommen, manchmal ihr Leben zu riskieren. Der Druck kommt von vielen Seiten. Vetternwirtschaft, Geheimdienstmethoden, Machtkämpfe zwischen verschiedenen Behörden können auch unterhalb der höchsten Ebene gefährlich werden für den, der zu viel weiß, der stört.

Zu diesen unberechenbaren Fallstricken kommt die unberechenbare Rechtslage. Ein dichter werdendes Netz aus Gesetzen und Gesetzesanhängen schränkt die Meinungsfreiheit ein. Es scheint so, als wolle der Kreml die gesamte Kommunikation im Land kontrollieren, das Fernsehen, die Printmedien und das Internet.

Im Dezember hat die Regierung dafür wieder ein Gesetz erweitert, das über "ausländische Agenten". Als solche müssen sich Nichtregierungsorganisationen registrieren, die Geld aus dem Ausland erhalten. In der Öffentlichkeit werden sie in dieselbe Ecke gestellt wie Extremisten, Spione, Verräter. Sie müssen sich an spezielle Regeln halten, die ihre Arbeit erschweren. Auch zehn ausländische Medien stehen auf der Agentenliste des Justizministeriums, darunter der US-Radiosender Voice of America und Radio Free Europe.

Seit Dezember können Einzelpersonen als "ausländische Agenten" registriert werden, etwa wenn sie für diese Medien arbeiten oder ihre Beiträge im Internet teilen. Das Gesetz soll Druck ausüben, auf Journalisten und Internetnutzer, sagt Galina Arapowa, Direktorin des russischen Mass Media Defence Centre, das auch als Auslandsagent registriert ist. Sie befürchtet nun, dass die Regierung weitere Medien zu "ausländischen Agenten" erklärt. Theoretisch könnte es auch Meduza treffen, alle Mitarbeiter und schließlich deren Leser.

Das russische Internet ist voll von Regierungskritik

Es ist ein Mittel von vielen, um kritische Onlinemedien quasi mundtot zu machen. Das russische Internet ist voll von Regierungskritik. Man findet Berichte darüber, wie in russischen Gefängnissen gefoltert wird, wie Putins Vertraute sich bereichern, über die verdeckten Militäreinsätze der Regierung. Die etablierten Medien dagegen haben sich immer weiter angepasst, oft notgedrungen. Das Fernsehen ist längst eine Propagandamaschine. Viele Verlage gehören inzwischen kremlnahen Oligarchen. Die Tageszeitung Kommersant und die Wirtschaftszeitungen RBK und Wedomosti zweifelten die Darstellungen des Kremls früher häufiger an. Inzwischen haben ihre Verleger gewechselt, die Chefredaktionen wurden ausgetauscht. Beim Kommersant mussten zwei Politikredakteure nach einem Artikel über die mächtige Vorsitzende des Föderationsrates gehen. Aus Protest folgte ihnen die gesamte innenpolitische Redaktion.

Die kritischen Stimmen verschwinden nicht, sie ziehen um. Eine frühere RBK-Chefredakteurin gründete den Wirtschaftsnewsletter The Bell, ein Kollege startete das Onlineportal Projekt, beide arbeiten auch investigativ. Der Journalist und Aktivist Roman Dobrochotow hat die Seite The Insider erschaffen, gemeinsam mit dem Recherchenetzwerk Bellingcat hat er die Geheimdienstmitarbeiter hinter dem Giftanschlag auf Sergej Skripal entlarvt und Beteiligte am Abschuss der Boeing MH17. The Insider ist wie Meduza in Lettland registriert.

Recherchen über Hochhäuser - gefolgt von einem Mordanschlag

Schon jetzt versucht der Kreml, das Internet mit zahlreichen Gesetzen zu kontrollieren. Die Medienaufsichtsbehörde darf Webseiten ohne Gerichtsbeschluss sperren, etwa weil sie dort extremistische, gotteslästerliche oder jugendgefährdende Inhalte findet, die Auslegung ist großzügig. Bald soll eine neue Technik ermöglichen, Onlineinhalte unmittelbarer zu überwachen und effektiver zu blockieren. Nicht nur die Daten von Telefongesprächen müssen gespeichert werden. Der Geheimdienst kann von Anbietern verlangen, dass sie verschlüsselte Nachrichten in Chatportalen oder E-Mails decodieren. Wer sich weigert, wird gesperrt. Für Journalisten ist Überwachung schon deswegen ein Problem, sagt Galina Arapowa, weil sie ihre Quellen schützen wollen.

Medien in Russland: Igor Rudnikow wurde festgenommen - nachdem er niedergestochen wurde und auf Ermittlungen drängte.

Igor Rudnikow wurde festgenommen - nachdem er niedergestochen wurde und auf Ermittlungen drängte.

(Foto: AFP)

Gesetze wie das über "ausländische Agenten" und ein "souveränes" Internet werden damit begründet, dass sich Russland vor ausländischem Einfluss schützen müsse. Eine bequeme Logik: Wer die offizielle Sicht der Dinge nicht teilt, wird vom Ausland gesteuert. Abschrecken lassen sich Journalisten davon nicht, sagt Medienrechtlerin Galina Arapowa. In Russland sind sie Gegenwehr gewöhnt. Die Organisation Reporter ohne Grenzen führt das Land auf Platz 149 von 180 in Sachen Pressefreiheit. Seit 1991 seien nach Zahlen der Glasnost Defense Foundation 370 Journalisten im Land getötet worden, sagt Arapowa, manche in Konflikten, manche durch gezielte Attentate. Sechs Mitarbeiter verlor allein die Nowaja Gaseta.

Igor Rudnikow ist Lokaljournalist aus Kaliningrad und hat zwei Mordanschläge überlebt. Im November kam er zu einer Konferenz über "Medienfreiheit und Sicherheit von Journalisten" nach Moskau, organisiert von der OSZE. Dort saß auch Iwan Golunow auf dem Podium, diskutierte über die Freiheit der Medien. Sogar der Außenminister sprach zu Beginn der Konferenz, ging aber auf die schwierige Situation der Journalisten im Land nicht ein.

Igor Rudnikow saß anfangs im Publikum. Dann stand er auf, um dem Minister eine Frage zu stellen - und um durchblicken zu lassen, in welchen Schwierigkeiten seine Zeitschrift steckt. Die Nowyje Koljossa hat er vor 24 Jahren in Kaliningrad gegründet. Rudnikow war dort auch Abgeordneter, nicht selten arbeiten russische Journalisten politisch. Er ist kein Unbekannter, auch nicht für den Minister.

Nach der Konferenz erzählt er in der Hotellobby, dass er am liebsten Kampfflieger geworden wäre, Herzprobleme haben das verhindert. Stattdessen wurde er Kriegskorrespondent, doch nach 14 Jahren in der Armee trat er aus. Weil er begriff, sagt er, "dass ich in der Armee nicht über alles schreiben darf".

Auch sonst kann das Schreiben "wirklich lebensgefährlich" sein, sagt er: Im März 2016 stachen ihn zwei Männer in einem Café nieder, er überlebte knapp. Auch ihm war wohl eine Recherche über Korruption zum Verhängnis geworden. Es ging um Hochhäuser, die trotz Verbot am Strand gebaut werden sollten. In der Provinz sei es für Journalisten noch gefährlicher, als wenn sie für nationale Medien arbeiten, sagt Rudnikow. Ein Reporter könne einfach "ermordet, in den Wald gebracht und dort begraben werden. Niemand erinnert sich an ihn". Von den beiden Messerstechern wurde nur einer geschnappt. Rudnikow drängte auf neue Ermittlungen. Stattdessen wurde er aus der Wohnung gezerrt, misshandelt und eingesperrt. Angeblich sollte er den Leiter der Ermittlungsbehörde erpresst haben. Den Mann also, der eigentlich seine Attentäter schnappen sollte.

Anderthalb Jahre später setzte ihn eine Richterin auf freien Fuß. Seine Zeitung aber erscheint immer noch nicht wie gewohnt. Weil der Gouverneur die Druckerei unter Druck setzt, sagt Rudnikow. Zuletzt habe er seine Zeitung in Moskau drucken lassen und dann kostenlos in Kaliningrad verteilt. Online erscheint sie sowieso.

Eine großartige Zeit für Investigativjournalisten in Russland

Auch Iwan Golunow macht weiter. Mit seinem Anwalt hat er Beschwerde eingereicht. Weil kein Verfahren gegen die Polizisten läuft, die ihn damals festgenommen und geschlagen haben. Golunow will wegen Amtsmissbrauchs klagen. "Ich bin teilweise froh, dass ich in diese Situation geraten bin", sagt er. Der Wirbel um seinen Fall werde andere Journalisten vielleicht davor schützen, "dass Beamte, die ihre Artikel nicht gut finden, auch ihnen Drogen unterschieben". Golunow weiß, wer ihn in den Knast bringen wollte, wer hinter der ganzen Sache steckt. Er hofft nun trotz allem auf das Rechtssystem. "Ich weiß, dass es gute Polizisten gibt", sagt er.

Sein Team bei Meduza wächst derweil. Es sei eine großartige Zeit für Investigativjournalisten in Russland, sagt Golunows Redakteur Alexej Kowalew. Im Sommer hatte er mit Golunow einen investigativen Reporter, jetzt hat er drei. Er sei nicht pessimistisch, sagt er, was die Zukunft des russischen Journalismus angeht.

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