Süddeutsche Zeitung

Türkei:Gefährliche Arbeit in der Osttürkei

Wie der freie Journalist Ruşen Takva wegen Teilnahme an einer Pressekonferenz plötzlich unter Terrorismusverdacht geriet.

Von Tomas Avenarius

Um die Pressefreiheit in der Türkei ist es schlecht bestellt, das allein ist noch keine Neuigkeit. Ein aktueller Fall aus dem äußersten Osten des Landes zeigt aber, wie wenig Spielraum Medienleute haben, die wegen ihrer Arbeit nicht gleich vor Gericht und möglicherweise in Haft landen wollen. Der freie Journalist Ruşen Takva aus der Stadt Van steht derzeit vor Gericht, weil er bei der öffentlichen Verlesung einer Presseerklärung einer Oppositionspartei anwesend war und dabei Fotos pro-kurdischer Politiker geschossen hat. Ihm drohen bis zu 18 Jahre Haft: Laut der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ist er "Mitglied einer bewaffneten Terrororganisation"; er habe zudem die verbotene Demonstration organisiert und so gegen ein in Van seit 2016 geltendes Demonstrationsverbot verstoßen. Takva weist den Vorwurf zurück, er sei da gewesen, um zu berichten.

Der Osten und Südosten der Türkei ist seit Jahrzehnten vom Kampf der türkischen Armee gegen die kurdische Untergrundorganisation PKK geprägt, die in Europa und den USA als Terrorgruppe geführt wird. In der mehrheitlich von Kurden besiedelten Ostprovinz Van an der iranischen Grenze gilt auch deshalb seit mehr als vier Jahren eine Art lokales Ausnahmerecht: Parteien dürfen keine Demonstrationen oder öffentlichen politischen Veranstaltungen abhalten. Oppositionsparteien jedenfalls, die Vertreter der herrschende AKP von Staatschef Recep Tayyip Erdogan treten dessen ungeachtet regelmäßig in Van auf.

Takva wird nun beschuldigt, selbst ein Terrorist zu sein

Die pro-kurdische Partei DBP hatte im Januar 2021 dennoch zur Verlesung einer Presseerklärung eingeladen; es war ganz offensichtlich der Versuch der Oppositionspartei, die jede Parteiaktivität verhindernden Sonderregelungen des Gouverneurs von Van zu umgehen. Mit anwesend waren bei der Verlesung der Presserklärung Politiker der ebenfalls pro-kurdischen HDP: Die Partei ist zweitstärkste Kraft im nationalen Parlament in Ankara, wird aber von der Regierung regelmäßig in den Verdacht der Unterstützung der terroristischen PKK gerückt.

Takva wurde bei der Prozesseröffnung aber nicht nur wegen des Verstoßes gegen dieses Versammlungsverbot angeklagt. Er wird gleichzeitig persönlich als Terrorist beschuldigt. Der Journalist, der häufig über die im Südosten notorischen Menschenrechtsverletzungen durch Armee und Polizei berichtet, führt dies auf seine unliebsame Berichterstattung zurück. Er sagt: "Ich wollte bei dieser Versammlung nur meine Arbeit machen, berichten, Fotos machen. Und vor allem war nicht nur ich dort, es waren auch Vertreter der etablierten Medien da."

Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft erscheinen umso absurder, als bei der Veranstaltung sogar Journalisten staatlicher Medien vor Ort waren: Unter den etwa ein Dutzend Reportern waren auch Vertreter der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Angeklagt aber wurde nur Takva. Dessen Anwältin Burcu Şeber hatte vor Gericht gefragt, womit ihr Mandant, der ja nur als Journalist gearbeitet habe, denn gegen das Demonstrationsverbot verstoßen haben könnte: "Ist er mit den Demonstranten mitmarschiert? Hat er Parolen gerufen? Hatte er ein Transparent in der Hand? Hat er Widerstand gegen die Polizei geleistet?"

Der Prozess gegen Takva wurde auf Oktober vertagt.

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