Russische Presse:Richtung Kreml?

Ein neuer Chefredakteur sorgt für Streit bei der bisher unabhängigen russischen Wirtschaftszeitung "Wedomosti". Die Redaktion fürchtet, dass er das Blatt auf Kreml-Linie bringen soll, dafür gibt es zumindest einige Indizien.

Von Clara Lipkowski

Es war befürchtet worden, nun tritt es immer deutlicher zutage: Die Redaktion der russischen Wirtschaftszeitung Wedomosti kämpft um ihre Unabhängigkeit. Nachdem im März ein neuer Chefredakteur begonnen hat, der als regierungsfreundlich gilt, krempelt dieser Schritt für Schritt die Arbeitsprinzipien um.

Die Sache wird seit ein paar Wochen in russischen Medien diskutiert: Zunächst löschte Andrej Schmarow, früher Chef der kremlnahen Zeitschrift Expert, ohne Absprache mit dem Autor eine Kolumne zum Staatskonzern Rosneft, weil sie ihm nicht gefiel, wie er später gegenüber Wedomosti sagte. Das verstieß gegen die Redaktionsprinzipien, sagte Wedomosti-Redakteurin Xenia Bolezkaja der SZ. Bei einem anderen Artikel zu Rosneft formulierte er im Alleingang eine neue Überschrift. So stand nach seiner Änderung kein regierungskritischer Titel mehr über dem Text, sondern einer, der den Kreml in positives Licht rückt. Auch das löste Unmut aus, Autoren machten die Sache publik. Der Autor der gelöschten Kolumne publizierte seinen Text auf seiner Facebookseite.

Nun, so wurde es diese Woche bekannt, hat Schmarow nachgelegt. Er habe mündlich mit Kündigung gedroht, sollten Autoren Meinungsumfragen zitieren, die das angesehene unabhängige russische Forschungsinstitut Lewada herausgibt, sagt Bolezkaja. Wer negativ über die Verfassungsreform von Präsident Wladimir Putin berichtet, dem drohe ebenfalls der Rauswurf. Der Online-Zeitung Meduza zufolge, soll Schmarow auf Anordnung der Präsidialverwaltung handeln. Das hat Putins Sprecher Dmitrij Peskow zurückgewiesen, Wedomosti hat einen Artikel dazu veröffentlicht. Schmarow wollte sich zu den Vorwürfen auf Anfrage nicht schriftlich äußern.

Der Streit zwischen der Redaktion und ihrem Chef begann im März, als bekannt wurde, dass das Blatt verkauft wird. Die Tageszeitung mit Schwerpunkt Wirtschaft erscheint seit 1999 und verstand sich von Beginn an als liberal mit kritischer Distanz zu Politik und Unternehmen. In den Kommentarspalten kommen Autoren zu Wort, die den Kurs der Regierung offen kritisieren, so auch Putins Absicht, die Verfassung zu ändern, um dafür länger Präsident bleiben zu können. Sich selbst hat die Redaktion ein "Dogma" auferlegt, wonach sich Autoren nicht beeinflussen lassen. Doch mit dem Verkauf verlässt die Zeitung diese Linie, gegen den Willen vieler Mitarbeiter.

Eigentlich galt der Eigentümerwechsel als sicher, zwei Käufer standen fest. Am Donnerstag jedoch meldet die Plattform The Bell, dass der Geschäftsmann Alexej Golubowitsch nun drohe, auszusteigen. Unter anderem der Konflikt in der Redaktion erschwere es ihm, die Risiken der Übernahme abzuschätzen, heißt es in dem Bericht. Mitten in der Krise haben erste Redakteure gekündigt, unter ihnen Digitalchef Sergej Paranko. Ein Gegenvorschlag leitender Redakteure, die langjährige Wedomosti-Journalistin Anfisa Woronina zur neuen Chefredakteurin zu machen, wurde unterdessen offenbar abgelehnt.

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