Rundfunkbeitrag vor Gericht:Es geht um Gerechtigkeit

Bundesverfassungsgericht verhandelt zu Rundfunkbeitrag

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts eröffnet die mündliche Verhandlung zum Rundfunkbeitrag.

(Foto: Uli Deck/dpa)

In Karlsruhe haben ARD, ZDF und Deutschlandradio ihre Bedeutung für die Demokratie betont - verhandelt wird beim Streit über den Rundfunkbeitrag aber eigentlich etwas ganz anderes.

Von Wolfgang Janisch

Natürlich wollten die Intendanten die Gelegenheit für einen öffentlich-rechtlichen Werbeblock nicht ungenutzt verstreichen lassen, schon gar nicht an diesem Ort. In all den Jahrzehnten bundesrepublikanischer Geschichte hat das Bundesverfassungsgericht die Rundfunkanstalten gestärkt, deshalb wollten die Sender-Chefs noch einmal an deren grundlegende Bedeutung erinnern - nun, da es um den Rundfunkbeitrag gehen sollte, also das Fundament der acht Milliarden Euro schweren Finanzierung. Gerade in diesen Zeiten seien die Sender wichtig für den Dialog in der Gesellschaft, sagte Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks und derzeit ARD-Vorsitzender. Sein Kollege Thomas Bellut lieferte die Stichworte jener Entwicklung, denen seriöse und ordentlich finanzierte Programme entgegenwirken sollen: Echokammern, Filterblasen, Fake News. Stefan Raue, Intendant des Deutschlandradios, wollte gar die Garantenfunktion für kulturelle Vielfalt und gesellschaftliche Integration schultern.

Das Schaulaufen, klar, sollte den Richtern deutlich machen, was auf dem Spiel steht, wenn man über Rundfunkbeiträge redet. An der Finanzierung hänge auch die Unabhängigkeit des Rundfunks, sagte Wilhelm. Trotzdem ging das Loblied auf die eigenen Sender im Sitzungssaal irgendwie ins Leere - Thema verfehlt, würde man in der Schule sagen. Denn Gegenstand der Anhörung war gerade nicht die Heilkraft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für eine auseinanderdriftende Gesellschaft, auch nicht die Frage nach seiner Aufgabe in Zeiten des Internets.

Der Erste Senat des Gerichts hat allein über die Frage zu entscheiden, ob das seit 2013 praktizierte Beitragsmodell mit den Grundsätzen der Finanzverfassung vereinbar ist. Ob man also jeden Wohnungsinhaber mit 17,50 Euro zur Kasse bitten darf, anstatt - wie früher - Gebühren für Geräte zu erheben. Das ist beinhartes Abgabenrecht, eine Materie für zahlensichere Spezialisten, die sich sonst mit Abwassergebühr und Hundesteuer herumschlagen.

Eine gewisse Rolle mögen hier die Zahlen spielen, die die Intendanten in die Debatte warfen: 94,2 Prozent der über 14-Jährigen nutzen jede Woche öffentlich-rechtliche Programme, zehn Millionen schauen im Durchschnitt die Tagesschau. 1,8 Millionen Hörer pro Tag erreicht der Deutschlandfunk pro Tag. Das hängt mit der Grundsatzfrage des Verfahrens zusammen, ob der Rundfunkbeitrag - auch wenn er so heißt - denn tatsächlich ein "Beitrag" ist. Denn ein Beitrag setzt, rechtlich gesehen, zumindest die Möglichkeit einer Gegenleistung voraus. Einen "Sondervorteil", wie der Senatsvorsitzende Ferdinand Kirchhof das ausdrückte. Oder wurde dem Beitrag das falsche Etikett aufgeklebt? Die Kläger meinen, in Wahrheit sei er eine verkappte "Demokratie-Steuer".

Der Vorteil liegt natürlich im Programmangebot, das jeder nutzen kann - daran herrschte bei den Richtern kein Zweifel. Ob man dieses Angebot wahrnimmt oder nicht, darauf komme es wohl nicht an, sagte Kirchhof: Auch den Erschließungsbeitrag müsse man zahlen, selbst wenn man das Grundstück unbebaut lasse. Der Umstand, dass der Beitrag letztlich flächendeckend erhoben wird - was doch ein wenig nach Steuer riecht -, schien den Richtern keine Probleme zu bereiten. "Wenn der Vorteil jedem zur Verfügung steht, dann kann man von jedem den Beitrag erheben", sagte Richter Michael Eichberger.

Beim Stichwort Wohnung wird es heikel

Der wirklich heikle Punkt verbirgt sich hinter dem Stichwort Wohnung - das wurde im Verlauf der Verhandlung immer deutlicher. Ist es wirklich haltbar, den Beitrag pro Wohnung zu erheben? Bernhard Wietschorke zum Beispiel, einer der vier Beschwerdeführer, sieht sich durch das Beitragssystem gleich mehrfach belastet: Er lebt allein, profitiert also nicht von der Möglichkeit, sich den Beitrag mit anderen Haushaltsmitgliedern zu teilen. Und er unterhält eine Zweitwohnung, für die ein weiterer Beitrag fällig wird. "Es ist unmöglich, an zwei Orten zugleich Rundfunk zu konsumieren", sekundierte Thiess Büttner, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministeriums.

Auch Andreas Paulus, im Senat als Berichterstatter für das Verfahren zuständig, deutete an, dass der Wohnungsbeitrag zu Ungleichbehandlungen führen kann. Das Doppelverdienerpaar zahle dasselbe wie Alleinerziehende - sei das wirklich gerecht? Zwar hatte Dieter Dörr, Vertreter der Bundesländer in dem Verfahren, hier den Aspekt der Verwaltungsvereinfachung ins Spiel gebracht - der große Fortschritt der Wohnungsabgabe im Vergleich zur alten Gerätegebühr, die man vermeiden konnte, indem man dem GEZ-Fahnder die Tür vor der Nase zuschlug.

Paulus brachte aber einen anderen Gedanken in die Debatte - das Pro-Kopf-Modell. Mit einem Melderegisterabgleich könne man doch problemlos alle gemeldeten Personen leicht erfassen. "Dann stellt sich doch die Frage, worin die Verwaltungsvereinfachung durch die Wohnungsabgabe noch besteht." Ein bundesweiter Beitrag für alle, die Rundfunk empfangen können: Das wäre womöglich doch eine kleine Revolution. Vermutlich müsste dann dessen Höhe gesenkt werden, außerdem würde es, wie Paulus andeutete, bei den Befreiungsmöglichkeiten aus sozialen Gründen bleiben. Bleibt die Frage, ob Richter dies aus eigener Hoheit anordnen können: Joachim Wieland, juristischer Vertreter des ZDF, wies auf den Spielraum des Gesetzgebers hin.

Der ehrliche Unternehmer sei der Dumme

Verfassungsrechtlich heikel dürfte das Beitragswesen auch beim Thema Unternehmen sein. Aus Sicht von Holger Jacobj, einem der Anwälte des ebenfalls klagenden Autovermieters Sixt, verstößt die Beitragserhebung bei den Unternehmen schon deshalb gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, weil dort ein Vollzugsdefizit bestehe. Der ehrliche Unternehmer sei der Dumme, wenn der Unehrliche mangels Kontrolle nicht zahlen müsse. Vor allem aber stellt sich aus Sicht des Autovermieters die Frage, warum er eigentlich pro Auto eine Drittelgebühr zahlen muss - was sich, wenn man den Beitrag für die Betriebsstätte hinzurechnet, bei fast 50 000 Autos auf etwa 300 000 Euro pro Monat summiert. Und weil Sixt diese Kosten auf die Kunden umlegt, dürfte sich hier dieselbe Frage stellen, die auch den Zweitwohnungsinhaber umtreibt: Radio hören kann man nur an einer Stelle - warum sollte man dann zwei Mal zahlen?

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