Süddeutsche Zeitung

RTL-Dschungelcamp: Tag eins:Endlich Gewinner sein, statt Würstchen

Die Fernsehhölle öffnet zum elften Mal ihre Pforten. Zu bestaunen gibt es einen Kotzbrocken namens "Honey" - und Prominente, die am eigenen Image verzweifeln.

TV-Kritik von Johanna Bruckner

Thema des Tages: das Vorleben, die Last der Vergangenheit, oder auch: die schlimmste Schlagzeile, die je über einen geschrieben wurde. Im Fall von Jens Büchner, wegen seines Wirkungsbereiches außerhalb des TV-Dschungels auch "Mallorca-Jens" genannt, liest sich die wie folgt: "Goodbye Leber - TV-Auswanderer versäuft 17 000 Euro am Ballermann". Aber von vorne.

Die RTL-Show Ich bin ein Star - Holt mich hier raus! ist in die elfte Staffel gestartet. Findige Boulevardredakteure mögen jetzt denken: Schnapszahl, Alkoholnase, läuft für uns. Aber darum geht es ja gerade nicht beim Dschungelcamp. Jener Ort, an den es sogenannte Prominente zum Image-Entgiften zieht. Nach 16 Tagen Entbehrungen und Erniedrigungen unter Dauerbeobachtung entsteht - so es die irdischen Gesandten des Fernsehgottes wollen (also RTL-Redakteure und -Cutter) - ein neuer Mensch. Einer, der der Öffentlichkeit beweisen durfte, wer er wirklich ist. Schluss mit fake und Fehlern. Endlich Gewinner sein, statt Würstchen.

Aber wie sang schon Stephan Remmler? Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Und so markiert der TV-Dschungel nicht den Beginn eines neuen Lebens. Er ist für viele Teilnehmer ein Schritt tiefer hinab in die Fernsehhölle, in der sie seit Jahren am Hochofen der öffentlichen Schaulust malochen. Dabei kommt aller Lebensballast mit: Ex-Freunde (Sexmessen- und Debatten-Testimonial Gina-Lisa Lohfink hadert zunächst mit der Show-Teilnahme von Marc Terenzi, Ex-Boygroup-Sänger, Ex-Ehemann von Sarah Connor und Ex von Gina-Lisa), Ängste (die frühere Big-Brother-Kandidatin und TV-Maklerin Hanka Rackwitz leidet nach eigener Aussage unter Waschzwang, Kontrollzwang, Klaustrophobie und einer Körperwahrnehmungsstörung), und das verdammte Image - das ist eben auch mit dabei. Sarah Joelle Jahnel, die ob ihrer Affäre mit dem damals liierten Comedian Oliver Pocher von der Boulevardpresse spitznamentlich in der Luder-Kategorie verortet wurde, beschreibt das so: "Würde ich mich googeln, würde ich mich selbst nicht schätzen."

Tragende Rollen: der Kotzbrocken und das Dummchen. Die Rolle des Kotzbrockens hat RTL in diesem Jahr mit einem Mann besetzt, der keinen magenschonenderen Namen tragen könnte: Alexander "Honey" Keen. Der qualifizierte sich ausnahmsweise nicht über die Teilnahme an einem anderen Reality-TV-Format fürs Dschungelcamp. Er ist der Ex-Freund einer Ex-Kandidatin von ... Ach, lassen wir das. Honey ist trotz mangelnder Erfahrung ein Vollprofi, der liefert, wofür er eingekauft wurde. Er reitet für Einspieler auf einem Schimmel am australischen Strand entlang und sagt in die Kamera Sätze wie: "Ich bin grundsätzlich ein umgänglicher Mensch, aber wenn die Biene muss, kann sie auch zustechen." Außerdem weiß er, wie man im Hotelbadezimmer Selfie-Nacktvideos dreht und seinen Penis mit Sanitäranlagen vergleicht.

Auch das Dummchen spielt seine zugedachte Rolle an Tag eins mit Engagement und Überzeugungskraft: Kader Loth, die einst bei Big Brother einen Schwächeanfall inszenierte, der den sterbenden Schwan vor Neid in den Suizid getrieben hätte. Gefragt nach dem schwächsten Glied in der Teamkette - die Sendungsmacher setzen zu Beginn der Show wie im vergangenen Jahr auf zwei örtlich getrennte Teams (Team Base Camp und Team Snake Rock) - antwortet Kader: "Ein schwaches Glied? Was ist Glied?" Es könnte schlechter laufen für RTL.

Tier des Tages: der Mensch. Oder um es mit den Worten von Gina-Lisa zu auszudrücken: "Ich finde die Menschen schlimmer als die Tiere."

Weitere Besetzung:

  • Florian Wess, firmiert in der einschlägigen Presse ob seiner nicht-gottgegebenen Physiognomie als "Botox-Boy", hat jedoch überzeugende Argumente dagegen im Gepäck: "Was gibt es Natürlicheres als selbstgestrickte Socken von der Oma?"
  • Fräulein Menke, stammt aus derselben musikalischen Zeit wie der eingangs erwähnte Stephan Remmler (Neue Deutsche Welle), hat mit Wurstvarianten aber so ihre Probleme und tritt zur Ekel-Dschungelprüfung "Oll you can eat" (Wortspiel, Sie verstehen?) nicht an.
  • Markus Majowski, Comedian und Schauspieler, der, so hofft man für ihn, mehr von Witzen versteht als von der Schauspielerei. Jedenfalls entlarvt die Kamera seine naturesoterischen Einlassungen als Masche. Die Sendungsverantwortlichen dürfte das doppelt, nein dreifach freuen: Erwischt-Narrative bringen Quote und die Rollen "Blender" und "Choleriker" sind mit einer Person besetzt.
  • Nicole Mieth. Frau. Jung.
  • Thomas "Icke" Häßler, Ex-Fußball-Weltmeister, der niemals Pokern sollte. Im Laufe der ersten Sendung scheint sein Gesicht nur einen einzigen Gedanken widerzuspiegeln: "Was hab' ich nur getan!?"

Worüber wurde am Lagerfeuer gesprochen? Über Erwartbares. Schließlich holt man sich nicht die Symbolfigur der hitzig geführten Nein-heißt-Nein-Debatte in die Show, um das Thema dann totzuschweigen. Gina-Lisa, die zwei Männer unter anderem wegen Vergewaltigung angezeigt hatte, war im Sommer wegen falscher Verdächtigung zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Dagegen haben ihre Anwälte Einspruch eingelegt. Weil die im Dschungel nicht dabei sind, springt kurzfristig Sarah Joelle als Rechtsbeistand ein. "Bist du rechtlich gut aufgestellt?", flüstert sie im Lagerfeuerschein. "Warum hab ich nicht einfach meinen Mund gehalten und alles über mich ergehen lassen?", flüstert Gina-Lisa zurück.

Das klingt sehr traurig. Noch trauriger wäre nur, wenn das Ganze einem Script folgen würde. Realität ist ein quecksilbriges Ding im Dschungel.

Und die Dschungelprüfungen? Sind an Tag eins traditionell zu vernachlässigen, weil nicht der Zuschauer, sondern RTL die Prüflinge bestimmt. In Sachen sadistischer Bedürfnisbefriedigung ist das in etwa so erfüllend wie ein Besuch im Streichelzoo.

Satz für die TV-Annalen: "Das Dschungelcamp ist die Champions League unter den Reality-Shows." (Kader Loth freut sich, dass sie für Nastassja Kinski eingespringen durfte, die ihre Teilnahme kurzfristig absagte.)

Moral der Geschichte? Hölle, Hölle, Hölle.

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