"Ruhestand im Rotlichtviertel" auf Arte:Stellung halten

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50 Jahre im Rotlicht: Martine und Louise Fokkens. (Foto: Arte)

Sie sind zu alt, um in ihrem Gewerbe noch erfolgreich sein zu können: Martine und ihre Zwillings-Schwester Louise haben 50 ihrer 70 Lebensjahre in Amsterdam angeschafft. Nun wäre es in jeder Hinsicht besser für sie, in den Ruhestand zu treten. Doch sie können nicht loslassen, wie eine schonungslose Arte-Doku zeigt.

Von Markus Mähler

Sogar die Seelsorger beten gemeinsam mit Martine Fokkens, dass sie endlich zur Besinnung kommen möge. Martine und ihre Schwester Louise sind die dienstältesten Huren Amsterdams. Vielleicht gibt es in ganz Europa keine älteren, 50 ihrer 70 Jahre haben die beiden im Rotlichtviertel "De Wallen" angeschafft. Jetzt will fast jeder dort die eineiigen Zwillinge endlich in den Ruhestand abschieben. Doch die beiden können nicht loslassen. Sie leben in ihrer Vergangenheit.

Rob Schröder und Gabrielle Provaas überlassen ihren Dokumentarfilm vollkommen den Zwillingen. Es gibt kein erkennbares Drehbuch oder einen roten Faden, und vor allem Martine spielt vor sich selbst eine Rolle.

Der Zuschauer muss dahinter blicken und dort die Verzweiflung erkennen, die Martine verbirgt. Der Film zeigt, ganz ohne Kommentar, Szenen aus dem Alltag einer alten Hure in der Welt des gekauften Sex.

Etwa, wenn ein Freier verzweifelt "Gebieterin" fleht, sich aber nichts regt. Ihre beiden Körper sind alt. Nur mit einem Gerät verschafft sie ihrem Freier noch Erleichterung. Später sitzt die 70-Jährige allein hinter ihrem Hurenfenster.

"Wir sind die letzten Fußabtreter"

Drüben, auf der anderen Straßenseite drehen sich junge Frauenkörper wie Modepuppen im Schaufenster. Sie schimmern im gedämpften Neonlicht. Makellos und prall dank Silikon. Die Freier laufen lachend an Martine vorbei. Sie brüllt: "Haha, blöde Pimmel. Heute darf man hier nicht mehr alt sein. Wir sind die letzten Fußabtreter."

Die Fokkens haben in den 1970ern das erste zuhälterfreie Bordell Amsterdams gegründet, jetzt erzählen sie eine Parabel vom verpassten Ausstieg. Auch ohne die gewohnt einordnende Stimme aus dem Off zeigt der Film ein klares Bild von zwei Menschen, die das scheinbar Wertvollste verloren haben: ihre Schönheit.

Ruhestand im Rotlichtviertel, Arte, 23.50 Uhr.

© SZ vom 17.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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