ARD und ZDF:Was bedeutet "presseähnlich"?

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Eine Tagesschau-Zeitung gibt es nicht. Über das Online-Angebot der ARD wird trotzdem dauernd gestritten. SZ-Grafik; Fotos: Imago, dpa

In dieser Woche entscheiden die Ministerpräsidenten, was die öffentlich-rechtlichen Sender im Internet dürfen. Und wie viel Konkurrenz zu den Verlagen erlaubt ist.

Von Claudia Tieschky

Der 15. Juni 2011 ist für die ARD nicht irgendein Mittwoch. Es ist der Mittwoch, der bis heute nicht vergehen will. Was die Tagesschau-App an diesem Tag ihren Nutzern angeboten hat, haben deutsche Verlage, darunter auch die SZ, vor Gericht gebracht. Exemplarisch soll geklärt werden, ob das öffentlich-rechtliche Angebot zu "presseähnlich" und damit gesetzeswidrig ist. Es wäre also das, wofür die Verleger vieles halten, was die ARD online so anstellt - eine unlautere, gebührenfinanzierte Konkurrenz, was den Springer-Chef Mathias Döpfner schon zur freien Assoziation des "Staatsfunks" brachte. Der Streit darum währt schon Jahre. Bereits 2016 hat das Oberlandesgericht Köln entschieden, dass die Tagesschau-App an diesem 15. Juni 2011 "presseähnlich" gewesen sei. Als nächstes will der zuständige NDR die Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Klärung vorlegen, "um alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen", wie Justiziar Michael Kühn es formuliert.

"Presseähnliche" Angebote sind den Sendern verboten. Was das heißt, steht aber nicht im Gesetz

Nach Jahren des Streits könnte nun aber auf anderem Weg Klarheit kommen. Dieser Tage steht ein Gesetz zur Reform, es geht um den Telemedienauftrag. Er legt fest, was ARD und ZDF im Internet dürfen. Im Telemedienauftrag steht zum Beispiel, was "presseähnlich" und verboten ist und was nicht. Das Problem: Es steht nicht besonders genau da, oder zumindest nicht so, dass man nicht darüber streiten könnte. Deswegen sehen die Mediatheken von ARD und ZDF unterschiedlich aus. Während das ZDF vor allem Videos einstellt und keine juristischen Probleme hat, wird um das Angebot der ARD dauernd gestritten. Nicht nur um die Tagesschau-App.

An diesem Donnerstag wollen die Ministerpräsidenten der Länder bei ihrem Treffen in Berlin den Telemedienauftrag verändern. Dabei geht es auch um die Definition von "presseähnlich". Rundfunkgesetze gelten zwar bundesweit, sie sind aber Ländersache: Es müssen ihnen alle Ministerpräsidenten zustimmen und danach auch noch alle Landtage - weshalb Neuerungen am Ende selten radikal ausfallen. Konsensfähig ist das Wort, auf das am Ende alle Verhandlungen hinauslaufen müssen. Das Nein eines einzelnen Landes kann ein Gesetz blockieren. Die Federführung für das Telemediengesetz hat Sachsen-Anhalt. Dort ist in den vergangenen Monaten in komplizierten Abstimmungsschritten ein Gesetzesentwurf entstanden, der jetzt endlich, nun ja, konsensfähig sein soll.

Zuständig in der Magdeburger Staatskanzlei ist dafür ausgerechnet der Mann, der in der letzten Zeit den radikalsten Vorschlag zur Veränderung der Sender geleistet hat. Staatskanzleichef Rainer Robra, CDU, ist in Sachsen-Anhalt zuständig für Medien und Europa und zusätzlich Kulturminister. Er brachte die Idee auf, die Notwendigkeit von zwei nationalen Programmen, also dem Ersten und dem ZDF, zu überdenken. Robra hat auch vorgeschlagen, dass die Zahl der öffentlich-rechtlichen Sender in TV und Hörfunk zu verringern. Er weiß natürlich, dass es die Länder sind, die all diese Programme in das Gesetz geschrieben und damit erschaffen haben. Er versteht sich als Verfechter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und der bestehenden Rundfunkgesetze - anders als die Populisten, die europaweit gerade viele radikale Vorschläge zur Veränderung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks parat haben, vor allem zu seiner Abschaffung

Der 66-jährige Jurist sitzt in Magdeburg in Deutschlands vielleicht schönster Staatskanzlei, einem Stadtpalais aus dem Kaiserreich. In Sachsen-Anhalts Landtag sitzen 31 Abgeordnete der CDU und 22 der AfD, es gab eine Entschließung, dass der Rundfunkbeitrag auch nach 2021 bei 17,50 Euro bleiben muss, wofür im Moment, je nachdem, wen man fragt, trotz der Reformvorschläge der Sender zwischen einer Milliarde und drei Milliarden Euro fehlen. Doch ein höherer Beitrag sei nicht vermittelbar, sagt Robra, das sei auch eine Frage der Akzeptanz, und formuliert damit eine Art Stand der Rundfunkpolitik Ost. "Ostdeutschland kommt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu wenig vor, es fehlt der Identifikationsanker". Auch dabei, wie hoch der Beitrag sein soll, müssen alle Länder zustimmen, und deswegen hängt alles mit allem zusammen, wenn die Länder mit den Intendanten im März über "Auftrag und Struktur" von ARD und ZDF neu verhandeln. Es geht ums Sparen und Streichen. Nur im Internet, beim Telemedienauftrag, dürfen die Sender jetzt erst einmal mehr.

Mehr Kosten für Sendungen auf Social Media

Zu den Punkten, die jetzt neu gefasst werden sollen, gehört die Erlaubnis, auch europäische Linzenzware wie angekaufte Serien 30 Tage lang in den Mediatheken zu zeigen. Außerdem soll die Sieben-Tage-Regel verschwinden, nach der alle Sendungen nur eine Woche in den Mediatheken stehen sollen und die schon lange nur noch auf dem Papier besteht. "In gewisser Weise passen wir das Gesetz an die Realität an", sagt Robra. Aber es geht auch hier um Geld: Die Produzenten fürchten, dass ihnen die Möglichkeit genommen wird, ihre Filme später auf DVD oder Streamingdiensten zu vermarkten, wenn sie über längere Zeit in den Mediatheken frei zugänglich sind. Sie verlangen von den Sendern eine Kompensation bei den Rechtekosten. Daran scheiterte schon einmal die Verabschiedung des Gesetzes.

Steigende Kosten für Social Media könnten sich auf das Fernsehprogramm auswirken

Der unter den Ländern am wenigsten strittige ist der vielleicht bedeutendste Punkt im neuen Gesetz. Es ist die Erlaubnis, auch für Plattformen außerhalb des Senders eigene Formate zu produzieren, wenn sie "journalistisch-redaktionell veranlasst" sind. Das bedeutet, wenn die ARD-Rundfunkräte oder der ZDF-Fernsehrat es für gerechtfertigt halten, darf eine Anstalt auch Programm herstellen, das ganz ohne Sendeplatz im klassischen Rundfunk zum Beispiel über Facebook oder auf Youtube verbreitet wird. Die Kosten dafür, das haben die Intendanten den Ländern versichert, würden mit denen des linearen Programms verrechnet, so dass das Programm insgesamt nicht teurer würde. Ganz unproblematisch ist das aber nicht. Denn im Moment erklären die Senderchefs gerne, dass Einschnitte im Programm unvermeidlich seien, sollte der Rundfunkbeitrag nicht steigen. Wenn das lineare Fernsehprogramm in Zukunft immer noch mehr Wiederholungen zeigt, könnte das also auch an den Kosten für mehr Sendungen auf Social Media liegen.

Und natürlich geht es im neuen Telemedienauftrag auch um das Wort "presseähnlich", um die Abgrenzung der Sender-Webseiten zum Angebot der Verlage. Der Gesetzesentwurf legt nun erst einmal fest, was "presseähnlich" ist - Angebote mit Schwerpunkt Text - und formuliert dann ein paar Ausnahmen, wann solche Textangebote doch erlaubt sind.

Kabinettssitzung mit dem Chef der Staatskanzlei Rainer Robra

Rainer Robra (CDU), ist Chef der Staatskanzlei und Kulturminister von Sachsen-Anhalt. Der Jurist schlägt vor, die Zahl der öffentlich-rechtlichen TV- und Radiosender zu verringern.

(Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Textschwerpunkte dürfe es dann geben, wenn es Materialien und Quellen sind, die bei der Herstellung der Sendung genutzt worden sind, erklärt Robra und formuliert damit einen deutlichen Rückbau. "Es gab eigentlich nie die Idee, dass die Anstalten für das Internet in diesem Ausmaß Texte anbieten, die zusätzlich zu den Sendungen hinterher geschrieben wurden", sagt er. Manchmal habe man aber inzwischen den Eindruck, "dass die ARD ihre Leser den ganzen Tag über auf ihren Seiten halten möchte." Erlaubt sind auch Texte, die thematisch unterstützend der Aufbereitung, Dokumentation oder Aktualisierung einer bestimmten Sendung dienen. Auch Hörfunk-Transkripte sollen nicht verboten sein.

Es stimmt, dass auch das neue Gesetz Raum für Rechtsstreit lässt und "nicht die Klarheit bringt, die sich manche erhoffen", sagt Robra. Es sei vor allem eine Aufforderung an die Anstalten, "dass sie diesen verhärteten Konflikt mit den Verlegern beilegen sollen. Der WDR kündigte jedenfalls Anfang Dezember an, den Text im Internet zu reduzieren. Radio Bremen und der Weser Kurier entschieden sich Anfang des Jahres, mit Verlagen zu kooperieren, statt weiter vor Gericht zu streiten. Der MDR wirbt um Allianzen mit den Verlegern gegen die Macht der Internet-Konzerne.

Die größere Auseinandersetzung kommt erst, es ist die Auseinandersetzung über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk überhaupt, über die große Reform, bei der alles mit allem zusammenhängt: nicht nur Geld, Akzeptanz, Bündnisse, Populismus, Ost und West. In der Schweiz wird am 4. März 2018 abgestimmt, ob die Rundfunkabgabe komplett abgeschafft wird. Dieser Tag und sein Ergebnis wird auch für ARD und ZDF mindestens so wichtig wie der 15. Juni 2011.

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