Rückgang der Kirchenblätter:Nische für Papst-Presse

Kirchenblätter waren eine Macht für Millionen, jetzt ist nur noch in der Nische für sie Platz. 2010, beherrscht von den Missbrauchsskandalen, wurde zum Krisenjahr für die Kirchenpresse.

Matthias Drobinski

Es sieht gut aus, was die online-Kollegen von evangelisch.de auf die Beine stellen. Orange und türkis leuchtet die Seite, optimistisch, aber nicht schrill, die Texte handeln von der Einführung des neuen Bischofs von Hannover, den Anti-Atom-Demos, der Sommerzeit.

Papst Benedikt XVI. besucht seine Heimat

Letzte Chance mit kritischem Journalismus? Papstfans mit einer Sonderausgabe der Münchner Kirchenzeitung 2006.

(Foto: ddp)

Und doch sind die Probleme unübersehbar: Der meistkommentierte Chat dreht sich um die multiple Katastrophe in Japan; in acht Tagen sind 22 Beiträge von sechs Teilnehmern entstanden, darunter ein pensionierter Pädagogik-Professor, ein 60-jähriger Lehrer und Buchautor, ein Pastor. Im Community-Bereich steht die Zählung bei 5.304 Besuchern und 1.575 Blogeinträgen. Zehn Monate gibt es evangelisch.de in dieser Form. Die Massenwirkung ist bislang ausgeblieben.

Die katholischen Bischöfe haben sich indes ganz von der Idee eines katholischen Facebooks verabschiedet. Katholisch.de tritt brav auf, mit kirchlichen Nachrichten und Glaubensinformationen, irgendwann soll es einen Relaunch geben. Ein Prozent der Katholiken informiert sich regelmäßig im Netz über ihre Kirche, hat die katholische Mediendienstleistungsgesellschaft im Auftrag der Bischöfe herausgefunden. Jesus wanderte von Ort zu Ort, um seine Botschaft zu verbreiten, Martin Luther nutzte den Buchdruck, die Kirchen von heute stecken tief in der Kommunikationskrise.

Das trifft derzeit besonders die katholische Kirche. Nach dem Krieg hatten die Kirchenzeitungen der deutschen Bistümer eine Auflage von mehr als zwei Millionen Exemplaren, der Rheinische Merkur, Konrad Adenauers Lieblingsblatt, fand mehr als 200.000 Käufer. Das Jahr 2010 aber, beherrscht von den Missbrauchsskandalen, wurde für die Kirchenpresse zur Katastrophe.

Der Medienwissenschafter Christian Klenk von der katholischen Universität Eichstätt hat für die Süddeutsche Zeitung die Auflagenentwicklung zusammengestellt und kommt auf ein durchschnittliches Minus von sechs Prozent; in Essen ging die Auflage gar um 15 Prozent zurück. Klenk nennt das den "kleinen Kirchenaustritt" der treuen Katholiken, deren Protest zur Abbestellung der Kirchenzeitung führt, die ja der Bischof herausgibt.

Es genügt aber nicht, den Rückgang mit der Krise des Jahres 2010 zu begründen - seit Jahren schrumpfen die Auflagen. 660.800 Kirchenzeitungen werden bundesweit noch gedruckt, 36 Prozent weniger als vor zehn Jahren. In Regensburg und Paderborn hat sich die Auflage halbiert, in Berlin ist sie um 63 Prozent zurückgegangen. Die Paderborner Zeitung Der Dom wird inzwischen von der Katholischen Nachrichtenagentur gestaltet.

Markt kleiner Nischen

Traurig war auch das Ende des Rheinischen Merkurs im vorigen Jahr: Als die Zahl der echten Abonnenten bei vielleicht 12.000 angekommen war, waren den Bischöfen die angeblich mehr als vier Millionen Euro Subvention im Jahr zu viel. Der Merkur erscheint nun als Beilage der Zeit, inhaltlich macht das geschrumpfte Redaktionsteam ein bemerkenswertes Blatt, unklar ist aber, ob sie neue Leser gewinnen können.

evangelisch

Während katholisch.de hauptsächlich kirchliche Nachrichten veröffentlicht, informiert die Online-Redaktion von evangelisch.de (Bild) ihre Leser auch über weltliche Probleme. Doch  vor allem die katholische Kirche steckt in einer Kommunikationskrise.

Die katholische Kirche hat mit dem Münchner Insti tut zur Förderung publizistischen Nachwuchses oder der Katholischen Nachrichtenagentur vorzeigbare Angebote, ein Gesamtkonzept aber fehlt ihr. Soll das Geld künftig in Nischenprogramme wie das Kölner Domradio gehen, soll man die Kirchenzeitungen retten? Die Evangelische Kirche hat immerhin die Konzeptfrage beantwortet: Sie finanziert das Magazin Chrismon, das als Beilage in Millionenauflage verschiedenen Tageszeitungen beiliegt, den Internetauftritt evangelisch.de und den Evangelischen Pressedienst (epd), der kirchliche Themen und Anliegen in Zeitungen und Nachrichtensendungen bringen soll.

Leidtragende des Konzentrationsprozesses, der das Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik mit Sitz in Frankfurt hat sehr mächtig werden lassen, sind die evangelischen Kirchenzeitungen. Sie haben eine Auflage von nur noch 260.000 Exemplaren, manches Landeskirchen-Blatt ist schon durch eine Chrismon-Ausgabe mit Regionalteil ersetzt.

Leidtragend ist aber auch, so sieht es die Erlanger evangelische Publizistik-Professorin Johanna Haberer, die innerprotestantische Pressefreiheit "durch die zunehmende Zentralisierung": Die "Debatte im Inneren fehlt, wenn die Kirchengebietspresse stirbt". Im Februar trafen sich die Gewaltigen der evangelischen Publizistik in Erlangen. Die christlichen Medien hätten viel zu sagen, lautete die Quintessenz der Vorträge - aber sie nutzen ihre Chance nicht.

Auch der katholische Medienexperte Christian Klenk sieht eine "letzte Chance für die Bistumspresse", wie er in der Fachzeitschrift Communicatio Socialis schreibt, wenn es ihr gelingt, neue Zielgruppen wie Familien anzusprechen, wenn sie frei ist, guten und damit auch kritischen Journalismus zu betreiben. Er nennt das katholische Liborius-Magazin, das sich 2010 neu gegründet hat und trotz Kirchenkrise auf 15.000 Exemplare kommt. Es gibt auf der alternativ-christlichen Seite das Publik-Forum, das sich ohne einen Pfennig Subvention hält. Es gibt im konservativen Spektrum die Tagespost, deren Auflage nur unwesentlich gesunken ist.

Ob aber dies nur noch der Markt kleiner Nischen ist und die Zeit der großen christlichen Publizistik nicht vorbei ist - das fragt derzeit keiner laut.

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